«Es ist nicht fünf vor
zwölf, sondern bereits fünf nach zwölf.» Diesen Satz habe ich kürzlich einigen
Parlamentariern um die Ohren gehauen. Gerade jetzt hätte ich grosse Lust,
diesen Satz riesengross auf das Bundeshaus zu schmieren. Dazu bin ich aber zu
nett.
In der ganzen
Diskussion und Zahlenschieberei rund um den Fachkräftemangel, scheint eines
immer noch nicht klar zu sein, der Pflegenotstand droht nicht. Er ist bereits
Realität.
-
Wenn Intensivpflegebetten notabene auch
auf der Neonatologie, geschlossen werden müssen, weil ausgebildetes
Pflegefachpersonal fehlt,
-
Wenn öffentliche Spitäler mehrfach
kurzfristig Betten schliessen müssen, weil personelle Ausfälle nicht mehr
kompensiert werden können,
-
Wenn Patienten vor Schmerzen schreien
oder lange Zeit in verschmutzten Betten liegen, weil die einzige verfügbare
Pflegende gerade dabei ist, einen weiteren Patienten in akuter Lebensgefahr auf
die Intensivstation zu verlegen,
-
Wenn Menschen in akuten psychischen
Krisen mit Medikamenten ruhiggestellt werden müssen, weil eine adäquate
Krisenintervention mit dem aktuellen Personalbestand schlicht unmöglich ist,
-
Wenn Menschen mit dementieller
Veränderung im Sommer nahezu verdursten, weil niemand das leere Glas wieder
auffüllt,
-
Wenn betagte Menschen wundliegen, weil
es den Pflegenden zeitlich nicht mehr möglich ist, diese fachgerecht zu lagern,
-
Wenn Studierende nicht mehr angemessen
ausgebildet werden können, sondern als «Arbeitskraft» funktionieren müssen,
-
Wenn Pflegende täglich mehrere Stunden
Überzeit machen, um wenigstens eine sichere Pflege gewährleisten zu können,
-
Wenn wichtige Behandlungen nicht
durchgeführt werden können, weil niemand über das notwendige Know How verfügt,
dann ist das die
hässliche Fratze des Pflegenotstandes. Dies sind die Fakten, die sich nicht
mehr schönreden lassen.
Darum rufe ich jetzt
auf:
1.
Den Bundesrat, mit seiner
«Pflästerlitaktik» aufzuhören und endlich seine Hausaufgaben zu machen. Der
Pflegenotstand wird sich ohne finanzielle Investition nicht lösen. Ich lasse
mir nicht mehr erzählen, dass dieses Geld nicht beschafft werden kann. Für die
Olympiade in der Schweiz eine Milliarde reserviert. Und für die Pflege soll
nichts da sein? Wen wollen die Damen und Herren Bundesräte eigentlich verar…?
2.
Die Politikerinnen und Politiker in
National- und Ständerat. Der Pflegenotstand gehört auf Ihre Agenda. JETZT!
Sorgen Sie dafür, dass die Pflege in den DRGs adäquat abgebildet ist. Kümmern
Sie sich darum, dass Pflege vor dem KVG endlich als eigenständiger Beruf gilt.
Schaffen Sie die Voraussetzungen dafür, dass Pflegende mit ihrem Lohn eine
Familie ernähren können, ohne dabei zwangsläufig direkt in ein Burnout zu
rasen. Und schauen Sie endlich hin, wo die Krankenkassenprämien versickern. Ich
garantiere Ihnen, es wird nicht in der Pflege sein.
3.
Die Politikerinnen und Politiker der
Kantonsregierungen. Sorgen Sie dafür, dass Pflegende in Zukunft von Sparübungen
auf ihrem Rücken verschont werden. Sie haben wahrlich genug geblutet. Oder wie
Pierre André Wagner mal gesagt hat: «Eine ausgepresste Zitrone kann nicht noch
mehr ausgepresst werden».
4.
Die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber,
investieren Sie in Ihre Pflegenden und setzen Sie sich für sie ein. Gehen Sie
neue Wege, mit Arbeitszeitmodellen, die es auch Müttern und Vätern ermöglicht,
im Beruf zu bleiben. Machen Sie Ihren Notstand öffentlich. Ich weiss, Sie haben
Angst um Ihr Image. Aber wenn es alle Institutionen tun, wird das den Druck auf
die Politik entsprechend erhöhen und diese vielleicht endlich in Bewegung
bringen. Stehen Sie dazu, dass der Auftrag eine adäquate gesundheitliche
Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen und dabei noch Gewinn zu erzielen
schlicht utopisch ist.
5.
Alle Stimmbürgerinnen und Stimmbürger,
2019 ist Wahljahr. Denken Sie nach, wen und was Sie wählen. Sollen es wirklich
wieder jene sein, die sich einen Sch… um den Pflegenotstand kümmern, und für
die im Gesundheitswesen nur ein Player existent ist, nämlich die Krankenkassen?
Schauen Sie sich die Kandidatinnen und Kandidaten gut an. Was für einen Beruf
üben sie aus oder haben sie aus. Wie äussern sie sich zum Gesundheitswesen,
äussern sie sich überhaupt? Und sollte es tatsächlich zur Abstimmung über die
Pflegeinitiative kommen, weil es auch das Parlament nicht schafft, einen
brauchbaren Gegenvorschlag zu formulieren, stimmen Sie um Himmels Willen JA!
6. Alle Pflegenden.
Wir müssen aufstehen! Fertig mit nett sein! Auch mir fällt das bisweilen
schwer, schliesslich wurden wir anders erzogen. Besteht auf Eure gesetzlich
gesicherten Rechte! Informiert Euch, was Euch zusteht und fordert das auch ein.
Ideen, wie für Pflegende auf Intensivstationen die 50 Stundenwoche einzuführen
(siehe Blick.ch am 21.01.19) gehören im Keim erstickt. Auch ich würde mir sehr
wünschen, einfach meinen geliebten Job machen zu können. Doch wenn wir uns
jetzt nicht politisch engagieren, und richtig laut sind, werden wir das, was
wir so sehr lieben, verlieren.
Also, wer kommt
jetzt mit mir «Äs isch füf ab zwölfi» ans Bundeshaus schmieren?
7.
Alle Patientinnen und Patienten,
Bewohnerinnen und Bewohner und ihre Angehörigen, wenn Sie nicht gerade in
absoluter Lebensgefahr oder sonst Ihrer Stimme und Sinne nicht mächtig sind,
sagen Sie «bitte» und «danke, schenken Sie den Pflegenden auch mal ein Lächeln.
Es kostet Sie nichts, erinnert uns Pflegenden aber daran, warum wir tun, was
wir tun. Diese kleinen Gesten können der Grund sein, dass Pflegende noch länger
durchhalten.
Ich stelle hier viele Forderungen. Ich stelle sie
nicht für mich alleine, ich stelle sie für den Beruf, den ich unglaublich
liebe, für meine Kolleginnen und Kollegen, die im Alltag alles geben. Ich
stelle diese Forderungen, weil ich für Menschlichkeit im Gesundheitswesen
kämpfe, bis zum letzten Atemzug. Ok, das ist jetzt sehr pathetisch, sagen wir
ich kämpfe, bis ich ans Bundeshaus schmiere: «Jetzt schlägts 13!». Dann muss
ich wahrscheinlich aufhören, weil ich wegen Sachbeschädigung und grobem Unfug
festgenommen werde.
Eure Madame Malevizia
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen