Montag, 25. Oktober 2021

Pflege ist eine Kunst

 


Meine Lieben,

Ich gehöre zu den 30% der überprivilegierten Pflegefachpersonen HF. Das wäre jedenfalls so, entspräche diese Aussage von Martina Bircher der Wahrheit. Von Privilegiert merke ich jedenfalls nichts. Ich arbeite nämlich an der Basis, Verfügbarkeit 365 Tage im Jahr, managen sämtlicher kritischen Situationen, Überleben im Hochstressbereich inklusive. Da ist nichts von Privileg, da ist alles unter einen Hut kriegen angesagt. Es wird getan, was anfällt und zu oft reicht es nicht für das.

Abgeleitet wird diese Aussage von zwei Mythen die sich vor allem in bürgerlichen Parteien hartnäckig halten. Ich möchte diesen gerne die Realität gegenüberstellen.  

„Pflege braucht keine Studierten“

Wer so eine Haltung vertritt, zeigt vor allem wie inkompetent er in dieser Thematik ist. Pflege hat nichts mit instinktivem Wissen zu tun, Pflege wird gelernt. Sie ist nicht irgendein konzeptloses herumwaschen. Pflege hat System, Pflege ist komplex, egal wo sie ausgeführt wird. Ja, auch resp. vor allem im Pflegeheim. In meiner gesamten pflegerischen Laufbahn ist mir noch nie eine Patient:in oder eine Bewohner:in begegnet, die nur eine einzige medizinische Diagnose hatte. Die Zusammenhänge zwischen diesen muss man sehen können. Die Symptome dieser Krankheitsbilder, die sonstige physische, die psychische und die soziale Situation der Patient:innen spielen in der Pflege eine Rolle, und müssen berücksichtigt werden.

Und wie, um alles in der Welt, soll Pflege in einer Welt, in der sich alles um Zahlen dreht, messbar und beweisbar werden, wenn nicht durch Studien? Studien, die von Pflegenden mit Masterabschluss durchgeführt werden müssen, weil ich als Pflegefachfrau am Patientenbett gar nicht weiss, wie ich eine solche durchführen soll, damit diese auch wirklich aussagekräftig ist.

Ich empfinde es als grosse Bereicherung, dass es jedem Interessierten möglich ist, in die Pflege einzusteigen. Die Ausbildungen sind von Stufe zu Stufe durchlässig. Der Weg Assistentin Gesundheit – Fachfrau/Frachmann Gesundheit – Pflegefachfrau/Pflegefachfmann HF – Bachelor – Master ist möglich. Das ist eine Stärke dieses Gebietes, es bietet viele Perspektiven.

„In der Pflege braucht es nur ein gutes Herz“

Diesen Mythos höre ich oft und ich gebe immer diese Antwort: „Es braucht Kopf, Herz und Hand!“ Es braucht einen Kopf, der vernetzt denken kann, eine schnelle Auffassungsgabe hat und über nötiges Fachwissen verfügt.  Ohne Frage, es braucht auch ein Herz, das für die Menschen schlägt. Und es braucht Hände, die pflegerische Verrichtungen geschickt ausführen können. Das eine ohne das andere ist in der Pflege nichts!

Es als Lösung zu sehen, die Anforderungen der Ausbildung einfach zu senken, ist nicht nur kurzsichtig, sondern auch fahrlässig. Einfach nur Hände zu «schaffen», reicht nicht aus.

 

Eure Madame Malevizia


Donnerstag, 14. Oktober 2021

Verfassung oder nicht, links oder nicht, dass ist NICHT DIE FRAGE

 


Meine Lieben,

Folgendes Statement habe ich heute auf Twitter gehört:

«Man will für eine einzige Berufsgruppe die Arbeitsbedingungen in die Verfassung schreiben. Die linke, gewerkschaftliche Pflege – Initiative gehört gebodigt.»

