Montag, 31. Juli 2017

Investieren, mutig, und mit Vision


Für Gesundheitsinstitutionen gibt es zur Zeit offenbar vor allem eine Strategie, um sogenannt rentables Klientel anzuziehen: Sie investieren in die Infrastruktur. Sprich, es wird saniert und neu gebaut. Irgendwo habe ich mal die Redewendung „Investition in Beton“ gehört.
Als Pflegehexe höre ich von meinem Umfeld, verschiedenes über diese oder jene Institution. Selten sprechen die Leute mit mir über diesen wunderschönen Neubau und die luxuriösen Zimmer mit den goldenen Wasserhähnen. Es wird höchstens bemerkt wenn der Bau grottenhässlich und die Zimmer aussehen, wie nur provisorisch hingeschludert. Erwähnenswert ist das aber auch nur, wenn das Ganze noch als Kunst am Bau bezeichnet wird…
Wisst ihr worüber die Leute mit mir sprechen, wenn sie in einer Gesundheitsinstitution waren? Über das Personal, vor allem das Pflegepersonal. Ihre Kompetenz oder Inkompetenz, ihre Freundlichkeit oder Unfreundlichkeit, ihre Zeit, die ihnen zur Verfügung steht, ist offenbar entscheidend, was die Institution für einen Ruf hat. Und der Ruf einer Institution ist der Grund, ob sich Patienten/Bewohner/ Klienten für oder gegen sie entscheidet.
Und so frage mich, wann eine dieser bauwütigen Institutionen auf die Idee kommt, sich von der Konkurrenz abzuheben und in seine Pflegenden zu investieren. Nicht nur auf dem Papier, sondern echt!
Damit meine ich nicht nur angemessene Löhne.
Ich meine damit, sich zum Ziel zu setzen, die Fluktuation so gering wie möglich zu halten. Denn stabile Teams zu haben, bedeutet, es sind erfahrene Pflegende verfügbar, welche Lernende und Frischdiplomierte unterstützen
Um dies zu erreichen sollte zum einen in angemessene Löhne invertiert werden. Noch viel wichtiger ist es jedoch, dass ausreichend Pflegende auf den Stationen zur Verfügung stehen. Dies reduziert Stress und dadurch entstehende Krankheitstage.

Ich meine damit CEOs, die fragen, was brauchen Pflegende, damit sie ihre Arbeit machenkönnen? Pflegende, die sich auf ihr Kerngeschäft konzentrieren dürfen, sind effizient, sind zufriedener und dadurch bestimmt freundlicher. Zudem könnte jeder Betrieb erheblich sparen, wenn die „teuren“ Pflegenden keine Arbeiten mehr erledigen müssen, die nicht in ihren Bereich gehören.
Ich meine damit, dass Pflegedienstleitungen für ihre Pflegenden ansprechbar sind. Ihre Sorgen und Nöte ernst nehmen und sie in den Lösungsprozess miteinbeziehen. Ich meine damit, dass erkrankte (physisch oder psychisch) Pflegende begleitet werden, und das nicht im Sinne von: „Wann kommst du endlich wieder arbeiten.“ Sondern, „Was kann ich für dich tun? Nimm dir Zeit. Wie kannst du gesund werden, wo könnte der richtige Arbeitsplatz für dich sein.“ Ich meine damit, dass Pflegende, wenn sie krank sind ohne schlechtes Gewissen Zuhause bleiben und ihre Krankheit ohne Angst den Pflegedienstleitungen mitteilen können.
Ich meine damit, dass Pflegenden echte Wertschätzung entgegen gebracht wird. Dass sie spüren, jeder Einzelne hier ist wichtig. Ich meine damit nicht irgendwelche Lippenbekenntnisse in den Medien, sondern die kleinen Zeichen, die gesetzt werden können. Weihnachtskarten und ein Weihnachtspräsent zum Beispiel. Oder die Anerkennung dafür, dass von ihnen ein 24 Stundenbetrieb 365 Tage im Jahr aufrecht erhalten wird.
Frau Cornelia Klüver Präsidentin des SBK Bern hat das Thema ebenfalls aufgegriffen (Es ist wirklich Zufall, aber ich nutze ihn gerne). In der Schrittmacherin stellt sie das Konzept des Magnetspitals vor. Es stellt die Frage, weshalb es einigen Spitälern leichter fällt, Personal zu rekrutieren und zu halten als anderen. Die Ergebnisse, decken sich erstaunlich gut, mit meiner subjektiven Einschätzung.
Ich bin überzeugt, dass Investitionen in die Pflege unter dem Strich mehr Ertrag bringen, als die Sanierung von Gebäuden. Aber es braucht mehr persönliche und zeitliche Ressourcen, vor allem des oberen Kaders. Und so frage ich die Damen und Herren CEOs unserer Gesundheitsinstitutionen:
Sind Sie mutig genug, in die Pflege zu investieren?

