Mittwoch, 30. Dezember 2020

Die Würde des Menschen als Priorität


 

Meine Lieben,

Eindrücklich und schmerzvoll erleben Pflegende gerade, wie Politikerinnen und Politiker auf kantonaler und Bundesebene versagen. Es gibt kein anderes Wort mehr dafür. Während es immer noch darum geht ob Skigebiete geöffnet oder geschlossen werden sollen, müssen sich Pflegende die Frage stellen: Was, wenn ich plötzlich alleine auf der Station stehe, weil alle anderen krank sind? Führungspersonen fragen sich, was mache ich, wenn ich keine einsatzfähigen Mitarbeiter mehr habe und alle anderen Möglichkeiten auch ausgeschöpft sind? Weder die Kantone noch der Bund scheinen darauf eine Antwort zu haben.

Diese Szenarien sind realistisch. Denn die Ressourcen sind tatsächlich so gering. Und bevor jetzt jemand kommt mit, «dann muss man halt…», soll jetzt bitte einfach kurz inne halten, die Augen schliessen und sich vorstellen, was wäre wenn… Diese Gefühle die jetzt aufkommen einfach mal 5 Sekunden fühlen und dann weiter lesen. Ist Ihnen dies nicht möglich, bitte ich Sie, diesen Text nicht weiter zu lesen, es ist Zeitverschwendung.

Ich bin nicht verantwortlich für diese Situation und es liegt nicht in meiner Macht, diese zu verändern. Und so setze ich nun Prioritäten, wie es eine solche Krisensituation auch verlangt. Meine oberste Maxime ist:

Ein würdiges Leben und Sterben ermöglichen.

1.     Für mich selbst

2.     Für meine Berufskolleginnen und – Kollegen

3.     Für die Menschen, die meine Pflege benötigen

Und zwar genau in dieser Reihenfolge. Denn wenn ich und meine Kolleginnen und Kollegen jetzt nicht alles tun um stark und gesund unseren Dienst tun zu können, wird es zappenduster. Doch gehen wir diese Punkte doch mal der Reihe nach durch. Im Wissen, dass dies meine Strategien und meine Haltung ist. Auch in der Hoffnung, Inspiration für andere sein zu können.

 

Für mich selbst

Ich bin mir selbst unendlich dankbar, dass ich in den letzten Jahren so viel in meine Persönlichkeitsentwicklung investiert habe. Ich weiss, was mir gut tut und jetzt wende ich es konsequent an.

An Freien Tagen/ vor dem Dienst

Alles was mich physisch und psychisch nährt, hat jetzt Vorrang. Ich sammle bewusst kleine «Kraftmomente». Gerade während ich schreibe, verströmt feine Räucherung ihren Duft. Eine Kerze brennt.

Einmal täglich nehme ich mir 30min. Zeit, um zu lesen, es hilf mir wunderbar, mir eine gedankliche Pause zu verschaffen.

Ich übe mich in Achtsamkeit und im Moment sein. Mit Vorliebe während meiner Gesichtspflege. Es hilf, mich selbst zu spüren und zu wissen, wie es mir geht.

Ich sorge dafür, dass ich die Möglichkeit zur emotionalen Entlastung habe. Entweder im Austausch mit Kolleginnen und Kollegen, im Kontakt zu meiner Coach oder im aufschreiben meiner Gedanken.

Während dem Dienst

Es gibt gewisse Bonbons, die ich mitnehme, die mir helfen, mich wieder zu spüren, wenn ich zu sehr ins rotieren komme.

Auch da halte ich den Fokus möglichst auf dem, was ich gerade tue.

Ich atme immer wieder bewusst ein und aus, lächle halte kurz inne und mit einem «Let’s go» geht es weiter im Text.

 

Nach dem Dienst

In Gedanken schliesse ich ganz bewusst die Türen der Patientenzimmer.

Auf dem Nachhauseweg höre ich meist eine geführte Meditation (ich benutze ÖV), die mir hilft abzuschliessen.

Zuhause schreibe ich noch kurz auf, was hängen geblieben ist.

Ich gönne mir was feines. Etwas Schokolade zum Beispiel oder auch mal ein gutes Glas Wein.