Das Statement kommt von Martina Bircher (SVP). Ich möchte mich dazu äussern:

In der Schweiz herrscht ein Fachkräftemangel in der Pflege, der mittlerweile von niemandem, der seine fünf Sinne zusammen hat, bestritten werden kann. Ich möchte in diesem Blog nicht darüber schreiben, welche gravierenden Folgen dies für unsere Gesundheitsversorgung hat. Nur so viel: Es geht um Leib, Leben und Würde jener, die auf unser Gesundheitswesen angewiesen sind, ebenso wie um jene, die darin arbeiten

Zustande gekommen ist der Fachkräftemangel, weil, 1. zu wenig Pflegefachpersonen ausgebildet werden und 2. die ausgebildeten Pflegefachpersonen den Beruf früh wieder verlassen.

Das ist weiss die Politik nicht erst seit gestern. Etwas dagegen tun? Fehlanzeige! Im Gegenteil. Munter wurde und wird die Verantwortung zwischen Bund, Kantonen und Arbeitgebern hin und her geschoben. Seit Jahrzehnten. So lange, bis es den Pflegenden gereicht hat. Zusammen mit ihrem Berufsverband, einzelnen Politikerinnen und Politikern wurde die Pflegeinitiative lanciert und innerhalb von acht(!) Monaten die erforderlichen Unterschriften eingereicht.

Ich möchte daran erinnern: Die Volksinitiative ist das einzige Instrument der Bürgerinnen und Bürger direkt Einfluss zu nehmen und das geschieht immer in Form einer Verfassungsänderung.

Ich erachte es als scheinheilig, wenn nun argumentiert wird: «Das gehört aber nicht in die Verfassung!» Hätte die Politik ihre Verantwortung wahrgenommen, wäre die Initiative ja auch nicht nötig geworden.

Über 40 Prozent der Pflegenden verlassen den Beruf frühzeitig, ein Drittel von ihnen ist jünger als 35 Jahre. Diese Zahlen stammen aus dem Obsan Bericht 2021. Wer lösungsorientiert denkt, macht sich Gedanken darüber, wie die Berufsverweildauer verlängert werden kann. Gelingt dies nicht, wird eine Ausbildungsoffensive nämlich nicht den gewünschten Effekt haben. Arbeitsbedingungen, die ein Privatleben, ein Familienleben, ein gesundes Leben ermöglichen sind da einfach essenziell. Viele Pflegende steigen frustriert und erschöpft aus dem Beruf aus. Sie müssen ihren Beruf, den sie so sehr leiben aufgeben, weil die Bedingungen sie krank machen. Wenn also die Berufsverweildauer erhöht werden soll, und das muss sie, um den Fachkräftemangel nachhaltig zu beheben, müssen auch die Arbeitsbedingungen angepasst werden.

Mit der Pflegeinitiative kommt die Frage «Wie sollen Kranke, Verletzte, gebrechliche Menschen in der Schweiz versorgt werden?» Da hin, wo sie hingehört. In die Gesellschaft und in die Gremien, die diese gestalten.

«Die linke, gewerkschaftliche Pflegeinitiative gehört gebodigt.».

An dieser Aussage, stören mich zwei Worte: Das erste ist «links». Ich bin Mitglied eines Lokalkomitees (Grüsse an euch, meine Lieben!). Darin vertreten sind Aktive aus:  FDP, SP, Glp, Unia, SBK; sie sind Lehrerinnen, Bürofrauen, Pflegende, Pensioierte, Frauen Männer etc. Ich unterhalte mich ebenfalls  mit Leuten von der jungenSVP, die sich sehr für die Pflegeinitiative einsetzen. Warum ist das so? Weil sie alle begriffen haben, dass wir ein gemeinsames Problem haben: Der Fachkräftemangel in der Pflege.

 

Das zweite Wort, das mich nicht nur stört, sondern verärgert, ist «gebodigt». Synonym könnte auch «niedergemäht», «plattgewalzt» oder «abgeschmettert» benutzt werden. Und das wird mit seit Jahren mit den Anliegen dieser Berufsgruppe gemacht. Geht dieser Umgang weiter, liegen nicht nur die Menschen dieser Berufsgruppe am Boden. Nein, unser Gesundheitswesen wird mit Vollgas an die Wand gefahren.