Eure Madame Malevizia

Samstag, 8. Juli 2017

Ein historischer Tag


Meine Lieben,
heute ist ein historischer Tag in meinem Leben als Pflegehexe. Als ich vor fast einem Jahr meine Homepage einrichtete, habe ich eine Rubrik mit dem Namen „Mali on Tour“ errichtet. Ich hoffte (und wagte gleichzeitig nicht, es für möglich zu halten) als Pflegehexe unterwegs sein zu können und meine Botschaft nach aussen zu tragen. Heute habe ich einen Anfang machen können. Ich durfte bei einem Seminar des CAS Management Gesundheitswirtschaft meine Sicht einbringen. Dies zu den Themen:
„Gesundheitswesen Schweiz im Spannungsfeld von Steuerung und Partizipation“
Referat von Stefan Knoth, Geschäftsleiter, Curanovis
und
„Rolle der Kantone in der Spitalversorgung – Verderben zu viele Köche den Brei?“
Referat von Annamaria Müller, Vorsteherin Spitalamt; Gesundheits- und Fürsorgedirektion des Kanton Bern
Meine Aufgabe war es, zusammen mit Désirée Fessler, die Stimme des Bürgers zu repräsentieren. Eine spannende, aber auch herausfordernde Aufgabe. Wenn ich schreibe, habe ich alle Zeit der Welt, um zu recherchieren, mir eine Meinung zu bilden und diese dann in Worte zu fassen. Heute jedoch, wurde direkt nach dem Vortrag ein Statement von mir erwartet.
Da es jedoch zwei hochkompetente Redner waren, die es schafften die extrem komplexe Materie einigermassen verständlich und spannend zu vermitteln, gelang es mir glaube ich ganz gut. Die Zeit verging leider viel zu schnell, ich hätte noch stundenlang weiter diskutieren können…
Ich bedanke mich bei Herrn Dr. Beat Sottas für die Einladung. Sie haben mir die Chance geboten, meine Sicht der Dinge 25 interessierten Jungmanagern und Jungmanagerinnen mitzugeben.
Ebenfalls danke ich Désirée Fessler, die mit mir die Bürger vertreten hat. Es war toll, dich an meiner Seite zu haben.
Den Teilnehmenden danke ich für ihr Interesse an meiner Sichtweise, für ihr mitdiskutieren, ich hätte mich gerne noch länger ausgetauscht.
Herrn Stefan Knoth danke ich für sein persönliches Feedback. Ich werde über Ihre Anregungen nachdenken (es gibt mich jetzt auf LinkedIn).

Das war ein weiteres Abenteuer als Pflegehexe. Ich hoffe, dass ihm noch viele weitere folgen.

Euch allen wünsche ich nun Gesundheit, das höchste Gut, das keiner kaufen kann.


Eure Madame Malevizia

Ps: Seminarort war der Gurten. Die Aussicht ist überwältigend.


Mittwoch, 5. Juli 2017

Ethik und Gesundheitswesen - Gedanken einer Pflegehexe


Meine Lieben,
Immer wieder schreibe ich von den moralisch – ethischen Fragen, Dilemmas denen Pflegende tag – täglich gegenüber stehen. Ich habe es mir zur Aufgabe gemacht, die Politik, sowie die Öffentlichkeit auf diesen so unglaublich wichtigen Aspekt in der Kosten – und Personaldiskussion aufmerksam zu machen. In Anbetracht der bereits wieder angekündigten Sparrunden namentlich des Kanton Bern (was ich davon halte, habe ich in meinem offenen Brief bereits klar gemacht) und Kanton Luzern, welche wieder auf dem Rücken der Schwächsten durchgeführt werden, möchte ich in diesem Blog erläutern, was auf dem Spiel steht, wenn die Politik nicht endlich umdenkt, sich auf den Hintern setzt und nach geeigneten Lösungen sucht.
Ich stütze mich bei diesem Beitrag auf die ethischen Prinzipien: Autonomie, Gutes tun, nicht schaden wollen, Gerechtigkeit. Als Denkanstoss nutze ich die Broschüre „Ethik und Pflegepraxis“ des SBK 2013.