 

Dies sind meine persönlichen Prioritäten. Haushalt, Wäsche und was es sonst noch so gibt, was «frau» sollte, ist auf das absolute Minimum, sprich auf die Erfüllung meiner Grundbedürfnisse reduziert.

Für meine Berufskolleginnen und Kollegen

Pflegende kennen das Leid. Wir alle haben es schon gesehen und ausgehalten. Darum gibt es eine Verbindung zwischen uns. Egal, ob wir uns kennen oder nicht. Klingt vielleicht etwas übersinnlich. Doch ich bin Pflegehexe, ich darf das. Ich spüre diese Verbindung und nähre sie bewusst mit positiver Energie. Pflegende jetzt zu stärken, hat deshalb für mich ebenfalls Priorität.

Darum gibt es seit Beginn der 2. Welle das Mutkraftlicht auf meiner Facebook – Seite. Immer morgens poste ich ein Bild, ein Lied einen Gedanken, der Mut, Kraft und Licht geben soll. Aktuell bin ich bei Mutkraftlicht Nr. 66. Ich werde bis 100 machen und dann etwas neues, dass Pflegende unterstützt beginnen.

Ich bin auch da, um emotionale Entlastung zu ermöglichen. Zum einen in der Gruppe «Lagerfeuer für die Pflege Schweiz», zum anderen aber auch in meinem Umfeld. Ich höre zu, tausche aus, halte mit aus.

Ebenfalls ist meine bloggerische Tätigkeit für meine Kolleginnen und Kollegen. Ich versuche, für sie Stimme zu sein in der Öffentlichkeit. Ich bin überzeugt, nur wenn der öffentliche Druck gross genug ist, wird sich kurz – sowie langfristig etwas an unserer Situation ändern. Diese zu verändern, liegt nicht in meiner Macht, aber ich kann weiterhin sagen, was ich erlebe und fühle. Und ich lasse mir auch von keinem dem Mund verbieten!

 

Die Menschen, die meine Pflege benötigen

Sie kommen keineswegs unter fernerliefen. Denn Priorität 1 und 2 sind die Bedingung, dass ich Priorität 3 gewährleisten kann.

Es geht jetzt darum diesen Menschen ein würdiges Leben und Sterben zu ermöglichen. Das ist die Maxime, daran orientiere ich mich. Alles, was nicht in diese Maxime gehört, ist zur Zeit einfach nicht wichtig.

Und genau das kommuniziere ich, den Betroffenen selbst, ihren Angehörigen, den intersdisziplinären Diensten.

 

Zum Schluss möchte ich an alle Menschen appellieren. Egal wo Ihr gerade stehen. Bitte, setzt jetzt für Euch Eure Prioritäten und lebt sie. Vielleicht mögt Ihr diese auch nach Aussen kommunizieren und andere mit Euren Ideen inspirieren. So kann jeder von uns diese Krise zur Chance werden lassen.

In Verbundenheit

 

Madame Malevizia

Dienstag, 8. Dezember 2020

Werte Damen und Herren Bundesräte - Werte Damen und Herren Ständeräte - Werte Damen und Herren Nationalräte


 

Ich schreibe Ihnen, weil ich der Meinung bin, dass dies als Bürgerin und Pflegefachfrau dieses Landes meine Pflicht ist. Es ist meine Pflicht, Ihnen mitzuteilen, dass etwas in unserem Land gerade schiefläuft und Sie dafür verantwortlich sind.

