Meine Lieben,
Es
ist still geworden auf diesem Blog. Dies hat vor allem einen Grund: Der Tod meiner
Mutter hat bei mir eine noch nie dagewesene Lebenskrise ausgelöst. Eine
Freundin hat es treffend formuliert: Die Nabelschnur wurde vollständig
durchtrennt. Mir wird erst jetzt bewusst, wie oft ich meine Mutter noch um Rat
gefragt habe, wie viel ich mich mit ihr abgestimmt habe. Und jetzt stehe ich da
und alles was ist und war, ist in Frage gestellt.
Wie
es für mich als Pflegehexe weiter geht, kann ich nicht sagen. Dazu ist noch zu
viel in mir selbst im Umbruch. Ich kann nur sagen, es wird weitergehen. Mit der
Pflegehexe 2.0 sozusagen. Wie das aussehen soll, weiss ich im Moment selbst
nicht so genau, aber das muss ich auch nicht. Ich vertraue mir, ich vertraue
dem Leben und lasse wachsen, was wachsen will.
Es
entspricht meiner Natur, dass ich mich in solchen Momenten zurückziehe, viel
lese und meine Gedanken aufschreibe. Einige dieser Gedanken möchte ich mit euch
teilen, so könnt ihr die Entwicklung von der Pflegehexe auch etwas miterleben.
Gerade
habe ich die Biografie zu Florence Nightingale von Nicolette Bohn gelesen. In
ihrer Lebensgeschichte habe ich mich teilweise in ihr wiedererkannt. Nicht in
der Ikone, der «Lady with the Lamp», sondern im Menschen Florence Nightingale.
Der Frau aus gehobenem Haus, die vom Gedanken beseelt war, etwas in dieser Welt
zu bewirken.
Seit
ihrem 17. Lebensjahr fühlte Florence sich von Gott gerufen. Sie hatte jedoch
keine Ahnung, zu was Gott sie berufen hatte. Es folgten Jahre der Suche, des
eigenen inneren Ringens. Und als die dann ihre Lebensaufgabe erkannt hatte, war
ihre Familie alles andere als begeistert. Krankenpflege war zu jener Zeit kein
Beruf für ehrbare Damen. Florence gab nicht auf, sie verfolgte ihr Ziel und
konnte schliesslich auch ihre «Ausbildung» in Pflege machen.
Auch
für mich ist Pflege eine Berufung. Ich war in der zweiten Klasse (also 8 oder 9
Jahre alt), als ich mit absoluter Sicherheit wusste: «Ich werde
Krankenschwester!» (Damals hiess es noch so) Gerade jetzt in dieser für mich so
schwierigen Zeit ist es die Pflege, die mich ruhig werden lässt, der Ort, an
dem ich mich gut fühle. Trotzdem ringe ich mit mir. Bin ich am richtigen Ort?
Müsste ich nicht doch eher in der Politik oder im Berufsverband für eine
Verbesserung der Rahmenbedingungen sorgen? Doch jedes Mal, wenn ich wieder
meinen Dienst antrete, weiss ich: Nein, ich bin hier richtig. Ich bin da, um
den engen Rahen, den wir Pflegenden zurzeit haben, ganz auszunutzen. Ich bin
überzeugt, da geht noch mehr. Und dann, wenn wir diesen Rahmen ausgefüllt haben,
können wir anfangen ihn zu weiten, so wie auch Florence es gemacht hat.
Für
Florence kamen die Jahre des Krimkrieges. Es ist jene Zeit, die sie
unfreiwillig zur Heldin machte. Die Ärzte in den Lazaretten hatten nicht auf
Florence und ihre Pflegerinnen gewartet. Im Gegenteil, es stank ihnen gewaltig,
dass da ein Frauenzimmer, noch dazu eine Zivilistin kam, um ihre Lazarette
umzustrukturieren. Und obwohl sie völlig überfordert mit der Situation waren, versuchten
sie Florence kalt zu stellen. Florence liess sich nicht auf einen Machtkampf
mit den Herren ein. Sie blieb geduldig, aber nicht untätig. Sie begann da, wo
sie gelassen wurde: Bei der Verpflegung der Verletzten und Kranken. Langsam,
aber stetig, konnte sie ihren Tätigkeitsbereich ausdehnen und bekam dann auch Gehör
bei den Ärzten. Nach und nach übernahm sie die Leitung der Lazarette.
Ganz
ehrlich, ich fühlte mich Florence nirgends so nah, wie in dieser Zeit.
