Dienstag, 7. Dezember 2021

Es ist Zeit

 


Es ist Zeit aufzuhören

Es ist Zeit, aufzuhören, irgendwelche Statistiken zu posten, die erklären, dass es ja da und dort noch freie Intensivplätze habe.

Es ist Zeit, aufzuhören, darüber zu sinnieren, dass geimpfte ja doch noch erkranken und ansteckend sein können.

Es ist Zeit, aufzuhören, die niederzubrüllen, die einfach ihre Situation schildern.

Zeit, aufzuhören, zu glauben, man wüsste wer wann wie triagiert werden müsse.

 

Es ist Zeit, ehrlich hinzusehen.
Es ist Zeit zu zuhören.
Es ist Zeit inne zu halten.

Die Schweiz ist von der 5. Covid – Welle erfasst. Die Spitäler im gesamten Land schlagen Alarm. Die Triage ist vielerorts bereits Realität. Es ist eine Katastrophe.

 

Es ist Zeit die eigene Angst zu spüren.

 

 

Und dann ist es Zeit Verantwortung zu übernehmen.

Verantwortung für sich selbst und für sein Handeln. 

Es ist spätestens jetzt an der Zeit, noch einmal genau abzuwägen, ob eine Impfung nicht doch Sinn machen würde. Auch da die Verantwortung zu übernehmen, sich nicht in Diskussionen zu verwickeln, sondern sich fragen: Wem vertraue ich? Wer kann meine Fragen beantworten? Was spricht dafür? Was dagegen? Und dann seinen Entscheid treffen und dabei für sich verantwortlich bleiben.

Es braucht keine «Verordnung von Oben», um zu entscheiden, wo gehe ich jetzt noch hin und wo nicht und wo macht eine Maske Sinn. Es wissen auch alle, wie eine Maske korrekt getragen wird. Darum kann auch jeder Einzelne die Verantwortung dafür übernehmen es zu tun.

Für Menschen, die im Gesundheitswesen arbeiten und nun durch die 5. Welle gehen, ist es Zeit zu unterscheiden. 

Zu unterscheiden, zwischen was ist meine Verantwortung und was nicht?

Ist es deine Verantwortung, dass ein Fachkräftemangel herrscht. Ich weiss, du badest ihn mit aus, doch ist es deine Verantwortung? Musst du die Lösung sein? Musst du es wirklich immer noch «mache ds gah?» Ist es nicht viel eher so, dass du in der Zeit, in der du an der Arbeit bist, dein Bestes gibst und das einfach reichen muss?

Du bist verantwortlich für dich, dass es dir gut geht. Und gerade in dieser Zeit, muss das oberste Priorität haben. Frage dich: Was tut mir gut? Was brauche ich? Wer kann mich unterstützen? Und dann hole und gib dir genau das, ebenso konsequent, wie du für andere da bist.

Für die Politiker:innen ist es Zeit, die Verantwortung für diese Katastrophe zu übernehmen

Vor allem für die Politiker:innen ist es Zeit, aufzuhören sich gegenseitig die Verantwortung zu zuschieben. Der Fachkräftemangel in der Pflege ist allen schon seit Jahren bekannt. Und niemand, von den Damen und Herren hat sich darum geschert! Es wurde verbal anerkannt, aber mehr auch nicht. Es wurde abgewartet und abgewiegelt. Es ist Zeit, ins Tun zu kommen. Und zwar für die Pflegenden und alle anderen im Gesundheitswesen tätige. Es muss Schluss sein, mit Massnahmen und Massnähmchen. Jetzt gehören alle an einen Tisch. Die Frage muss sein: Wie können wir die an der Front entlasten? Und zwar konkret. Soweit ich weiss, hat der SBK da schon einige Vorschläge formuliert.

Es ist Zeit, sich genau anzusehen, wie die Schweiz in eine solche Katastrophe schliddern konnte. Und zwar nicht nur die letzten 1,5 Jahre. Es muss genau betrachtet werden, was wo wann und warum an Ressourcen im Gesundheitswesen gespart wurde. Und dann müssen (auch personelle) Konsequenzen gezogen werden.

