Dienstag, 27. Februar 2018

Geschichten einer Pflegehexe - Der Schlüssel


Meine Lieben,
Die ersten 4 Jahre meiner beruflichen Laufbahn verbrachte ich als Pflegefachfrau in einer Psychiatrischen Klinik. Ich arbeitete auf einer akuten geschlossenen Aufnahme. Mit der Somatik verglichen, entspricht dies ungefähr einer Intensivstation. Es geht um Leben und Tod. Auch bei Herrn Mon (Name geändert), ging es um nicht weniger.

Der Schlüssel
Herr Mon, war ein junger Mann, so um die 21 Jahre glaube ich. Eingewiesen wurde er wegen eines mutistischen Zustandsbildes. Das heisst, Herr Mon, sprach nicht mehr, sah nur noch durch einen hindurch. Es dauerte eine Weile, bis es möglich war, einen Kontakt zu ihm herzustellen und er wieder an der Aussenwelt teilnahm. Als Diagnose wurde eine starke Depression festgestellt. Herr Mon war eigentlich auf dem Weg der Besserung, aber noch immer schwer einzuschätzen, weshalb er auch noch keinen Ausgang hatte.
Es war in einem Spätdienst, als Herr Mon zu mir kam und mich um ein Gespräch bat. Soweit war dies nichts ungewöhnliches, obwohl Herr Mon bisher eher den Kontakt zu den männlichen Pflegenden gesucht hatte. Ich bat ihn also in unseren Gesprächsraum. Dieser war relativ gross, ein runder Tisch mit vielen Stühlen. Wir setzten uns und ich wartete. Einen Moment druckste er herum und ich dachte schon, ich müsste ihm wohl helfen, damit das Gespräch in Gang kommt. Dann blickte er mich mit seinen blauen Augen direkt an und sagte mit klarer Stimme: «Ich will, dass Sie mir Ihren Schlüssel geben.» Perplex blickte ich ihn an und nahm unbewusst meinen Schlüssel in die Hand. Er meinte jenen Schlüssel, mit dem die Station abgeschlossen wurde. «Was möchten Sie denn damit tun?» fragte ich. Dass er wahrscheinlich raus wollte, war mir klar. Aber was wollte er da draussen? Ging es darum, dass er sich eingesperrt fühlte und er deshalb raus wollte? In meinem Kopf überlegte ich mir Alternativen. Vielleicht könnte ich ein wenig Zeit rausschinden und mit ihm noch kurz spazieren gehen. «Ich will raus, weil ich mich jetzt umbringen will.» erklärte er, noch immer seelenruhig. Einen kurzen Augenblick war ich wie vom Donner gerührt. Ich fasste mich jedoch schnell. «Und wie stellen Sie sich das vor?» fragte ich. Meine Absicht war es heraus zu finden, wie weit seien Suizidpläne denn schon waren. Dies würde mir helfen abzuschätzen, wie gefährdet er wirklich war. «Sie geben mir den Schlüssel, ich gehe raus und unter den nächsten Zug.» sagte er. «Das kann ich nicht. Ich kann Ihnen meinen Schlüssel nicht einfach geben.» Das weitere Gespräch kann ich beim besten Willen nicht mehr wiedergeben. Minutenlang drehten wir uns im Kreis. Unsere Standpunkte hätten unterschiedlicher nicht sein können. Er wollte für sich den Tod, ich für ihn das Leben. Es hatte keinen Sinn, Herrn Mon auf sein jugendliches Alter und was er noch alles vor sich hatte, aufmerksam zu machen. Ich wusste, er wollte jetzt einfach sterben. Und hatte mich ausgesucht, ihm dabei zu helfen. Er wollte meinen Schlüssel und so von mir so etwas, wie die Erlaubnis, seine Pläne in die Tat umzusetzen. «Geben Sie mir den Schlüssel» forderte er wieder. Und ich schüttelte nur den Kopf. Ich würde das nicht zulassen. Herr Mon war ein heller Kopf. Und nicht nur das, er verfügte über ausgeprägte soziale Kompetenzen. Er hatte Potential, auch das Potential sich ein gutes Leben aufzubauen. «Ich werde um meinen Schlüssel kämpfen.» erklärte ich ihm fest. Im Wissen, dass ich ihm körperlich unterlegen war. Es war mein letzter Versuch, zu ihm durchzudringen. Leider ohne Erfolg. «Geben Sie ihn mir.» Ich glaube es war einzig seine gute Erziehung, die ihn daran hinderte, mir den Schlüssel mit Gewalt abzunehmen. Aber ich wollte es auch nicht länger darauf ankommen lassen. Ich löste den Alarm, welchen ich immer bei mir trug, aus. Innert Minuten waren weitere Pflegefachpersonen im Raum. In kurzen Sätzen erklärte ich, was sich zugetragen hatte. Der Dienstarzt wurde hinzugezogen. Auch dort äusserte Herr Mon seine Suizidabsichten. Er konnte keine Versprechen abgeben, dass er sich heute Nacht nichts antun würde. Auch nicht für die nächste Stunde oder auch nur für die nächsten 15 Minuten. Auf Reservemedikation ging er nicht ein. Er wollte sterben, heute. Aufgrund seiner hohen Selbstgefährdung, wurde Herr Mon schliesslich fixiert. Dabei ging er auch auf das Angebot der Reservemedikation ein. Herr Mon wehrte sich nicht, als er von meinen Kollegen und mir fixiert wurde. Aber seinen Blick, werde ich niemals vergessen. Ich hatte ihn zum Leben gezwungen. Und so hart es auch war, ich würde es auch heute wieder tun.
Einen Tag später erhielt ich von Herrn Mon einen Brief. Ich besitze ihn noch heute. Er entschuldigte sich, für sein Verhalten. Ein Satz, ist für mich bis heute der Wichtigste: «Man wird so egoistisch, wenn man sich das Leben nehmen will.» Dieser Satz erklärte mir eindrücklich, was die Theorie mit dem «Tunnelblick» meinte. Als ich später zu Herr Mon ging, der inzwischen aus der Fixation gelöst war erklärte ich ihm: «Sie müssen sich nicht bei mir entschuldigen. Sondern bei sich selbst. Sie wollten sich etwas antun, nicht mir.» Herr Mon. war schlussendlich froh, seine suizidale Krise überlebt zu haben. Er setzte alles daran, sich früher zu melden, wenn die suizidalen Gedanken kamen.
Ich weiss nicht, was aus ihm geworden ist. Aber, romantisch wie ich nun einmal bin, rede ich mir ein, dass er es geschafft hat. Dass er die Schatten der Depression in den Griff bekommen hat und das Potential seines Lebens ausschöpft.

