Samstag, 27. November 2021

Auf der Kreuzung


 

morgen treten wir auf dem Weg zu einer würdigen Pflege auf eine Kreuzung und werden sehen, welche Wege uns offen sein werden.

Ein langer intensiver Wegabschnitt geht zu Ende. Für mich, die ich die Pflegeinitiative seit ihrer Lancierung unterstütze und begleite, für unseren Berufsverband SBK, die Unia, das Initiativkomitee, die Politiker:innen, die sich für die Initiative stark gemacht haben und natürlich alle die Pflegenden, die vor allem in den letzten Wochen ihre Freizeit, ihre Kreativität, ihr Herzblut gegeben haben um einen Abstimmungskampf zu führen, den die Schweiz noch nicht gesehen hat. Ein Abstimmungskampf, der getragen war, von Pflegenden, die an der Basis arbeiten, die auf der Strasse und auf allen Social Media Kanälen für ihren Beruf eingestanden sind. Ich bin unglaublich stolz und dankbar für alle diese Menschen, die diesen Mut haben.

Auf einer Kreuzung zu stehen, ist auch ein guter Moment zurück zu blicken. Ich tue das heute voller Dankbarkeit.

Ich sage danke.

Als Erstes meiner Familie, die mich über alle die Jahre unterstützt haben. Meiner geliebten Mami, die leider nicht mehr bei uns ist, die immer an mich geglaubt hat. Ich weiss, du bist stolz auf mich. Meinem Pa, der mich mit so vielem versorgt hat. Danke, dass du da bist.  Meiner kleinen Schwester Désirée, der besten Bloggerin, die ich kenne, die mich ermutigt und mit der ich mich immer austauschen kann. Glaube an dich. Meiner grossen Schwester, Angelika, die mich an Demos begleitet hat und mich auch immer wieder mit Informationen von der Basis versorgt. Ich freue mich, morgen mit dir zu feiern. Meinem kleinen Bruder Benjamin, für sein da sein. Du gibst alles für unseren Beruf. Euch zu haben, ist das wichtigste für mich.

Meinem Liebsten Robin, der mich immer wieder herausgefordert, die Dinge von verschiedenen Seiten zu sehen. Du bist mein Halt und mein Fels, du bringst mich immer wieder auf den Boden.

Meiner «Hebamme» Anna, die mich bei meinen ersten Schritten als Pflegehexe begleitet hat. Auch wenn wir uns nur selten sehen, gehörst du in mein Leben.

Edith, die mir immer wieder Taxi ist, sich als Übersetzerin betätigt und mich an ihrem Erleben als Pflegefachfrau FA IPS teilhaben lässt. Für immer uf di!

Cornelia, meiner Seelenschwester und Lebenslehrerin, die in den Dunkelsten Stunden für mich da war und einen grossen Anteil daran hat, dass ich den Weg bis zur Kreuzung als Madame Malevizia gehen konnte. Ich weiss, da kommt noch so viel mehr.

Den Krieger:innen vom SBK

Christina, meiner Schwester im Geiste, mit der ich stundenlang telefonieren und austauschen kann. So oft hat sie mich mit ihren klaren Worten ermutigt, ebenfalls klar zu bleiben. Dich kennen gelernt zu haben, ist das Schönste, was mir auf Social media passiert ist. 

Den Frauen vom SBK Bern, Flurina, Ariane, Manuela,  die mir in der «Schrittmacherin» eine Plattform bieten. Die mich mit Informationen versorgen, meine Fragen beantwortet haben. Ihr seid grossartig.

Yvonne Ribi, die mit so viel Leidenschaft für die Pflege kämpft und ruhig bleibt, wenn ich schon längst im Viereck springen würde.

Ihr seid alle der Hammer! Ihr habt so viel geleistet!

Den Politiker:innen, Manuela Kocher – Hirt, Barbara Gysi, Flavia Wasserfallen, und so vielen mehr, die sich für die Pflegeinitiative stark gemacht haben.

Patrizia Tamborrini, die seit Beginn aktiv mit dabei war und mir viele Kontakte ermöglichte, danke für die Vernetzung.

Den Mitgliedern des Lokalkomittees Herzogenbuchsee- Langenthal: Danke für eure Zeit und euren Einsatz. Ihr wart wunderbar!

Allen Pflegenden, die in den letzten Jahren, Wochen und Tagen aktiv waren, um eine Veränderung in der Pflege herbeizuführen. Unser Weg geht weiter, und ich bin stolz, ihn mit euch zusammen zu gehen.  