Es ist Zeit.

Patricia Tschannen, Pflegehexe und Pflegefachfrau HF

Samstag, 27. November 2021

Auf der Kreuzung


 

morgen treten wir auf dem Weg zu einer würdigen Pflege auf eine Kreuzung und werden sehen, welche Wege uns offen sein werden.

Ein langer intensiver Wegabschnitt geht zu Ende. Für mich, die ich die Pflegeinitiative seit ihrer Lancierung unterstütze und begleite, für unseren Berufsverband SBK, die Unia, das Initiativkomitee, die Politiker:innen, die sich für die Initiative stark gemacht haben und natürlich alle die Pflegenden, die vor allem in den letzten Wochen ihre Freizeit, ihre Kreativität, ihr Herzblut gegeben haben um einen Abstimmungskampf zu führen, den die Schweiz noch nicht gesehen hat. Ein Abstimmungskampf, der getragen war, von Pflegenden, die an der Basis arbeiten, die auf der Strasse und auf allen Social Media Kanälen für ihren Beruf eingestanden sind. Ich bin unglaublich stolz und dankbar für alle diese Menschen, die diesen Mut haben.

Auf einer Kreuzung zu stehen, ist auch ein guter Moment zurück zu blicken. Ich tue das heute voller Dankbarkeit.

Ich sage danke.

Als Erstes meiner Familie, die mich über alle die Jahre unterstützt haben. Meiner geliebten Mami, die leider nicht mehr bei uns ist, die immer an mich geglaubt hat. Ich weiss, du bist stolz auf mich. Meinem Pa, der mich mit so vielem versorgt hat. Danke, dass du da bist.  Meiner kleinen Schwester Désirée, der besten Bloggerin, die ich kenne, die mich ermutigt und mit der ich mich immer austauschen kann. Glaube an dich. Meiner grossen Schwester, Angelika, die mich an Demos begleitet hat und mich auch immer wieder mit Informationen von der Basis versorgt. Ich freue mich, morgen mit dir zu feiern. Meinem kleinen Bruder Benjamin, für sein da sein. Du gibst alles für unseren Beruf. Euch zu haben, ist das wichtigste für mich.

Meinem Liebsten Robin, der mich immer wieder herausgefordert, die Dinge von verschiedenen Seiten zu sehen. Du bist mein Halt und mein Fels, du bringst mich immer wieder auf den Boden.

Meiner «Hebamme» Anna, die mich bei meinen ersten Schritten als Pflegehexe begleitet hat. Auch wenn wir uns nur selten sehen, gehörst du in mein Leben.

Edith, die mir immer wieder Taxi ist, sich als Übersetzerin betätigt und mich an ihrem Erleben als Pflegefachfrau FA IPS teilhaben lässt. Für immer uf di!

Cornelia, meiner Seelenschwester und Lebenslehrerin, die in den Dunkelsten Stunden für mich da war und einen grossen Anteil daran hat, dass ich den Weg bis zur Kreuzung als Madame Malevizia gehen konnte. Ich weiss, da kommt noch so viel mehr.

Den Krieger:innen vom SBK

Christina, meiner Schwester im Geiste, mit der ich stundenlang telefonieren und austauschen kann. So oft hat sie mich mit ihren klaren Worten ermutigt, ebenfalls klar zu bleiben. Dich kennen gelernt zu haben, ist das Schönste, was mir auf Social media passiert ist. 

Den Frauen vom SBK Bern, Flurina, Ariane, Manuela,  die mir in der «Schrittmacherin» eine Plattform bieten. Die mich mit Informationen versorgen, meine Fragen beantwortet haben. Ihr seid grossartig.

Yvonne Ribi, die mit so viel Leidenschaft für die Pflege kämpft und ruhig bleibt, wenn ich schon längst im Viereck springen würde.

Ihr seid alle der Hammer! Ihr habt so viel geleistet!

