Donnerstag, 29. März 2018

Zu spät gestorben


Meine Lieben,

Ich fordere Politiker immer wieder auf, sich den ethisch – moralischen Fragen im Gesundheitswesen zu stellen. Besonders wenn es um Sparmassnahmen geht, ist diese Auseinandersetzung zwingend. Hinter diesen Fragen, stehen Menschen und ihre Schicksale. Frau Frieden (Name erfunden, nicht geändert, ich weiss nicht mehr wie sie hiess, aber noch ganz genau, wie sie aussah) ist eines dieser Schicksale…



Zu spät gestorben

Es war an einem Samstag im Pflegeheim. Ich hatte am Vortag frei gehabt und erfuhr so erst an diesem Morgen, dass ein Eintritt kommen würde. Den spärlichen Unterlagen entnahm ich, dass Frau Frieden von Zuhause kommen, an Lungenkrebs litt und die Situation palliativ sein würde.

Um 10.00 brachte die Ambulanz (nein, das ist eigentlich nicht üblich), Frau Frieden auf die Station. Frau Frieden lag, vor Schmerzen stöhnend und nach Luft schnappend auf der Trage. Aufgrund ihrer schlechten Venenverhältnisse war es den Sanitätern nicht gelungen einen venösen Zugang zu legen, um der Frau etwas gegen die Schmerzen zu geben. Der noch liegende Port konnten sie mangels Material nicht anstechen. Subkutane Injektionen waren ihnen nicht erlaubt (ich weiss nicht, ob das heute noch so ist, aber damals war es so). So war Frau Frieden ohne adäquate Schmerzmedikation transportiert worden.

Frau Frieden selbst war kaum mehr ansprechbar, das Leiden und die Schmerzen waren ihr jedoch ins Gesicht geschrieben. Arztbericht war keiner vorhanden, einzig ein Notizpapier auf dem mit die Spitex aufgeschrieben hatte, wann Frau Frieden von ihnen das letzte Mal Morphin subkutan erhalten hatte. Ich stand also da, alleine auf meiner Wohngruppe, mit einer Patientin, die vor Schmerzen schrie und hatte null Verordnung, um dieser Frau zu helfen.

Ich rief also als erstes in der Gemeinschaftspraxis an, welche das (äusserst knappe) Einweisungszeugnis geschrieben hatte. Nein, der zuständige Herr Doktor habe seit heute Ferien. Auf mein insistieren, dass ich jetzt einfach einen Arzt ans Telefon brauche, wurde ich dann mit der Vertretung verbunden. Diese kannte den Fall natürlich nicht, liess sich aber erweichen, und verordnete mir das für die Patientin dringend notwendige Morphin. Jedoch in einer Dosierung, von der ich wusste, dass es ihr niemals die furchtbaren Schmerzen nehmen würde. Nein, vorbei kommen könne sie nicht, sie habe die Praxis voll.

Ich fand schliesslich heraus, dass Frau Frieden bis vor kurzem auf einer Palliativstation hospitalisiert war. Um Informationen über die bereits bewusstlose Frau zu erhalten, rief ich dort an. Die Pflegefachperson kannte Frau Frieden und gab mir die private Telefonnummer ihres behandelnden Arztes auf der Palliativstation. Als sie den Namen nannte, fiel mir ein Stein vom Herzen. Es war Dr. Merlin (ja, er heisst wirklich so). Mit Dr. Merlin hatte ich schon einige Male bei Palliativsituationen zusammengearbeitet. Mit klopfenden Herzen, da ich ihn ja an seinem freien Tag störte, rief ich ihn an und schilderte die Situation. Und Dr. Merlin war mein und vielleicht auch Frau Friedens rettender Engel. Noch am Telefon verordnete er mir eine ausreichende Menge Morphin. Dann setzte er sich ins Auto und kam her.