Ich beginne mit der Autonomie. Ein Wort, welches mir immer wieder begegnet. Mir scheint, die Autonomie ist in der Schweiz ein wichtiges zentrales Gut. Schauen wir uns nur die Diskussion über die Billateralen Verträge oder den EU – Beitritt an. Fremde Richter? Kommt nicht in Frage! Ebenfalls in das Prinzip der Autonomie gehört die offenbar riesige Angst vor Abhängigkeit. Immer wieder höre und lese ich Statements wie: „Wenn ich mal nicht mehr selbst kann, mache ich Schluss.“ Gerade dies zeigt eines deutlich: Die Autonomie von Kranken ist in Gefahr. Sie ist in Gefahr, weil der Personalmangel dafür sorgt, dass es nicht der körperlich stark eingeschränkte Mensch ist, der bestimmt, wann er aufsteht, sondern der Zeitplan der Pflegenden. Es ist dem Personalmangel zu verdanken, dass Essen einfach eingegeben wird, weil es schneller geht, als den Betroffenen zu führen und ihn so zumindest das Tempo bestimmen zu lassen. Solche Förderungen sind jedoch schlicht unmöglich, weil sonst der/die Letzte erst um 14.00 Uhr sein/ihr Mittagessen bekommen würde. Es braucht Zeit, Angehörigen zu erklären, dass die Autonomie eines hochdementen Menschen bedeuten kann, ihn selbst herum gehen zu lassen, auch wenn man dadurch Stürze in Kauf nimmt. Zeit, die häufig nicht da ist, weil solche Gespräche nicht abgerechnet werden können. Das Selbe gilt für Beratungen, die meist spontan entstehen, wenn es um den Umgang mit bestimmten Krankheitssymptomen geht. Einfach die Reservemedikation verabreichen, geht schneller. Der Betroffene bleibt jedoch hilflos, kann seine Genesung nicht selbst beeinflussen.
Es braucht Zeit, gebrechliche alte Menschen nachts auf die Toilette zu begleiten, der Topf geht viel schneller. Und gerade in der Nacht, in der Pflegende oft alleine sind, zählt jede Minute. Autonomie wird als so wichtig betrachtet, kann jedoch nicht gemessen und auch nicht bezahlt werden, und deshalb kommt sie in den strategischen Überlegungen von Politik und Wirtschaft nicht vor.
Gutes tun, ist jenes Prinzip, welches so deutlich zeigt, weshalb jedes noch so ausgeklügelte Computersystem, jeder noch so menschlich aussehende Roboter niemals Pflegende ersetzen kann. Leider ist es auch das Prinzip, welches nicht in Zahlen ausgedrückt werden kann. Somit ist es unbezahlbar. Gutes tun ist dann gefragt, wenn Menschen eine lebensbedrohliche Diagnose erhalten. Es sind jene Minuten, die sich Pflegende nehmen, um eine Hand zu halten. Es ist die Anteilnahme gegenüber Angehörigen, für die gerade in diesem Moment die Welt stehen geblieben ist, weil ein ihnen lieber Mensch verstorben ist. Gutes tun, ist das, was nicht gelernt werden kann und ein Teil dessen, was wir Berufung nennen.
Wenn Pflegende sich nicht mehr die Zeit nehmen können, um einen Patienten zum Essen zu motivieren, ist Gutes tun, weit weg. Es ist in Gefahr, wenn Pflegende nicht mehr die Kraft haben, sich für einen schmerzgeplagten Patienten einzusetzen, damit dieser eine angemessene Analgesie erhält.