Den Politiker:innen, Manuela Kocher – Hirt, Barbara Gysi, Flavia Wasserfallen, und so vielen mehr, die sich für die Pflegeinitiative stark gemacht haben.

Patrizia Tamborrini, die seit Beginn aktiv mit dabei war und mir viele Kontakte ermöglichte, danke für die Vernetzung.

Den Mitgliedern des Lokalkomittees Herzogenbuchsee- Langenthal: Danke für eure Zeit und euren Einsatz. Ihr wart wunderbar!

Allen Pflegenden, die in den letzten Jahren, Wochen und Tagen aktiv waren, um eine Veränderung in der Pflege herbeizuführen. Unser Weg geht weiter, und ich bin stolz, ihn mit euch zusammen zu gehen.  

Eure Madame Malevizia

Samstag, 6. November 2021

Der Unterschied

 


In den letzten Tagen wurde viel über die Pflege geschrieben. Vor allem darüber, wie viel es kosten wird, sollte die Pflegeinitiative angenommen werden. Ich könnte jetzt schreiben, dass es ja auch eine Option wäre, mal genau hinzusehen, wohin das Geld im Gesundheitswesen hingeht. Fun Fact: In die Pflege geht es nicht. Ich könnte schreiben, dass in Studien belegt ist, wie viel Geld eingespart werden könnte, wenn ich genug Kolleginnen hätte.

Gleichzeitig werden Diskussionen geführt, ob unser Lohn den nun angemessen sei. Ich könnte nun anbringen, dass dieser Medianlohn, welcher immer wieder zitiert wird, nicht stimmen kann.

Es wird der Pflege unterstellt, dass sie einen «Sonderzug» fahren will, dass Lohn und Arbeitsbedingungen nicht vom Bund vorgeschrieben werden kann. So argumentiert beispielsweise der Bundesrat. Ich könnte jetzt sagen, dass ich unserer Regierung doch etwas mehr Fantasie zugetraut hätte, denn niemand sagt, dass dies bei einer Annahme der Initiative genau so gemacht werden muss.

In vielen Zeitungen kam ein Bericht, der suggeriert: Der Gegenvorschlag ist so super, noch mehr zu wollen ist unverschämt. Ich könnte jetzt schreiben, dass es halt einfach nicht reicht, nur auszubilden und nicht zu schauen, dass die Ausgebildeten dann auch noch im Beruf bleiben. Ich könnte erneut erklären, dass nur so viel ausgebildet werden können, wie es auch Berufsbildnerinnen gibt. Ich könnte anbringen, dass auch der Gegenvorschlag nicht sofort umgesetzt werden kann, weil nicht alle Kantone dieses Geld sofort sprechen werden. Und ich könnte erläutern, dass eine Ausbildungsoffensive über acht Jahre ein Tropfen auf den heissen Stein ist.

Doch das tue ich nicht. Statt dessen möchte ich daran erinnern, über wen wir gerade diskutieren. Nämlich über Pflegende, die mit nichts ersetzbar sind, weil wir nämlich der Unterschied sind.

.

Wir machen den Unterschied zwischen Leben und Tod.“

Denn genau das tun wir Pflegefachpersonen.

Es ist die Pflegefachperson, die Frischoperierte überwachen.

Es sind die Pflegefachpersonen, die bei einem Volumenverlust und den damit zusammen hängenden Blutdruckabfall als erste reagieren

Es sind die Pflegefachpersonen, die den durchgebluteten Verband bemerken.

Es sind die Pflegefachpersonen, die allergische Reaktionen auf Medikamente oder Bluttransfusionen als erste registrieren.

Es sind die Pflegefachpersonen, die eine Atemnot bemerken und erste Schritte einleiten.

Es sind die Pflegefachpersonen, die um frühe Mobilisation, besorgt sind, um Thrombosen und ihre Folgen zu verhindern.

Es sind die Pflegefachpersonen, welche die Hautverhältnisse überwachen, damit Dekubiti vermeiden, sowie Hauterkrankungen wie Pilze oder ähnliches erkennen.

