Wenn
wir ihnen nicht widersprechen, werden Behauptungen zur Wahrheit. Und genau deshalb
beziehe ich Stellung zu einem Gastkommentar, der plötzlich in meiner Timeline auftauchte.
Geschrieben hat diesen ein Herr Manuel Ackermann, Leiter Public Affairs santésuisse.
Was genau den Herrn dazu qualifiziert, über die Pflege zu sprechen, erschliesst
sich mir nicht ganz, aber das muss es auch nicht. Jede:r darf seine Meinung
äussern und das werde ich nun auch tun. Denn ich habe keine Lust mehr, dass jeder
frisch fröhlich einfach irgendetwas behaupten kann, wenn es um de Pflegenotstand
geht. Dabei beziehe ich mich auf folgenden Text:
"Pflege mit Augenmass weiterentwickeln - Gastkommentar
Die Covid - 19 Pandemie hat gezeigt, wie wichtig die Pflege für eine leistungsfähige Gesundheitsversorgung ist. Gefragt waren insbesondere hochqualifizierte Pfleger:innen in Berufen wie beispielsweise der Intensivpflege.
Manuel Ackermann, Leiter Public Affairs Santésuisse
Die grösste Herausforderung für die Pflege ist aber nicht die ausserordentliche aktuelle Krisensituation, sondern die demografische Entwicklung und der steigende Bedarf an zusätzlichem Personal in der Grundpflege. Ab 2030 wird mit einem Höhepunkt an Pflegebedürftigen gerechnet, darum werden wir in der Schweiz deutlich mehr Pflegepersonal benötigen. Zur Sicherstellung der Grundpflege sind insbesondere Fachangestellte Gesundheit und Pflegehelfer:innen SRK gefragt. Bei der Ausbildungsoffensive, die das Parlament beim Gegenvorschlag zur Pflegeinitiative ausgearbeitet hat, muss der Fokus auf die Ausbildung dieser Berufsgruppen gelegt werden. Die Ausbildungsoffensive soll nicht nur zu mehr diplomierten Pflegfachleuten führen, sondern allen Pflegeberufen zu Gute kommen. Einer weitergehenden Autonomie der Pflegefachleute mit eigenen Anordnungskompetenzen - d.h. ohne ärztliche Anordnung- hat das Parlament im Rahmen des indirekten Gegenvorschlags bereits zugestimmt, allerdings mit klaren Leitplanken. Diese braucht es in Form eines Kosten - und Mengenmonitorings sowie Korrekturmassnahmen, die bei unerklärbaren Mengenausweitungen greifen würden. Letztlich kann die Zufriedenheit der Berufsleute nur sehr begrenzt auf gesetzlicher Ebene geregelt werden. Hier sind die Kantone gefordert, die für die Versorgungsplanung verantwortlich sind."
Zuallererst,
bevor ich mit dem eigentlichen Inhalt beschäftige, möchte ich eines klar
stellen: Dieser Text ist von A – Z eine absolute Frechheit und zeigt vor allem
eines: Die Ignoranz der Santésuisse gegenüber der Pflege! Ein solches Verhalten
ist schon grundsätzlich inakzeptabel. Ich weiss nicht, ob Herr Ackermann es
wirklich nicht weiss, oder die Pflegefachpersonen FA Intensivpflege absichtlich
degradiert. Es heiss nicht Pfleger:in! Pflegerin ist der Titel einer (alten) 2
Jährigen Ausbildung (war vor allem in der Langzeitpflege tätig). Er spricht
aber von Pflegefachpersonen mit einer insgesamt 5 (!) jährigen Ausbildung.
Der
von ihm angesprochene Fachkräftemangel bestand schon vor der Pandemie. Die
Pandemie war jetzt einfach noch der Durchlauferhitzer welcher die Situation
zusätzlich aufgeheizt hat. Und das in ALLEN Bereichen. Darüber alleine könnte
ich einen Blog – Beitrag verfassen. Doch das ist nicht das Thema. Das Thema
ist, dass wieder jemand versucht die Leistungen der Pflegenden während der
Pandemie klein zu reden. Und auch noch so tut, als ob jetzt, wo die Krise ja
vorbei ist, alles in Ordnung sei. Nichts ist in Ordnung! Der Fachkräftemangel
hat sich zusätzlich verschärft, weil während der Krise noch mehr Pflegende den
Beruf verlassen haben. Ich weiss auch nicht, wie viele aufgrund eines Burnouts längere
Zeit krank geschrieben sind, doch es sind einige. So viele, dass weiterhin
Betten auf Intensivstationen sowie Bettenstationen geschlossen werden müssen.