Eure Madame Malevizia


Mittwoch, 6. Oktober 2021

Weil es so ist, wie es nicht sein darf



Manuela Weichelt (Grüne) beschreibt in ihrer Rede im Parlament Zustände, von welchen sie Kenntnis hat. Das Video wurde auf Social Media x – fach geteilt. Und so dauerte es auch nicht lange, bis jemand sich gemüssigt fühlte, zu kommentieren, dass es ganz bestimmt noch nicht so schlimm sei.

Dieser Kommentar hat mich von 0 auf 100 schnellen lassen. Doch! Es ist genau so schlimm! Die Beispiele, welche Manuela Weichelt nennt, sind mir nur allzu bekannt, nur sind sie selten in einem Stufenplan schriftlich festgehalten. Wenn bei einer ohnehin schon dünnen Personaldecke, die einerseits dem Fachkräftemangel geschuldet ist, andererseits aber auch von den Betrieben aus Spargründen in Kauf genommen wird, Pflegende ausfallen, hat das Konsequenzen. Denn auch Pflegende haben nur zwei Hände, zwei Füsse, einen Kopf und das alles ist zusammengewachsen. Solche Tage laufen unter dem Motto: „Das Ziel ist, dass am Schluss alles noch atmet, was noch atmen soll.“

An solchen Tagen werden Blasenkatheter belassen, weil nicht garantiert werden kann, dass jemand Zeit haben wird, den betreffenden Menschen auf die Toilette zu begleiten, damit dieser sein Grundbedürfnis stillen kann.

Da wird auf die Ausscheidung im Bett bestanden, weil eine Begleitung auf die Toilette zu zeitintensiv wäre.

Da liegen Menschen sehr lange in ihren Ausscheidungen, weil sie frisch zu machen zuunterst auf der Prioritätenliste der Pflegenden steht.

An Körperpflege ist schon gar nicht zu denken. Maximal Intimpflege, wenn es hochkommt.

Prophylaxen wie Gehtraining, Atemübungen, durchbewegen, lagern können nicht durchgeführt werden.

Was statt dessen gemacht wird? Vitalzeichen gemessen, Medikamente verabreicht, per os und i/v, Blut abgenommen, Visite gemacht, Schmerzreserven verabreicht, Notfallmassnahmen eingeleitet, durchgeführt. Kriseninterventionen gemacht, koordiniert, dokumentiert. Studierende betreut, so gut es eben geht. Das Ganze mitunter als einzige Fachperson, zuständig für bis zu 20 Menschen. So sieht es im Akutspital aus. Im Pflegeheim wird an diesen Tagen „satt und sauber“ praktiziert. In den Psychiatrien wird sediert, anstatt mit Gesprächen durch die Krise begleitet.

Ihr meint, das seien doch bestimmt nur einzelne Tage. Ich kann euch nicht beruhigen. Das ist manchmal über Wochen der Normalzustand. Und genau darum sind die Pflegenden zunehmend am Anschlag. Genau darum steigen so viele aus.

Solche Tage durchzustehen sind, wenn frau es genau und in Ruhe betrachtet, der Horror. Für die Pflegenden genauso wie für die Patienten.

Und da kommt dieser Kommentar auch her. Vom „nicht wahr haben wollen.“ Vom „nicht aushalten können“ und darum auch nicht „hinsehen wollen.“ Ich mache da nicht mehr mit! Ich habe die Schnauze gestrichen voll davon, mit diesem Scheiss alleine gelassen zu werden! Der Pflegenotstand geht alle etwas an. Er gehört auf den Tisch und gründlich untersucht. Ich rufe deshalb alle meine Kolleginnen und Kollegen auf, leidet nicht mehr still vor euch hin! Werdet mit mir zusammen laut und nennt die Dinge beim Namen! Die Bevölkerung muss ein genaues Bild davon haben, was im Gesundheitswesen abgeht. Es muss klar sein, warum ein Ja zur Pflegeinitiative so elementar ist. Die Pflegeinitiative ist ein Weg vom Ziel: „Es atmen noch alle, die atmen sollen“ zum Ziel: „Die Pflege ist ein wichtiger Player im Gesundheitswesen, sie wird als da wahrgenommen und kann ihre Arbeit nach bestem Wissen und Gewissen leisten.“

Ich danke bereits jetzt, für  euer„Ja zur Pflegeinitiative“.

 

Madame Malevizia