Eure Madame Malevizia.

Freitag, 9. Februar 2018

Bis zum bitteren Ende





Meine Lieben,
Als Pflegehexe habe ich das Privileg selbst zu entscheiden, ob ich nett sein will oder nicht. Und in diesem Blog habe ich absolut keine Lust nett zu sein. Wer damit ein Problem hat, sollte jetzt aufhören zu lesen.
Das was ich in der letzten Zeit von Politikerinnen und Politikern zum Thema Gesundheitswesen gehört und gelesen habe, ich nicht nur eine Frechheit, es zeugt auch von absoluter Ignoranz und Arroganz. Jede und Jeder einzelne von ihnen schweigt beharrlich zum Fachkräftemangel. So, als wäre dieser Fakt überhaupt nicht existent.
Das einzige Thema, dass diese Damen und Herren kennen sind die Kosten. Aus ihren Mündern kommen Worte wie „Kosten senken, Effizienz, einsparen, Wirtschaftlichkeit“ Und jedes Mal könnte ich kotzen. Es mich unglaublich wütend. So wütend, dass ich schreien könnte. Kein einziger und auch keine einzige denkt das, was da herausgelassen wird auch nur ansatzweise zu Ende. Also übernehme ich das jetzt.

Beginnen wir mit:

„Ein Spital kann geführt werden, wie jedes andere Unternehmen.“
Also werden ab jetzt Patienten, die defizitär sind, weil ihre Behandlungszeit länger ist als der DRG es vorsieht, entlassen. Sie werden entweder von ihren Angehörigen abgeholt oder mit der Bahre aus dem Spital herausgefahren und dort, selbstverständlich nachdem die Bahre ausgekippt worden ist, ihrem Schicksal überlassen. Es werden wohl einige vor dem Spital elend verrecken. Die Toten werden dann von den Bestattern eingesammelt.
Ärzte und Pflegende machen nur noch genau das, wofür sie bezahlt werden. Eine Operation dauert länger? Wenn die bezahlte Zeit um ist, wird zugenäht. Es sei denn, der Patient hat Zusatzminuten bezahlt.
Überwachung auf Station? Nur auf Verordnung und streng nach Plan. Das Organisieren und Vernetzen der Interdisziplinären Dienste übernimmt die Pflege nur, wenn der Patient dafür bezahlt.
Bettwäsche, Inkontinenz- und Verbandmaterial: Alles ist abgezählt. Wer mehr benötigt muss bezahlen. Kann er dies nicht. Liegt er halt im Dreck oder riskiert eine Wundinfektion.

