Donnerstag, 8. November 2018

Offener Brief an die Damen und Herren Bundesrat



Werte Damen und Herren Bundesrat

Gestern haben Sie Ihre Ablehnung der Volksinitiative für eine starke Pflege kommuniziert. Ein Entscheid, der mich nicht überrascht. Ihre Begründung macht mich wütend und ich kann sie nicht einfach so stehen lassen.

 «Der Bundesrat ist der Ansicht, dass der bestehende Verfassungsartikel zur medizinischen Grundversorgung (117a BV) ausreichend ist, um die Pflege zu stärken.»

Warum tun Sie es dann nicht? Seit Jahrzehnten spitzt sich die Lage für die Pflegenden Jahr für Jahr weiter zu. Die Pflege läuft am Anschlag. Der Pflegenotstand droht nicht, er ist längst Realität. Doch von einer Stärkung der Pflege sehe ich nichts, im Gegenteil

-        Bei jeder Sparrunde werden im Gesundheitswesen massiv Gelder gestrichen. Ein Beispiel ist der Kanton Bern letztes Jahr. Solche Sparübungen werden immer auch auf dem Buckel der Pflegenden ausgetragen.

-        Der Beitrag für die die freischaffenden Pflegenden von den Krankenkassen wurde gekürzt. Dadurch werden einige aufgeben müssen.

-        Durch einen Bundesverwaltungsgerichtsentscheid dürfen Heime und Spitexbetriebe Verbands- und Pflegematerialien nicht mehr den Krankenkassen verrechnen. Dass dies Zustande gekommen ist, ist nicht die Verantwortung des Bundesverwaltungsgerichtes, sondern der Politik, welche sich nicht darum gekümmert hat, ein entsprechendes Gesetz zu verabschieden, damit Pflegende das tun können, was jeder Berufsstand macht: seine Materialkosten verrechnen. Die Folgen dieses Versäumnisses sind gravierend. Viele Krankenkassen beginnen nun Rückforderungen zu stellen. Ich frage mich, wann das erste Pflegeheim deswegen Sparmassnahmen (notabene zu Lasten der Pflegenden) ergreifen oder gar seine Pforten schliessen muss.

-        Die SwissDRG wurden, (ich weiss lange ist es her), eingeführt, im Wissen, dass die Pflege darin ungenügend abgebildet ist. Dieser Mangel ist bis heute nicht ausreichend korrigiert. Die Folge davon: Pflegende dokumentieren sich zu Tode, damit Ihre Leistungen wenigstens halbwegs abgegolten werden.

Ist das Ihr Verständnis von: «Die Pflege stärken»? Sie können jetzt sagen, für einige dieser Beispiele sind die Kantone zuständig. Ich weiss. Aber wenn Sie wirklich die Pflege stärken wollen, dann übernehmen Sie als Landesregierung endlich die Verantwortung im Gesundheitswesen und beenden dieses «Schwarze Peter Spiel»!

«Die Forderung der Initiantinnen und Initianten nach einer direkten Abrechnung von Pflegeleistungen zu Lasten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung (OKP) hätte zudem Mehrkosten im Gesundheitswesen zur Folge.»

Das ist mein absoluter Lieblingssatz. Welche Mehrkosten? Glauben Sie wirklich eine freischaffende Pflegefachperson würde dann mehr Klienten betreuen? Auch ihr Tag hat nur 24Stunden und auch Pflegefachpersonen müssen essen und schlafen. Ausserdem heisst abrechnen können nicht, dass die Krankenkasse die Leistung auch automatisch übernehmen muss. Sie kann die Notwendigkeit dieser, wie bis anhin auch überprüfen. Glauben Sie wirklich, ein Arzt überprüft jede Bedarfsabklärung der Spitex, bevor er sie unterschreibt? Dazu fehlt diesen zum einen die Zeit und zum anderen können sie es schlicht nicht beurteilen.

Mit der Möglichkeit die Pflegeleistungen selbst abzurechnen, bekommt die Pflege vor dem Gesetz jene Eigenständigkeit, die ihr schon längst zusteht. Pflege ist eine eigene Profession, schon seit Jahrhunderten. Diese Gesetzliche Anerkennung wollen Sie mit dieser fadenscheinigen Begründung den Pflegenden weiterhin verwehren?

«Der Bundesrat hat in der Vergangenheit in Zusammenarbeit mit anderen Partnern verschiedene Massnahmen ergriffen, um dem Fachkräftemangel in den Pflegeberufen zu begegnen. Dazu gehören die Finanzierung von Wiedereinstiegsprogrammen und Massnahmen, um in der Langzeitpflege das Personal zu erhalten.»

Ihre Massnahmen kommen Jahrzehnte zu spät und sind ungenügend. Der Fachkräftemangel wird durch Wiedereinstiegsprogramme nicht gelöst. Denn auch die Wiedereinsteiger/Innen können mit einem Salär einer ausgebildeten Pflegefachperson ihre Familien nicht ernähren, um nur ein Problem zu erwähnen. Daneben ist es bei einem Vollpensum dem Elternteil kaum mehr möglich, seine Rolle gegenüber den Kindern noch wahrzunehmen, weil ständig abwesend.

Es fehlen nicht nur Pflegende in den Langzeitinstitutionen, sondern es fehlen Pflegende auf den Intensivstationen, der Neonatologie, den Bettenstationen, in den Psychiatrien, in den ambulanten Diensten, in der Palliative Care, kurz überall. Das führt soweit, dass teilweise aus diesen Gründen Betten geschlossen werden müssen, obwohl diese dringend benötigt würden.