So banal das Prinzip nicht schaden wollen daher kommt, so vielschichtig und gefährdet ist es. Es ist gefährdet, wenn Pflegende keine Chance mehr haben, Patientenrufe innert nützlicher Frist zu beantworten. Ein Ruf, heisst immer, jemand braucht etwas, etwas, das für sein Wohlbefinden wichtig ist. Manchmal ist sogar Leib und Leben davon abhängig, dass jetzt dieser Ruf beantwortet wird. Dem Ruf ist jedoch nicht anzusehen, wo welche Not herrscht.
Das Beispiel des Patienten in seinen Exkrementen, habe ich schon häufig benutzt. Dabei geht es nicht ausschliesslich um das Prinzip nicht schaden wollen, aber es ist bei diesem Beispiel von zentraler Bedeutung. Wie erniedrigend und würdelos es für einen Menschen sein muss, in seinen eigenen Körperflüssigkeiten zu liegen, brauche ich nicht zu erklären. Auch das richtet Schaden an. Ein weiterer Aspekt ist aber auch die Haut, die durch diese Körperflüssigkeiten aufgeweicht und beschädigt wird. Nicht schaden wollen heisst, demente Menschen nicht mit körperlicher Gewalt zur Körperpflege zu zwingen, sondern den richtigen Moment abzuwarten, oder sogar zu schaffen. Dies gelingt jedoch nur, wenn zeitliche und personelle Ressourcen vorhanden sind.

Gerechtigkeit. Wenn ich dieses Wort lese, kommt mir unweigerlich die französische Revolution in den Sinn. Aber darum geht es hier ja nicht. Obwohl, eine Revolution für die Gerechtigkeit, wäre im Gesundheitswesen durchaus angebracht.
Ich frage mich nämlich schon, wo diese Gerechtigkeit ist. Wo ist sie, wenn Einrichtungen um Geld zu sparen, Schutzhandschuhe und Inkontinenzeinlagen rationieren? Solche Zustände gibt es, in Deutschland sind sie öffentlich gemacht worden, aber ich bin überzeugt, dass es solche Dinge auch in der Schweiz gibt. Ich vermisse die Gerechtigkeit, wenn die Versicherung bestimmt, wer in einem Einzel – oder Mehrbettzimmer liegt und nicht der Gesundheitszustand. Ich weiss, wieviel Überzeugungsarbeit Bettendisponenten leisten müssen, wenn ein Patient aufgrund seines Zustandes in ein Einzelzimmer verlegt werden muss.
Ich vermisse die Gerechtigkeit, wenn Pflegende ihre wertvolle Zeit mit immer mehr administrativen Aufgaben verbringen müssen. Da gibt es teilweise echt absurdes zu sehen. Der Umstand, dass Pflegende in vielen Institutionen von anderen Disziplinen Aufgaben zugeschustert bekommen, ist nicht gerecht. Diese Aufgaben reichen von Frühstücksgeschirr abwaschen bis Abfallsäcke leeren. Frei nach dem Motto: Könnte die Pflege nicht noch…Dafür bekommen Pflegende nichts zurück, kein Geld, keine Zeit. Wo ist da die Gerechtigkeit?

Dies sind nur ein paar Gedanken einer Pflegehexe und nur ein Bruchteil dessen, was an ethischen und moralischen Konflikten auf dem Rücken der Pflegenden ausgetragen wird. Jede Sparrunde der Kantone und des Bundes verschärft dieses Problem. Von den Politikern verlange ich, dass sie sich dem stellen, sie haben diesen Beruf gewählt, sie müssen die Verantwortung übernehmen. Auch die Pflegenden haben diesen Beruf (für mich gibt es noch immer keinen schöneren) gewählt, es ist jetzt an ihnen, sich für die Wahrung der ethischen Prinzipien einzusetzen. Sei dies im Kleinen an ihrem Arbeitsplatz (alles muss nicht hingenommen werden), in Diskussionen im Familien – oder Freundeskreis oder im Grossen, durch zeitliches Engagement in Berufsverbänden, Parteien oder Gewerkschaften.
Aber auch alle Bürgerinnen und Bürger dieses Landes sind gefragt, wenn es darum geht, ob und wie die ethischen Prinzipien im Gesundheitswesen ihren Platz haben. Sie sind es nämlich, die wählen und abstimmen. Sie sind es, die bestimmen, wer bei den nächsten Sparrunden entscheidet, wo Geld eingespart wird.
In diesem Sinne wünsche ich unseren Politikern den Mut, sich diesen schwierigen und ebenso wichtigen Themen zu stellen, den Pflegenden die Kraft, weiterhin alles in ihrer Macht stehende zu tun, dass die ethischen Prinzipien in ihren Arbeitsbereichen gelebt werden können und den Bürgerinnen und Bürgern, die Weitsicht, Volksvertreter zu wählen, die bereit sind die Ethik über den Profit zu stellen.

Und jetzt wünsche ich Euch allen Gesundheit, sie ist das höchste Gut, das keiner kaufen kann.


Eure Madame Malevizia