Gehen wir weiter zu:

„Bestimmte Eingriffe werden nur noch ambulant durchgeführt“
Da kann es halt schon mal passieren, dass die alte Dame nach der Darmspiegelung im Bus den Stuhlgang nicht halten kann. Oder weil sie von der Narkose noch etwas delirant ist, den Heimweg nicht mehr findet. Es kann auch sein, dass ein  junger Mann nach einer Leistenbruch – OP zuhause stirbt. Weil niemand ihn mehr überwacht und so eine Nachblutung unbemerkt bleibt.

Und enden wir mit: 

„Die Untersuchung darf nicht länger als 30min dauern.“
Wenn in dieser Zeit nicht herausgefunden werden kann, was den Menschen krank macht, ist das wohl Pech. Behandelt wird dann mal ins Blaue hinein. Irgendein Medikament wird schon helfen. Oder es wird mal operiert. Und wenn alles nichts nützt. Ja, dann stirbt der Mensch auch. Für Kinder gibt es da übrigens keine Ausnahme.
Besorgten Angehörigen und verängstigten Eltern, werden die Untersuchungsergebnisse nur erklärt, wenn von den 30min noch Zeit übrig ist.

Ihr findet meine Schilderungen bizarr und widerlich? Ja ich auch. Ich habe jedoch nur zu Ende gedacht, was Politikerinnen und Politiker in unserem Land zum Thema Gesundheitswesen sagen und tun. Dabei vergessen diese eines konsequent: Menschlichkeit und Ethik.
Jetzt, wo ich das alles niedergeschrieben habe, bin ich nicht mehr wütend. Ich bin traurig. Traurig darüber, dass ein so reiches Land, das seine eigenen hohen Wertvorstellungen und ihre Moral immer wieder betont, die Menschenwürde aufs Spiel setzt. Und das auch noch für Geld.
Meine Lieben, ich werde nicht aufhören, für ein menschenwürdiges Gesundheitswesen einzustehen.

Eure Madame Malevizia

Freitag, 2. Februar 2018

Pflegehexerische Erwartungen an die Gesundheits- und Fürsorgedirektion Kanton Bern


Meine Lieben,

In den bevorstehenden Wahlen im Kanton Bern, geht es auch um das Amt des Gesundheits- und Fürsorgedirektors. Für mich Grund genug, mir darüber Gedanken zu machen, was ich als Pflegehexe von eben diesem erwarte.

Zuallererst muss es in der Gesundheits- und Fürsorgedirektion (GEF)um mehr gehen, als um die Kosten. Die GEF ist keine x – beliebige Firma. Geht es doch im Gesundheitswesen zu allererst um Menschen. Alleine deshalb betrachte ich es als zwingend, dass der Direktor der GEF die Menschenwürde im Fokus hat.

Natürlich sind die Kosten ein Problem, welches angegangen werden muss. Dort erwarte ich jedoch fundierte Lösungsansätze. Immer mehr Eingriffe nur noch ambulant durchführen zu wollen, erachte ich allerdings als Kosmetik. So werden die Kosten, ähnlich einem «Schwarzen Peter» lediglich verschoben. Die Kosten im Gesundheitswesen sind ein hochkomplexes Thema. Unter anderem auch, wegen der Tatsache, dass sich aus Sparmassnahmen im Gesundheitswesen ethisch- moralische Fragen und Dilemmas ergeben. Es kann nicht sein, dass die im Gesundheitswesen Arbeitenden mit diesen Fragen und Dilemmas alleine gelassen werden. Sie gehören im GEF selbst auf den Tisch!

Und wenn wir schon bei den im Gesundheitswesen Arbeitenden sind: Dem Fachkräftemangel muss eine ebenso hohe Priorität eingeräumt werden, wie den Kosten. In dieser Problematik ist eine Zusammenarbeit mit den Berufsverbänden nicht nur wünschenswert, sondern Pflicht.

Es soll nicht nur um die Frage gehen, wie die fehlenden Fachkräfte zeitnah ausgebildet und rekrutiert werden sollen. Ebenso sind verbindliche Szenarien für jene Institutionen notwendig, bei denen über einen längeren Zeitraum hunderte von Stellenprozenten nicht besetzt sind. Auch und vor allem in dieser Diskussion geht es um die Würde. Um die Würde jener, die unser Gesundheitswesen in Anspruch nehmen müssen. Und ebenso um die Würde jener, die in unserem Gesundheitswesen arbeiten.

Zurzeit ist Pierre – Alain Schnegg der Gesundheits- und Fürsorgedirektor des Kanton Bern. Ob er meine Erwartungen an sein Amt erfüllt? Dies zu beurteilen überlasse ich Euch. Aber vergesst nicht, es ist das Stimmvolk welches der Gesundheits – und Fürsorgedirektor wählt.



Eure Madame Malevizia.