Eure Madame Malevizia

Samstag, 6. November 2021

Der Unterschied

 


In den letzten Tagen wurde viel über die Pflege geschrieben. Vor allem darüber, wie viel es kosten wird, sollte die Pflegeinitiative angenommen werden. Ich könnte jetzt schreiben, dass es ja auch eine Option wäre, mal genau hinzusehen, wohin das Geld im Gesundheitswesen hingeht. Fun Fact: In die Pflege geht es nicht. Ich könnte schreiben, dass in Studien belegt ist, wie viel Geld eingespart werden könnte, wenn ich genug Kolleginnen hätte.

Gleichzeitig werden Diskussionen geführt, ob unser Lohn den nun angemessen sei. Ich könnte nun anbringen, dass dieser Medianlohn, welcher immer wieder zitiert wird, nicht stimmen kann.

Es wird der Pflege unterstellt, dass sie einen «Sonderzug» fahren will, dass Lohn und Arbeitsbedingungen nicht vom Bund vorgeschrieben werden kann. So argumentiert beispielsweise der Bundesrat. Ich könnte jetzt sagen, dass ich unserer Regierung doch etwas mehr Fantasie zugetraut hätte, denn niemand sagt, dass dies bei einer Annahme der Initiative genau so gemacht werden muss.

In vielen Zeitungen kam ein Bericht, der suggeriert: Der Gegenvorschlag ist so super, noch mehr zu wollen ist unverschämt. Ich könnte jetzt schreiben, dass es halt einfach nicht reicht, nur auszubilden und nicht zu schauen, dass die Ausgebildeten dann auch noch im Beruf bleiben. Ich könnte erneut erklären, dass nur so viel ausgebildet werden können, wie es auch Berufsbildnerinnen gibt. Ich könnte anbringen, dass auch der Gegenvorschlag nicht sofort umgesetzt werden kann, weil nicht alle Kantone dieses Geld sofort sprechen werden. Und ich könnte erläutern, dass eine Ausbildungsoffensive über acht Jahre ein Tropfen auf den heissen Stein ist.

Doch das tue ich nicht. Statt dessen möchte ich daran erinnern, über wen wir gerade diskutieren. Nämlich über Pflegende, die mit nichts ersetzbar sind, weil wir nämlich der Unterschied sind.

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Wir machen den Unterschied zwischen Leben und Tod.“

Denn genau das tun wir Pflegefachpersonen.

Es ist die Pflegefachperson, die Frischoperierte überwachen.

Es sind die Pflegefachpersonen, die bei einem Volumenverlust und den damit zusammen hängenden Blutdruckabfall als erste reagieren

Es sind die Pflegefachpersonen, die den durchgebluteten Verband bemerken.

Es sind die Pflegefachpersonen, die allergische Reaktionen auf Medikamente oder Bluttransfusionen als erste registrieren.

Es sind die Pflegefachpersonen, die eine Atemnot bemerken und erste Schritte einleiten.

Es sind die Pflegefachpersonen, die um frühe Mobilisation, besorgt sind, um Thrombosen und ihre Folgen zu verhindern.

Es sind die Pflegefachpersonen, welche die Hautverhältnisse überwachen, damit Dekubiti vermeiden, sowie Hauterkrankungen wie Pilze oder ähnliches erkennen.

Es sind die Pflegefachpersonen, die an den heissen Tagen darum besorgt sind, dass alte Menschen genügend Flüssigkeit erhalten.

Es sind die Pflegefachpersonen, die bemerken, wenn aus einer Drainage nicht die Flüssigkeit herauskommt, die laut seiner Lage normal wäre.

Es sind die Pflegefachpersonen, welche die Suizidgefahr bei psychisch kranken Menschen einschätzen und sie, wenn nötig in Sicherheit bringen.

Es sind Pflegefachpersonen, die in der Psychiatrie akute Krisen auffangen. Und Menschen in solchen Krisen durch ihre persönliche Hölle begleiten.

Es sind die Pflegefachpersonen, die bei einem Herzkreislaufstillstand mit der Reanimation beginnen, bis das REA – Team da ist.

 

Wir sind der Unterschied zwischen würdigem oder unwürdigem Leben und Sterben“

Es sind die Pflegefachpersonen, die Sterbende und ihre Angehörigen bis zum letzten Atemzug und darüber hinaus begleiten. Die dafür sorgen, dass Sterbende keine Angst, keine Schmerzen und keinen Durst leiden müssen.

Es sind die Pflegefachpersonen, die sich darum kümmern, dass Inkontinenzeinlagen gewechselt werden, dass demente Menschen, die Toilette finden, dass von Kot und Urin verschmutzte Betten frisch bezogen werden.

