Dienstag, 15. Mai 2018

Wer bestimmt, wann der Tod kommt - Meine persönliche Auseinandersetzung mit dem assistierten Freitod



Meine Lieben,

In Diskussionen über assistierten Suizid kommt auch immer wieder das Argument: „Ich will selbst bestimmen, wann fertig ist.“ Ich könnte jetzt auch darüber schreiben, ob es wirklich nötig ist, sein Ende selbst bestimmen zu können. Eine wirklich interessante Frage, nicht?



Aber ich möchte eine andere Frage stellen: Ist es wirklich nur im Freitod möglich, sein Ende selbst zu bestimmen?



Wer bestimmt, wann der Tod kommt…



Der Tod ist unberechenbar. Das sage ich immer, wenn Angehörige fragen, wie lange ihr Nächster denn noch zu leben habe. Meine Berufserfahrung hat mich das gelehrt. Schon mehrmals habe ich einem Menschen nur noch wenige Stunden gegeben, der dann noch mehrere Tage hatte. Andererseits habe ich auch Menschen erlebt, die bei meinem Schichtende noch ansprechbar waren und am nächsten Tag bereits verstorben.



Ich habe den starken Verdacht, dass es letztendlich doch der Mensch selbst ist, der bestimmt, wann der Tod kommt. Grund dafür ist Herr Seiffert.



Herr Seiffert litt an einer degenerativen Erkrankung des Nervensystems. Ein kluger Mann, vielseitig interessiert und angenehm im Umgang, eben ein richtiger Herr. Und ein Kämpfer. Es war ihm wichtig, am Leben teilnehmen zu können. Und seine Gesundheit war ihm immer ein Anliegen. Mehrere schwere Pneumonien liess er behandeln und überlebte sie.

Zunehmend schwanden jedoch seine Kräfte und er schaffte es oft nur noch am Nachmittag für kurze Zeit in den Rollstuhl.



Fast vollständig bettlägerig zu sein, war für ihn kein Leben mehr. Herr Seiffert wollte den Freitod. Das Pflegeheim verhinderte den Freitod eines Bewohners nicht, liess ihn jedoch in den eigenen Räumen nicht zu. Herr Seiffert wünschte sich jedoch, in seinem Zimmer, seinem Zuhause zu sterben.

So mussten sich das gesamte Team, sowie das Pflegeheim ganz konkret mit seiner Haltung zum Freitod auseinandersetzen. Herr Seiffert war der erste, der diesen Wunsch in diesem Heim äusserte.



Im Team gab es unterschiedliche Standpunkte. Einige waren der Auffassung, dass Herr Seifferts Wunsch berücksichtigt werden solle. Andere wollten davon nichts hören. Ich selbst konnte Herrn Seifferts Beweggründe sehr gut nachvollziehen. Gleichzeitig fühlte ich jedoch sehr deutlich, dass es meine Kräfte übersteigen würde, ihn im Freitod zu begleiten.

Der Stiftungsrat besprach Herrn Seifferts Situation eingehend. Er blieb jedoch dabei, den Freitod in seinen Räumen nicht zu wollen.



Soweit so gut. Und dann geschah das, was man fast nicht glaubt, wenn man es nicht selbst erlebt hat:

Die Pflegedienstleiterin informierte Herrn Seiffert über den Entscheid des Stiftungsrates. Kaum eine halbe Stunde später hatte Herr Seiffert hohes Fieber. Er sagte klar, er wolle keine Behandlung mehr. Jetzt wolle gehen.



Herr Seiffert starb einige Tage später in seinem Zimmer. Seine Lebensgefährtin konnte ihm dabei seine Hand halten.

Als Herr Seiffert schliesslich diese Welt verlassen hatte, gestand mir seine Lebensgefährtin wie froh sie sei, dass Herr Seiffert hier bei uns eines natürlichen Todes habe sterben können. Sie glaube, dass es für sie so leichter sei, seinen doch so frühen Tod zu akzeptieren.



Seit diesem Erlebnis bin ich der Überzeugung, dass es wohl die Seele ist, die bestimmt, wann der Tod kommt...

Alles Liebe

Eure Madame Malevizia

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