Natürlich meine Voraussetzungen sind ganz anders. Ich kämpfe nicht mit dem
Schmutz und den unhygienischen Zuständen wie Florence. Doch zwei Phänomene gab
es schon damals: Eine äusserst schwerfällige Organisation und die Missgunst aus
den eigenen Reihen. Die Organisation bei Florence war als erstes das Militär
und in zweiter Linie die Politik. Kommt Euch das auch so bekannt vor? Florence konnte
tadellos nachweisen, warum sie was brauchte. Doch zuerst war niemand zuständig
und wenn jemand zuständig war, gab es 1000 Gründe, warum ihre Anträge doch
nicht erfüllt werden konnten.
In
England war Florence mittlerweile eine Berühmtheit. Nicht allen gefiel das. Und
so wurden auch allerhand Gerüchte über sie gestreut.
Beides
kenne ich zu genüge. Wie oft habe ich schon das politische «Ja, aber» gehört. Es
ist manchmal echt zum Verzweifeln. Florence hat trotzdem weiter gemacht. Weiter
gearbeitet, weiter Statistik geführt und weiter erklärt. Sie ist einfach da
gewesen. Auch ich habe immer wieder miterlebt, wie wir Pflegenden uns
gegenseitig das Leben schwer machen. Wie wir übereinander lästern, übereinander
schimpfen uns gegenseitig unter Druck setzen. Florence haben solche Dinge
bestimmt getroffen. Vor allem zu einer Zeit in welcher der Ruf noch eine hohe
Bedeutung hatte. Es hat sie jedoch niemals davon abgehalten, die Dinge auf ihre
Weise zu tun.
Nach
dem Krimkrieg erhielt Florence die Mittel, um eine Krankenpflegeschule zu errichten.
Auch wurde sie nun auch von der Politik um Rat gefragt.
Unsere
Ausbildung hat in den letzten 200 Jahren grosse Fortschritte gemacht. Pflege
wurde, nicht zuletzt dank Florence’s Bemühungen zur Profession. Manchmal denke
ich: «Ja, da ist alles palletti.» Doch, ist es das? Denn während wir sehr viel
Wissen über Gesundheit und Krankheit, in physischer und psychischer Hinsicht erlangen,
bleibt eines fast vollständig auf der Strecke: Die Persönlichkeitsentwicklung.
Ich weiss, dass Florence, auch darauf Wert gelegt hat. In den so wichtigen
Jahren der Akademisierung ist das irgendwie verloren gegangen. Aus meiner
Sicht, ist aber genau dies nötig, dass die Pflege ihre Eigenständigkeit erlangen
kann. Diese Eigenständigkeit muss aus uns Pflegenden selbst erwachsen, nur so
wird sie in der Praxis auch gelebt werden.
Der
grösste Verdienst von Florence ist, dass sie Pflege zu einem ehrbaren Beruf
gemacht hat. Sie hat es geschafft, die Pflege aus der schmuddeligen Ecke
herauszuholen. Niemand kann sich heute mehr vorstellen, dass Pflegende in
England jemals als «leichte Mädchen» und trunksüchtige galten. Florence hat mit
ihrer Haltung, ihrer Organisation dazu beigetragen, dass Pflege werden konnte,
was es wirklich ist: Eine Kunst.
Heute
kämpft die Pflege mit den Stereotypen der «sexy Schwester», was ja nicht so
weit vom Image des «leichten Mädchens» abweicht, und der barmherzigen Schwester,
der die Pflege im Blut ist und die keine Ausbildung braucht. Beides hält sich
hartnäckig. Letzteres ist vor allem in politischen Diskussionen anzutreffen.
Ersteres in der Gesellschaft. Beides ist falsch. Beides ärgert mich zutiefst.
Und beidem möchte ich auch künftig entgegentreten. In Erinnerung an Florence,
deren bekanntestes Zitat ist: «Dies ist keine Freizeitbeschäftigung.
Krankenpflege ist eine Kunst, und wenn sie zu einer Kunst gemacht werden soll, bedarf
sie exklusiver Hingabe und genauso harter Vorbereitung wie die Arbeit jedes
Malers oder Bildhauerst. Denn was ist der Umgang mit lebloser Leinwand oder
kaltem Marmor im Vergleich zum Umgang mit dem lebendigen Leib, dem tempel des Geistes
Gottes?»
Als
Teil dieses Berufsstandes, will ich stolz sein auf das, was wir leisten und
Florence’s Botschaft in die Welt hinaus tragen.
Am
12. Mai, feiern wir zu Ehren von Florence Nightingale den Internationalen Tag
der Pflege. Ich werde an diesem Tag mein Glas heben, auf Florence, die mich
gerade in den letzten Tagen so vieles lehrte.
Eure
Madame Malevizia