Es sind die Pflegefachpersonen, die bei depressiven Menschen so lange dran bleiben, bis diese die Kraft aufbringen, ihre persönliche Körperpflege durchzuführen.

Es sind die Pflegefachpersonen, welche die Autonomie von pflegebedürftigen Menschen wahren.

Das alles und noch viel mehr tun Pflegefachpersonen. Sie tun es, unter massivem Zeit – und Kostendruck, der häufig ungefiltert an sie abgegeben wird.

Dies alles zu tun, erfordert nicht nur ein fundiertes Fachwissen und Können, es erfordert auch Herz und seelische Substanz.

 

Wie viele dieser «Unterschiede» weiterhin in unserem Gesundheitswesen tätig sein wollen und können, darum geht es am 28. November. Wie dieser «Unterschiede» ihren Dienst tun können, wie es für ein würdiges Leben und Sterben notwendig ist, darum geht es am 28. November. Dass diese «Unterschiede» gesund sein und ihre Leistungen voll abrufen können, darum geht es am 28. November.

Wir können jetzt in diese abstrakte Zahlenwelt abdriften, weil viele das besser ertragen können. Weil es einfacher ist, zu sagen: «Das können wir uns nicht leisten», anstatt zuzugeben: «Wir sind nicht bereit für einen wirklichen Game Change im Gesundheitswesen.»

 

Madame Malevizia


Donnerstag, 4. November 2021

Von Sarkastien über Ironien zum bitteren Ernst

 


Folgende Aussage habe ich auf Twitter gelesen: «Im Pflegebereich arbeitet kaum jemand 100%. Mit Annahme der Pflegeinitiative würden viele Angestellte ihr Pensum noch weiter reduzieren und damit diese wichtige Arbeit überproportional verteuern.» Würde ich einen Preis für das originellste Gegenargument vergeben, dieses hier käme in die engere Auswahl.

Es ist nicht nur originell, weil es einfach eine verdrehte Logik aufweist. Es ist vor allem dreist. Übersetzt heisst es: «Menschliche Arbeitsbedingungen in der Pflege sind nicht möglich, weil es zu teuer ist. Malocht gefälligst weiter!» Der Autor dieses Tweets, ja es ist ein Mann, scheint eines vergessen zu haben: Die Sklaverei wurde schon vor Jahrhunderten abgeschafft.

Bisher habe ich von genau denselben Leuten, wenn es um den tiefen Lohn ging, immer gehört: «Der Markt spielt. Wenn ihr schlechte Löhne habt, dann weil ihr nicht gut genug verhandelt.» Und jetzt will man(n) plötzlich nichts mehr von Markt wissen. Pflege muss billig bleiben. Wo kämen wir denn da hin, wenn Betriebe plötzlich die Pflegeleistungen adäquat abbilden könnten? Die Folge wäre nämlich Geld, welches ins eigene Personal investiert werden könnte. Wie entsetzlich! Was für eine Katastrophe, wenn Pflegende das Spiel beenden würden und nicht mehr so viele Dinge für «Gottes Lohn» resp. Für Applaus tun würden, wie dies jetzt der Fall ist?

Ihr merkt, es fällt mir schwer ernst und sachlich zu bleiben. Solche Aussagen treiben mit regelmässig auf die Palme. Dennoch möchte ich hier noch ganz ohne Sarkasmus sagen:

Es stimmt, viele Pflegenden reduzieren ihr Pensum, weil 100% einfach nicht zu schaffen sind. Sie sind nicht zu schaffen, weil auf die vielen Arbeitstage und wenig Freizeit, auch noch viele Überstunden kommen. Ich spreche nicht von «mal eine Stunde länger bleiben». Ich spreche von täglich mindestens eine Stunde Überzeit. Das hält auf die Dauer niemand aus. Da auch Pflegende «aus Mensch» sind, ziehen viele irgendwann die Notbremse. Wer es sich leisten kann, reduziert das Pensum. Die Lohneinbusse ist gewaltig. Nicht alle können sich das leisten. Eine Familie kann mit einem Gehalt von 80% jedenfalls nicht ernährt werden. Und so bleibt jenen, die nicht reduzieren können, nur ein Weg: Der Ausstieg aus dem Schichtdienst und somit von der Basis.

Ich will nicht verheimlichen: Am 28. November geht es auch um Geld. Es geht um die Frage: Wieviel ist uns unsere eigene Gesundheit, unsere Würde und die der Pflegenden Wert?