Am 25.5.2020 war in der Zeitung Bund ein Interview mit dem
Gesundheitsökonom Willy Oggier zu lesen. Thema war der Fachkräftemangel in der
Pflege. Dieses hat für Pflegende an der Basis viel emotionalen Zündstoff. Wie so
oft wird über unseren Berufsstand gesprochen, ohne, dass wir mit einbezogen werden.
Eigentlich finde ich es gut, wenn ein Problem aus
möglichst vielen Blickwinkeln betrachtet wird. Nur so kann eine tragfähige
Lösung gefunden werden. Dennoch sind mir die Aussagen von Herrn Oggier zu
einseitig. Und die Fragen von Herrn Marti, dem Journalisten ebenfalls. Deshalb
nehme ich hier erneut Stellung zu Themen, die wir in der letzten Zeit bereits
mehrmals besprochen haben.
Das Thema Geld und Löhne
Natürlich ist es logisch, mit einem Ökonomen über
Geld zu sprechen. Ich störe mich aber daran, dass der Eindruck erweckt wird,
den Pflegenden mehr Lohn zu zahlen, wäre die Lösung des Fachkräftemangels. Den
Wenigsten von uns geht es um mehr Geld, denn das wird unsere Arbeitsbedingungen
nicht entscheidend verbessern. Ich will nicht mehr Lohn, ich will mehr
Kolleginnen und Kollegen!
Äpfel mit Birnen vergleichen
Und da werde ich echt langsam stinkig. Erst kürzlich
hat ein Politiker den Salär einer Pflegefachperson HF mit einer Grundausbildung
verglichen. Dass dies falsch ist, brauche ich nicht zu betonen. Im Interview
tut es nun der Journalist, was ich äusserst peinlich finde. Der
Fachkräftemangel besteht nicht resp. weniger auf Stufe Grundausbildung, sondern
auf der Tertiärstufe, und da wären wir in einer anderen Lohnkategorie. Also,
wenn wir schon ständig über den Lohn diskutieren müssen, dann bitte mit den
richtigen Fakten.
Der Markt spielt
Herr Oggier geht davon aus, dass der Markt spielt.
Sprich, bei der grossen Nachfrage an Pflegefachpersonen sollte der Lohn von
selbst steigen. Tut er aber nicht! Egal wo ich hinschaue, die Unterschiede sind
gering. Und das hat aus meiner Sicht, damit zu tun, dass Gesundheitsinstitutionen
eben nicht funktionieren wie jede andere x- beliebige Firma. Sie erfüllen einen
Versorgungsauftrag und ihr finanzieller Spielraum, was die Löhne von
Pflegefachpersonen betrifft, ist eng. Ich kann mir auch vorstellen, dass wir
Pflegenden unseren Anteil daran haben, dass die Löhne nicht adäquat sind.
Sollte ich Herrn Oggier jemals begegnen, würde ich sehr gerne über die Gründe
dieses Phänomens diskutieren. Ich könnte mir vorstellen, dass wir zusammen
einige spannende Lösungsansätze finden würden.
«Viele Pflegende arbeiten Teilzeit. Wenn
man nun deren Löhne pauschal erhöht, besteht die Gefahr, dass viele ihr Pensum
reduzieren.»
DieserSatz hat mich in der Diskussion zu den Löhnen
irritiert:
Viele Pflegende (die Schreibende inklusive) arbeiten
Teilzeit, weil sie ein Vollzeitpensum gesundheitlich gar nicht bewältigen
können. Ein 100% Pensum im 3 Schichtbetrieb über 365 Tage im Jahr ist ein
immerwährender Marathon, der unglaublich an die Substanz geht. Das nur mal
dazu. Mühe macht mir bei dieser Aussage aber, dass sich offensichtlich keiner
Gedanken darüber macht, warum das so ist und wie es geändert werden könnte. Ich
persönlich bin überzeugt, verbessern sich die Arbeitsbedingungen, werden auch
wieder mehr Pflegende Vollzeit arbeiten.
Umgekehrt würden auch mehr Mütter wieder in ihren
Beruf zurückkehren, wenn sie mit einem Teilzeitpensum mehr verdienen würden,
als die Unterbringung ihrer Kinder in der Kita sie kostet.
Der Akademisierungsvorwurf
Ich fasse das jetzt mal unter diesem Thema zusammen.
