Samstag, 6. November 2021

Der Unterschied

 


In den letzten Tagen wurde viel über die Pflege geschrieben. Vor allem darüber, wie viel es kosten wird, sollte die Pflegeinitiative angenommen werden. Ich könnte jetzt schreiben, dass es ja auch eine Option wäre, mal genau hinzusehen, wohin das Geld im Gesundheitswesen hingeht. Fun Fact: In die Pflege geht es nicht. Ich könnte schreiben, dass in Studien belegt ist, wie viel Geld eingespart werden könnte, wenn ich genug Kolleginnen hätte.

Gleichzeitig werden Diskussionen geführt, ob unser Lohn den nun angemessen sei. Ich könnte nun anbringen, dass dieser Medianlohn, welcher immer wieder zitiert wird, nicht stimmen kann.

Es wird der Pflege unterstellt, dass sie einen «Sonderzug» fahren will, dass Lohn und Arbeitsbedingungen nicht vom Bund vorgeschrieben werden kann. So argumentiert beispielsweise der Bundesrat. Ich könnte jetzt sagen, dass ich unserer Regierung doch etwas mehr Fantasie zugetraut hätte, denn niemand sagt, dass dies bei einer Annahme der Initiative genau so gemacht werden muss.

In vielen Zeitungen kam ein Bericht, der suggeriert: Der Gegenvorschlag ist so super, noch mehr zu wollen ist unverschämt. Ich könnte jetzt schreiben, dass es halt einfach nicht reicht, nur auszubilden und nicht zu schauen, dass die Ausgebildeten dann auch noch im Beruf bleiben. Ich könnte erneut erklären, dass nur so viel ausgebildet werden können, wie es auch Berufsbildnerinnen gibt. Ich könnte anbringen, dass auch der Gegenvorschlag nicht sofort umgesetzt werden kann, weil nicht alle Kantone dieses Geld sofort sprechen werden. Und ich könnte erläutern, dass eine Ausbildungsoffensive über acht Jahre ein Tropfen auf den heissen Stein ist.

Doch das tue ich nicht. Statt dessen möchte ich daran erinnern, über wen wir gerade diskutieren. Nämlich über Pflegende, die mit nichts ersetzbar sind, weil wir nämlich der Unterschied sind.

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Wir machen den Unterschied zwischen Leben und Tod.“

Denn genau das tun wir Pflegefachpersonen.

Es ist die Pflegefachperson, die Frischoperierte überwachen.

Es sind die Pflegefachpersonen, die bei einem Volumenverlust und den damit zusammen hängenden Blutdruckabfall als erste reagieren

Es sind die Pflegefachpersonen, die den durchgebluteten Verband bemerken.

Es sind die Pflegefachpersonen, die allergische Reaktionen auf Medikamente oder Bluttransfusionen als erste registrieren.

Es sind die Pflegefachpersonen, die eine Atemnot bemerken und erste Schritte einleiten.

Es sind die Pflegefachpersonen, die um frühe Mobilisation, besorgt sind, um Thrombosen und ihre Folgen zu verhindern.

Es sind die Pflegefachpersonen, welche die Hautverhältnisse überwachen, damit Dekubiti vermeiden, sowie Hauterkrankungen wie Pilze oder ähnliches erkennen.

Es sind die Pflegefachpersonen, die an den heissen Tagen darum besorgt sind, dass alte Menschen genügend Flüssigkeit erhalten.

Es sind die Pflegefachpersonen, die bemerken, wenn aus einer Drainage nicht die Flüssigkeit herauskommt, die laut seiner Lage normal wäre.

Es sind die Pflegefachpersonen, welche die Suizidgefahr bei psychisch kranken Menschen einschätzen und sie, wenn nötig in Sicherheit bringen.

Es sind Pflegefachpersonen, die in der Psychiatrie akute Krisen auffangen. Und Menschen in solchen Krisen durch ihre persönliche Hölle begleiten.

Es sind die Pflegefachpersonen, die bei einem Herzkreislaufstillstand mit der Reanimation beginnen, bis das REA – Team da ist.

 

Wir sind der Unterschied zwischen würdigem oder unwürdigem Leben und Sterben“

Es sind die Pflegefachpersonen, die Sterbende und ihre Angehörigen bis zum letzten Atemzug und darüber hinaus begleiten. Die dafür sorgen, dass Sterbende keine Angst, keine Schmerzen und keinen Durst leiden müssen.

Es sind die Pflegefachpersonen, die sich darum kümmern, dass Inkontinenzeinlagen gewechselt werden, dass demente Menschen, die Toilette finden, dass von Kot und Urin verschmutzte Betten frisch bezogen werden.

Es sind die Pflegefachpersonen, die bei depressiven Menschen so lange dran bleiben, bis diese die Kraft aufbringen, ihre persönliche Körperpflege durchzuführen.

Es sind die Pflegefachpersonen, welche die Autonomie von pflegebedürftigen Menschen wahren.

Das alles und noch viel mehr tun Pflegefachpersonen. Sie tun es, unter massivem Zeit – und Kostendruck, der häufig ungefiltert an sie abgegeben wird.

Dies alles zu tun, erfordert nicht nur ein fundiertes Fachwissen und Können, es erfordert auch Herz und seelische Substanz.

 

Wie viele dieser «Unterschiede» weiterhin in unserem Gesundheitswesen tätig sein wollen und können, darum geht es am 28. November. Wie dieser «Unterschiede» ihren Dienst tun können, wie es für ein würdiges Leben und Sterben notwendig ist, darum geht es am 28. November. Dass diese «Unterschiede» gesund sein und ihre Leistungen voll abrufen können, darum geht es am 28. November.

Wir können jetzt in diese abstrakte Zahlenwelt abdriften, weil viele das besser ertragen können. Weil es einfacher ist, zu sagen: «Das können wir uns nicht leisten», anstatt zuzugeben: «Wir sind nicht bereit für einen wirklichen Game Change im Gesundheitswesen.»

 

Madame Malevizia


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