Ich
möchte mich nun zur folgenden Aussage äussern. Wenn ich diese lese, weiss ich echt
nicht, ob ich lachen, weinen oder doch besser einfach schreiend um ein Feuer
tanzen soll. (Ich habe mir mal sagen lassen, Hexen täten so etwas)
Mit
dieser Aussage zielt Hr. Ackermann auf die Langzeitpflege, jener Bereich welcher
vom Fachkräftemangel auf Tertiärstufe bereits seit Jahren betroffen ist. Die
Folge davon: Fachpersonen der Sekundarstufe 2, also Fachpersonen Gesundheit/Betreuung
übernehmen gezwungenermassen Aufgaben der Pflegefachpersonen HF.
Betrachten
wir zuerst einmal den Begriff «Grundpflege». Hier die Definition von Comparis: «Die
Grundpflege beinhaltet Hilfe beim Duschen, Baden und Waschen, bei
Kompressionsstrümpfen, beim An- und Auskleiden, beim Essen und Trinken, beim
Toilettengang, beim Aufstehen, Hinlegen und Gehen oder bei der Zahnpflege.»
Voilà! Da wären wir dann beim Sauber – Satt – Prinzip. Eine solche Aussage mit
dem Titel: «Weiterentwicklung der Pflege» zu versehen, zeigt die Fachkenntnis dieses
Menschen deutlich. Langzeitpflege ist schon seit Jahrhunderten viel mehr als
das. Die betagten Menschen haben nämlich nicht nur einen Körper, sondern auch
einen Geist und eine Seele, die ebenso gepflegt werden sollen. Langzeitpflege
ist genauso eine Profession, wie die Akutpflege. Zur Langzeitpflege gehört die professionelle
Beziehungspflege, die Angehörigenbetreuung, die Behandlungspflege, und auch die
Palliative Betreuung bis zum Lebensende. Und ich habe noch lange nicht alles
aufgezählt. Fachpersonen Gesundheit können viel, aber es fehlen ihnen 3 Jahre vertiefende
Ausbildung genau in diesen Bereichen. Hinzu kommt, dass betagte Menschen hoch vulnerabel
und multimorbid sind. Es kommt auch in der Langzeitpflege immer wieder zu
lebensbedrohlichen Zuständen, auf welche reagiert werden muss. Denn auch wenn
sich diese Menschen am Ende des Lebenskontinuums befinden, haben sie das Recht
auf bestmögliche medizinische Versorgung, so weit sie dies wünschen. Viele
Spitaleinweisungen und auch viel Leid könnten vermieden werden, wenn in der
Langzeitfpflege ausreichend Fachpersonal vorhanden wäre, das rechtzeitig oder
noch besser präventiv handeln kann.
Es
verärgert und entsetzt mich zutiefst, dass wir im Jahr 2022 noch darüber
diskutieren müssen, ob es Pflegefachpersonen HF in der Langzeitpflege braucht.
Keiner würde ein Haus bauen wollen, ohne einen Architekten im Team zu haben.
Keiner würde sagen: Der Bauführer reicht doch aus. Warum wird es dann in der
Pflege gemacht?
Ganz
zum Schluss möchte ich eines deutlich machen: Wirklich professionelle Pflege egal
in welchem Bereich ist nur möglich, wenn jede Berufsgruppe das machen kann, wozu
sie ausgebildet wurde. Das ist dieser sagenumwobene Skill – und Grademix. Und
genau das, ist in der Langzeitpflege nicht mehr der Fall. Fachpersonen
Gesundheit müssen zu viele Aufgaben übernehmen, welche eine Pflegefachperson HF
machen sollte. Sie tun es, weil niemand anders da ist, der es könnte. Sie
werden dazu unterbezahlt, verheizt und ausgebrannt. Ist es das, was Herr
Ackermann weiterhin als Buisness as usual zementieren möchte?
Das Potential der Fachangestellten Pflege liegt in der Langzeitpflege genau wegen dieser Verlagerung der Aufgaben brach. Dadurch wird den Bewohner:innen eine optimale Pflege und Betreuung vorenthalten. Und das auch noch bewusst.
Die
Zufriedenheit der Pflegefachpersonen würde sich signifikant verbessern, könnte sie ihre Arbeit endlich so machen, wie sie es gelernt haben. Noch mehr würde sie sich steigern, wenn
ihr bezüglich Autonomie nicht ständig Geldgier und Inkompetenz unterstellt
würde. Da könnte Herr Ackermann durchaus seinen Beitrag leisten.
Die
Überschrift des Kommentars lautet: «Die Pflege mit Augenmass weiterentwickeln.»
Ich
sage: Vielleicht sollten Sie zuerst die Augen aufmachen!
Patricia Tschannen, Pflegehexe und Pflegefachfrau HF, im März 2022