Herr Oggier geht im Interview auch mit der Pflegeberufsschulen ins Gericht.
Kann man machen. Auch ich bin nicht immer glücklich damit, dass in den
Pflegeberufsschulen der Praxisbezug häufig fehlt oder verschwindend klein ist.
Über dieses System lässt sich bestimmt diskutieren. Es ist aber nicht der
Grund, weshalb viele Pflegende ihren Beruf aufgeben. Das sind die
Arbeitsbedingungen. Zu Erfahren , nicht so pflegen zu können, wie es gelernt
wurde. Zu Wissen, dass das Gelernte wurde, wirksam ist und dem Menschen um den
es geht, helfen würde. Das ist unglaublich frustrierend und viele
Frischdiplomierte zerbrechen an diesem Spannungsfeld. So gesehen komme ich
nicht umhin zu vermuten, dass jene, die ständig schreien, die Pflege sei zu
«akademisiert» sich wünschen, Pflegende wüssten nicht so viel. Dann würde ihnen
ja das Spannungsfeld nicht mehr auffallen und sie nicht mehr regelmässig in
ethische Dilemmas stürzen.
Wie Herr Oggier angemerkt hat, ist die Halbwertszeit
von medizinischem Wissen kurz. Bei der Pflege ist das teilweise auch so. Genau
deshalb lernen Pflegende, wie sie ein Thema sinnvoll recherchieren und es dann
in der Praxis nutzen können. Genau deshalb sind Pflegeexpertinnen in der Praxis
so unendlich wertvoll, weil sie das neueste Wissen in der Pflegeforschung in Standards
für die Praxis integrieren und diese auch immer aktuell halten. Ein Grund mehr,
weshalb Pflege studiert werden muss.
Zu den Fallpauschalen
Ich halte mich da kurz. Es ist mir grundsätzlich
neu, dass die Fallpauschalen für uns Pflegende eingeführt wurden. Viel mehr ist
es doch so, dass die Pflege in diesen kaum abgebildet ist, und wir uns die
Finger wund dokumentieren, damit die Betriebe unsere Leistungen vor den
Krankenkassen geltend machen können.
Die Digitalisierung wird es richten
Eine Annahme die nur jemand haben kann, der sich auf
1000 Metern Flughöhe befindet und deshalb nicht merkt, dass Pflege am
Patientenbett stattfindet. Und in eben diesem Bett befindet sich ein Mensch, der
nicht wie eine Maschine funktioniert und auch nicht von einer Maschine gepflegt
werden kann. Herr Oggier hat eines nicht bedacht: In der Pflege fehlt es an
nicht nur an Händen, sondern vor allem an KÖPFEN. Möglich, dass irgendwelche
Roboter einmal Hände für uns sein können. Wenn ich allerdings sehe, wie mein
Bedsidescanning – Gerät volle 5min braucht, bis es bestätigt, dass die
Blutentnahmeröhrli korrekt beschriftet sind, eine Aufgabe für die ich «von
Hand» keine 3Min brauche, zweifle ich daran, dass ich das noch erleben werde.
Mit Kopf meine ich nicht nur das nötige Fachwissen um in Notfallsituationen
egal welcher Couleur richtig zu handeln, oder solche gar nicht erst entstehen
zu lassen. Mit Kopf meine ich auch das professionelle Auftreten und Einbringen
im interdisziplinären Team. Ebenfalls zum Kopf gehört die Empathie, um
individuell auf die Patienten einzugehen, um ihnen eben mehr zu bieten als nur
die Versorgung, sondern eine würdige Pflege.
Fazit
Die Pflegeintitative ist im Parlament und ich stelle
mit grosser Sorge fest, dass ökonomische Überlegungen höher gewichtet werden,
als ethisch moralische Gesichtspunkte.
Noch immer versuchen viele Politikerinnen und
Politiker das Problem zu negieren und weg zu argumentieren. Dieses Interview,
stösst in eine ähnliche Richtung. Schade, ich fände die Diskussion, um eine
sinnvolle Lösung wesentlich interessanter. Sollten sich da draussen Menschen
finden, die das ähnlich sehen und sich einer solchen offenen Auseinandersetzung
mit dem Thema stellen möchten: Ich bin da und ihr wisst, wo ihr mich finden
könnt.
Herzlich, Eure Madame Malevizia.