Von ihm erfuhr ich dann, wie Frau Frieden in diesem desolaten Zustand auf meine Wohngruppe gelangt war: Frau Frieden war drei Wochen auf der Palliativstation gewesen. Nach dieser Zeit war jedoch die Kostengutsprache der Krankenkasse abgelaufen. Frau Frieden war also schlicht zu wenig schnell gestorben. Da Frau Frieden zu diesem Zeitpunkt noch einigermassen selbständig war, wurde sie mit Spitex nach Hause entlassen. Dort verschlechterte sich ihr Zustand innerhalb einer Woche so dramatisch, dass am Freitag notfallmässig ein Bett für sie gesucht werden musste. Die Krankenkasse wollte nach so kurzer Zeit keine Kostengutsprache für die Palliativstation machen, die Spitäler lehnten sie ebenfalls ab. Unsere Casemanagerin hatte Mitleid und nahm die Frau auf. Dies ohne zu wissen, wie schlecht es der Frau wirklich ging.

Dr. Merlin tätigte die für mich so wichtigen Verordnungen. Bevor er ging sagte er zu mir: „Sie dürfen mich jederzeit anrufen, wenn sie noch etwas brauchen, auch wenn Frau Frieden verstirbt, ich komme dann und stelle den Tod fest (dies muss bei jedem Menschen der verstirbt so sein). Frau Frieden hat es verdient, dass sich in ihren letzten Tagen noch jemand zuständig fühlt.

Frau Frieden verstarb nach wenigen Tagen, ohne noch einmal das Bewusstsein zu erlangen. Ihre Schmerzen konnten wir einigermassen lindern. Frau Frieden verliess diese Welt in einer ihr fremden Umgebung, umgeben von Menschen, die zwar ihr Bestes taten, um ihr ein würdevolles Sterben zu ermöglichen, die sie aber nicht kannte. Beim Gedanken daran kommen mir noch heute die Tränen. Es wäre anders möglich gewesen. Auf der Palliativstation, auf der sie drei Wochen gewesen war, hatte sie sich noch dazu äussern können, was sie sich wünschte, sie hatte Beziehungen zu den Pflegenden aufgebaut, es waren alle Verordnungen und alle Möglichkeiten da, um ihr Leiden zu gering wie möglich zu halten, aber weil sie nicht schnell genug gestorben ist, musste diese Frau unendlich leiden. Sie ist durch sämtliche Maschen des Systems gefallen, weil sie zu spät gestorben ist.

Eure Madame Malevizia

Donnerstag, 15. März 2018

Bundesrätliche Ablehnung der Pflegeinitiative – Eine Pflegehexerische Stellungnahme und Fazit




Meine Lieben,
Der Bundesrat lehnt die Volksinitiative für eine starke Pflege (Pflegeinitiative) ab. Für mich nicht wirklich überraschend. Es ist sein gutes Recht, das zu tun. Dass er es tut, ohne einen Gegenvorschlag zu machen, enttäuscht mich. Die Medienmitteilung, in welcher der Bundesrat seine Ablehnung begründet, macht mich wütend.
Ich empfinde sie als Schlag ins Gesicht, jeder Pflegenden und jedes Pflegenden, die täglich ein System aufrechterhalten, welches kurz vor dem Kollaps steht. Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache, sie sind dem Bundesrat bekannt. Bereits jetzt fehlt es an Pflegefachkräften, die Tendenz ist steigend. Vor allem in der Langzeitpflege. Aber auch in den Akutspitälern und in der Spitex spitzt sich die Lage zu. Der Mangel droht nicht nur, er ist da. Dieser Umstand wird in der Medienmitteilung mit keinem Wort erwähnt.
Doch schauen wir uns die Pressemitteilung mal genauer an. Mit grossem Vergnügen, mit kochender Hexenseele, werde ich zu einzelnen Aussagen Stellung beziehen.