«Das EDI ist zudem im Auftrag des Bundesrats daran, zusammen mit anderen Akteuren einen zusätzlichen Massnahmenplan zu erarbeiten.»

Ich weiss, ich wiederhole mich: Dieser Massnahmenplan sollte längst in der Umsetzung sein. Und wie lange wollen Sie noch Pläne erarbeiten? Während sie nämlich planen, stehen die Pflegenden vor ethisch – moralischen Konflikten, die aus Ihrer Lethargie heraus entstanden ist. Während sie planen, sind Menschen aufgrund des Fachkräftemangels unterversorgt und in Lebensgefahr.

In verschiedenen Medien hat sich Bundesrat Alain Berset zur Pflegeinitiative geäussert. Ich wurde noch nie wütender als bei diesem Statement.

Glauben Sie wirklich, uns noch weiter mit Schulterklopfen und verbalen Streicheleinheiten abspeisen zu können? Mit «Wir haben das Problem erkannt» kann sich eine Pflegende, die jetzt am Bett steht keinen Blumentopf kaufen und erst recht keine menschenwürdige Pflege gewährleisten.

Sie sagen «Wir brauchen Zeit, haben Sie Geduld.» Meine Damen und Herren Bundesräte, Geduld haben wir gehabt, mehr als jede andere Berufsgruppe. Zeit haben Sie gehabt und Sie haben es nicht auf Reihe bekommen. Sie haben Ihre Verantwortung nicht wahrgenommen und nehmen sie auch jetzt nicht wahr. Das ist der Grund, weshalb die Pflegeinitiative lanciert und eingereicht wurde. Und wenn es auch das Parlament nicht schafft, einen brauchbaren Gegenvorschlag zu erarbeiten, wird das Volk entscheiden.

Und im Gegensatz zu Ihnen, meine lieben Damen und Herren Bundesräte, haben diese den Gong schon lange gehört.

Abschliessend möchte ich eines betonen: Wir Pflegenden verlangen kein Silberbesteck und auch keine Sänfte, auf der wir zur Arbeit getragen werden. Wir Pflegenden wollen einfach unseren Beruf ausüben können.

Hochachtungsvoll

Madame Malevizia

Pflegehexe



Freitag, 2. November 2018

Einfach nur Mensch




«Du bist nicht belastbar.» sagten sie mir,

als ich, nachdem ich monatelang 1-2 Stunden Überzeit machte, ich so oft einsprang, dass ich nie mehr als einen Tag am Stück frei hatte, krank wurde.

«Du bist zu emotional»

sagten sie mir, als ich weinte, nachdem ich einen Bewohner in den Tod begleitet habe.

«Du bist zu emotional»

haben sie mir jedes Mal gesagt, wenn ich meinen Ärger darüber kundtat, dass wir monatelang am personellen Limit liefen und uns noch mehr Aufgaben aufgedrückt wurden.



Jahrelang habe ich versucht, es zu verändern.

Ich wollte so belastbar sein, wie es von mir erwartet wurde.

Ich wollte nicht emotional sein.



Und ich bin grandios gescheitert.

Es hat lange gedauert, bis ich begriff: So wie ich bin, bin ich richtig.

Heute stehe ich da, und sage, frei nach Bliggs und Marc Sways Song:



«Wir sind doch auch nur aus Mensch

Knochen und Fleisch.»

Mein Körper hat seine Grenzen, ich darf sie spüren und darf auf sie hören.



«Ein Herz das schlägt,

Seele und Geist»

Ich pflege, mit allem was ich habe. Mit meinem Wissen, meinem Können und vor allem mit meinem Herzen. Meine Emotionen gehören zu mir. Ein Betrieb, der meine Emotionalität als Makel sieht, ist nicht der Betrieb, in dem ich arbeiten will.


«Wieviel können wir geben,

Wieviel verträgt es?»

 Ich allein weiss, wieviel ich geben kann. Ich allein spüre, wo meine Grenzen sind. Auf Vergleiche lasse ich mich nicht ein. Es gibt, tatsächlich Kolleginnen und Kollegen, die mehr aushalten als ich. Das ist okay. Vielleicht bin ich tatsächlich weniger belastbar als andere. Doch ist es meine «Leistung oder Nichtleistung», dass dem so ist? Kann «Belastbarkeit» tatsächlich gemessen werden. Sind wir Pflegenden nicht grundsätzlich schon belastbarer, als jene, die sich diesen Beruf von vornherein nicht zutrauen? Seit ich meine Grenzen kenne und lebe, bin ich jedenfalls gesünder als jemals zuvor.

Ich selbst bezeichne mich als emotionalen Menschen, sehe das als meine Stärke an. Emotionen sind dazu da, sie zu durchleben und so zu transformieren. Nur so ist Entwicklung möglich. Und nur so können wir selbst fühlen, wieviel Kraft in uns ist.



«Einfach nur Mensch

Knochen und Fleisch»

Auch Pflegende sind genau das: Menschen, aus Knochen und Fleisch. Wir haben Grenzen und sie immer und immer wieder zu überschreiten ist Raubbau am eigenen Körper und der Seele. Es hat nichts mit nicht belastbar sein zu tun, wenn Pflegende auf ihre körperlichen und psychischen Grenzen hören. Es hat nichts mit emotional sein zu tun, wenn Pflegende weinen oder sich ärgern.

Es hat damit zu tun, dass wir sind, wer wir sind und was wir sind.



Meine Lieben, Ihr alle seid einzigartig, wunderbar und wundervoll! 
Häbet Sorg!



Eure Madame Malevizia.