Während Sie sich in Schutzmassnahmen versteigen, die längst nicht mehr nachvollziehbar sind (aktuell sind wir bei: „Bleiben Sie zuhause“ und „wir öffnen die Skigebiete“) verschliessen Sie aktiv die Augen vor dem eigentlichen Problem: Unser Gesundheitswesen fliegt uns immer mehr um die Ohren. Denn genau das tut es und es lässt sich auch nicht mehr wegdiskutieren. Dass positiv getestete Pflegende weiterarbeiten (müssen) und so die ohnehin schon vulnerablen Personen gefährdet werden, ist ein eindrücklicher Beweis des schon vor der Pandemie bestehenden Fachkräftemangels. Ich habe darum auch absolut kein Verständnis mehr für jene unter Ihnen, die jetzt noch die Stirn (ich könnte auch sagen, die Frechheit) haben, in eine Kamera hineinzusprechen und zu erklären: «Die Pflegenden sollen mal nicht so tun, die haben ja einen sicheren Job und genügend Lohn». Darum geht es jetzt gerade nicht. Es geht darum, dass der Personalmangel so gross ist, dass wir die uns anvertrauten Personen nicht mehr ausreichend versorgen können. Damit meine ich nicht, dass sie zu spät ihrem bestellten Tee bekommen. Damit meine ich, dass ich und meine Kolleginnen nicht mehr für physische und psychische Unversehrtheit garantieren können. Um es ganz deutlich zu machen: Während sie sich auf der Nebenbühne austoben, sterben auf der Hauptbühne Menschen. Dem hilflos zusehen zu müssen, tut weh und ist mehr als das, was wir alle in unserer Ausbildung gelernt und von uns erwartet werden kann. Der eine oder die andere von Ihnen wird jetzt wieder mit dem Argument kommen, dass es dieser oder jener Branche doch auch schlecht geht. Ja, das ist so. Das spricht Sie jedoch nicht von Ihrer Verantwortung gegenüber den Menschen, die auf unser Gesundheitswesen angewiesen oder in diesem tätig sind, frei.

Immer mehr meiner Kolleginnen und Kollegen äussern sich in der Öffentlichkeit und machen deutlich, in welcher Notlage sich unser Berufsstand befindet. Und anstatt, ihnen zuzuhören, tun Mitglieder Ihrer Räte sie als «Jammeris» ab oder machen sie lächerlich. Ich frage Sie, ist das einer Regierung unseres Landes würdig? Ist das alles, was Sie können?  

Ich persönlich trete täglich an, um für die Menschen da zu sein. Und genau das ist auch meine Motivation diesen Brief zu schreiben. Ich bin sicher, auch Sie treten täglich für etwas an und ich kann mir nicht vorstellen, dass dieses etwas «möglichst wieder gewählt zu werden und mich darum ja nicht exponieren» heisst. Ich rufe Sie deshalb auf, endlich mutig «grosse» Entscheidungen zu treffen, zum Wohle unseres Landes.

Im Gesundheitswesen sind das:

1.     Eine grossangelegte Hilfsaktion mit Armee und Zivilschutz, um diese Krise zu überstehen. Dabei ist es zentral, dass alle Betriebe, die Bedarf haben, diesen auch erhalten. Um das herauszufinden, muss mit den Leuten der Basis gesprochen werden. Nämlich mit den Stationsleitungen oder zumindest den Pflegedienstleitungen. Mit ihnen kann dann auch festgestellt werden, wo und wie diese Hilfe geleistet wird. Die zentrale Frage muss sein, wie können wir die Fachkräfte entlasten, dass sie ihren Dienst tun können?. Das könnte auch die Kinderbetreuung von Fachkräften beinhalten, oder die Beschaffung von Nahrung für jene.

 

2.     Eine langfristige Strategie, um ausreichend Fachkräfte auszubilden und im Beruf zu halten. Mit der Pflegeinitiative liegen dazu griffige Massnahmen bereits auf Ihrem Tisch.

Was das kostet? Einiges an Geld ja, aber deutlich weniger Menschenleben und Existenzen, als Ihr momentanes Vorgehen. Das ich beim besten Willen nicht Strategie nennen kann.

Hiermit habe ich Ihnen nun mitgeteilt, wozu ich mich verpflichtet fühle. Was Sie damit machen, ist nun in Ihrer Verantwortung. Ich möchte aber noch einmal ganz deutlich sagen: Unser Gesundheitswesen ist kurz vor dem Zusammenbruch. Ich lehne ab sofort jegliche Verantwortung für diesen Umstand ab.

Ich bitte Sie, keine Zeit mit Antworten im Sinne von «wir schauen ja schon, ist alles nicht so schlimm» oder ähnlich zu verschwenden. Nutzen sie diese Zeit, um Ihren Job zu tun. Ich werde ganz bestimmt merken, wenn Sie dies endlich tun. Für Verständnisfragen stehe ich selbstverständlich gerne zur Verfügung.

Mit freundlichen Grüssen

 

Madame Malevizia.