«Der Bundesrat hat Verständnis für die Forderung der Initiantinnen und Initianten, dass Bund und Kantone sich weiterhin gemeinsam für genügend und gut qualifiziertes Pflegefachpersonal einsetzten müssen.»
Ich habe so was von genug von diesem gönnerhaften Schulterklopfen! Ich habe genug, von diesem Verständnis, dass doch nur Heuchelei ist. Jahrelang haben sich Pflegende mit diesen Lippenbekenntnissen abspeisen lassen. Sie haben stillgehalten, sie haben Betriebe aufrechterhalten, oft auf Kosten ihrer eigenen Gesundheit. Und was hat es ihnen gebracht? Die Politik verlässt sich darauf, dass die Pflegenden das weiterhin tun werden. Und lassen die Pflegenden mit ihren Problemen kläglich im Stich! Weder Bund noch Kantone schauen hin, was dieser Fachkräftemangel konkret bedeutet. 

«Die Ausbildungsabschlüsse in der beruflichen Grundbildung steigen.»
Und damit ist das Problem gelöst? Ja, die Abschlüsse in der Ausbildung Fachfrau/Fachmann Gesundheit steigen. Und es freut mich ausserordentlich, dass sich so viele junge Menschen für diese Ausbildung entscheiden. Doch dies alleine reicht nicht. Nicht jede FaGe wird auch Pflegefachperson. Einige entscheiden sich für ein anderes Studium, Ernährungsberatung HF, beispielsweise. Viele bleiben FaGe, häufig, weil sie nicht noch 2 Jahre weiterstudieren möchten, oder es ihre finanzielle Lage nicht zulässt. Und dann gibt es bedauerlicherweise auch noch jene, die schon nach dieser Grundausbildung aufgeben. Weil sie sich das nicht mehr antun wollen und können. Ich kenne die genauen Zahlen nicht, weiss aber, dass die höheren Fachschulen grösste Mühe haben ihre Klassen zu füllen. Dass der Bundesrat mit seiner Medienmitteilung vorgaukelt, dass schon genug getan wird, um dem Fachkräftemangel zu beheben, ist eine absolute Frechheit. Wäre dem so, hätte der SBK niemals die Mühen auf sich genommen, die Pflegeinitiative zu lancieren. 

«…sowie eine Kampagne, um das Image der Ausbildung und Karriere in der Langzeitpflege zu verbessern.»
Gerne würde ich dem Idi.. ähm netten Menschen, der diesen Satz geschrieben hat persönlich begegnen.
Pflegende in der Langzeitpflege brauchen keine Imagekampagne. Die Arbeit in der Langzeitpflege ist enorm vielseitig, spannend und absolut bereichernd. Mit dem Fachkräftemangel, den extremen personellen Einsparungen, dem ständigen am Limit laufen, ist die Langzeitpflege zu physischem und psychischem Höchstleistungssport verkommen. Notabene ohne die Chance, jemals zum Sportler des Jahres gewählt zu werden. Pflegende in der Langzeitpflege brauchen Massnahmen, die es ihnen ermöglichen, ihren Beruf auszuüben ohne die eigene Gesundheit riskieren zu müssen. 

«Weiter setzt sich der Bund dafür ein, dass Betriebe unterstützt werden, die ihre Arbeitsbedingungen attraktiver gestalten möchten.»
Die Betriebe werden also höflich gebeten, ob sie vielleicht eventuell ihre Arbeitsbedingungen verbessern möchten? Die Betriebe müssen in die Pflicht genommen werden, es ihren Pflegenden zu ermöglichen, ihre Arbeit so zu machen, wie sie es gelernt haben. Denn nur darum geht es den Pflegenden. Sie wollen keine Herzchen und Schleifchen und auch kein Silberbesteck. Sie wollen einzig ihren Beruf ausüben können. Und dies zum Wohle aller. 

«Der Bundesrat teilt die Ansicht des Initiativkomitees, dass die Pflege, wie die Hausarztmedizin, ein unverzichtbarer Bestandteil der medizinischen Grundversorgung ist. Er hält aber fest, dass der Verfassungsartikel zur medizinischen Grundversorgung (117a BV) für die von den Initiantinnen und Initianten geforderte Stärkung der Pflege durch Bund und Kantone im Rahmen der bestehenden Zuständigkeiten ausreicht.»
Dass dieser Artikel nicht ausreicht, haben die letzten Jahre eindrucksvoll bewiesen. Würde er ausreichen, um Bund und Kantone in Bewegung zu bringen, wäre der Fachkräftemangel und der daraus resultierende Pflegenotstand niemals so eskaliert. Mehr gibt es zu diesem Argument nicht zu sagen.

«Der Bundesrat ist darüber hinaus der Überzeugung, dass eine direkte Abrechnung von Pflegeleistungen zulasten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung (OKP) ohne koordinierende Massnahmen zu einer Mengenausweitung und damit zu unerwünschten Kostenentwicklungen im Gesundheitswesen führen dürfte.»
Herr Bundesrat Cassis lässt grüssen. Es macht mich so was von sauer, dass Pflegenden als erstes Geldgier unterstellt wird. Aber ich will es an einem Beispiel, welches Christina Hiltbrunner, Pflegefachfrau (EVP) schon gebracht hat erklären. Toilettentraining. Eine pflegerische und keine ärztliche Leistung. Schliesslich ist es die Pflegende, die a, die Inkontinenz feststellt, und b, ist sie es, die den individuellen Plan erstellt und durchführt. Um eben diese Leistung überhaupt bezahlt zu bekommen, benötigt sie die Verordnung eines Arztes. Und das soll noch effizient sein? Das soll kostengünstig sein? Ich kann mir nicht vorstellen, dass das die Kosten im Gesundheitswesen nicht belastet. Und wenn wir dann schon über Mengenausweitung sprechen, sollte sich der Bund mal damit beschäftigen, wieviel Zeit Pflegende mit der Dokumentation von pflegerischen Massnahmen aufwendet, damit sie ihre Leistungen lückenlos belegen kann und von den Krankenkassen auch entsprechend bezahlt wird. 

«Hingegen hat der Bundesrat das EDI beauftragt, unter Einbezug der wichtigsten Akteure und des Initiativkomitees weitere Massnahmen zu prüfen und zu erarbeiten. Die berechtigten Anliegen der Initiantinnen und Initianten sollen im Rahmen der bestehenden Kompetenzen mit konkreten Lösungsansätzen aufgenommen werden.»
«Mit den wichtigsten Akteuren…» Das wird nicht stattfinden. Denn die wichtigsten Akteure sind die Pflegenden an der Basis, und die werden wohl kaum an einen Tisch gebeten werden. Wisst ihr, wovon ich träume? Dass die Pflegenden an er Basis endlich gefragt werden: «Was braucht ihr, dass ihr euren Beruf ausüben könnt?» 

Pflegehexerisches Fazit
Zwischen den Zeilen dieser Medienmitteilung lese ich vor allem eines: «Das kostet uns zu viel.» Und genau das, macht mich noch wütender. In einem Land, das Millionen für die Armee (wohlverstanden, ein Land, dass sich neutral nennt), das ebenfalls bereit ist, Millionen für eine Olympiade aufzubringen, ist auch Geld da, eine würdige Pflege zu ermöglichen.
Mit der Ablehnung des Bundesrats ist die Pflegeinitiative nicht vom Tisch. Auch das Parlament wird noch darüber beraten. Für die Pflege ist es ein wichtiger Schritt, dass überhaupt über sie gesprochen wird.
Ich erwarte jedoch auch da keine andere Haltung. Denn schon die Initiative Joder ( die weniger weit ging, als die Pflegeinitiative), fand keine Unterstützung.
Das letzte Wort werden die Stimmbürger haben. Ich hoffe darauf, dass diese mehr Herz und Verstand haben.

Eure Madame Malevizia