Es sind die Pflegefachpersonen, die an den heissen Tagen darum besorgt sind, dass alte Menschen genügend Flüssigkeit erhalten.

Es sind die Pflegefachpersonen, die bemerken, wenn aus einer Drainage nicht die Flüssigkeit herauskommt, die laut seiner Lage normal wäre.

Es sind die Pflegefachpersonen, welche die Suizidgefahr bei psychisch kranken Menschen einschätzen und sie, wenn nötig in Sicherheit bringen.

Es sind Pflegefachpersonen, die in der Psychiatrie akute Krisen auffangen. Und Menschen in solchen Krisen durch ihre persönliche Hölle begleiten.

Es sind die Pflegefachpersonen, die bei einem Herzkreislaufstillstand mit der Reanimation beginnen, bis das REA – Team da ist.

 

Wir sind der Unterschied zwischen würdigem oder unwürdigem Leben und Sterben“

Es sind die Pflegefachpersonen, die Sterbende und ihre Angehörigen bis zum letzten Atemzug und darüber hinaus begleiten. Die dafür sorgen, dass Sterbende keine Angst, keine Schmerzen und keinen Durst leiden müssen.

Es sind die Pflegefachpersonen, die sich darum kümmern, dass Inkontinenzeinlagen gewechselt werden, dass demente Menschen, die Toilette finden, dass von Kot und Urin verschmutzte Betten frisch bezogen werden.

Es sind die Pflegefachpersonen, die bei depressiven Menschen so lange dran bleiben, bis diese die Kraft aufbringen, ihre persönliche Körperpflege durchzuführen.

Es sind die Pflegefachpersonen, welche die Autonomie von pflegebedürftigen Menschen wahren.

Das alles und noch viel mehr tun Pflegefachpersonen. Sie tun es, unter massivem Zeit – und Kostendruck, der häufig ungefiltert an sie abgegeben wird.

Dies alles zu tun, erfordert nicht nur ein fundiertes Fachwissen und Können, es erfordert auch Herz und seelische Substanz.

 

Wie viele dieser «Unterschiede» weiterhin in unserem Gesundheitswesen tätig sein wollen und können, darum geht es am 28. November. Wie dieser «Unterschiede» ihren Dienst tun können, wie es für ein würdiges Leben und Sterben notwendig ist, darum geht es am 28. November. Dass diese «Unterschiede» gesund sein und ihre Leistungen voll abrufen können, darum geht es am 28. November.

Wir können jetzt in diese abstrakte Zahlenwelt abdriften, weil viele das besser ertragen können. Weil es einfacher ist, zu sagen: «Das können wir uns nicht leisten», anstatt zuzugeben: «Wir sind nicht bereit für einen wirklichen Game Change im Gesundheitswesen.»

 

Madame Malevizia


Donnerstag, 4. November 2021

Von Sarkastien über Ironien zum bitteren Ernst

 


Folgende Aussage habe ich auf Twitter gelesen: «Im Pflegebereich arbeitet kaum jemand 100%. Mit Annahme der Pflegeinitiative würden viele Angestellte ihr Pensum noch weiter reduzieren und damit diese wichtige Arbeit überproportional verteuern.» Würde ich einen Preis für das originellste Gegenargument vergeben, dieses hier käme in die engere Auswahl.

Es ist nicht nur originell, weil es einfach eine verdrehte Logik aufweist. Es ist vor allem dreist. Übersetzt heisst es: «Menschliche Arbeitsbedingungen in der Pflege sind nicht möglich, weil es zu teuer ist. Malocht gefälligst weiter!» Der Autor dieses Tweets, ja es ist ein Mann, scheint eines vergessen zu haben: Die Sklaverei wurde schon vor Jahrhunderten abgeschafft.

Bisher habe ich von genau denselben Leuten, wenn es um den tiefen Lohn ging, immer gehört: «Der Markt spielt. Wenn ihr schlechte Löhne habt, dann weil ihr nicht gut genug verhandelt.» Und jetzt will man(n) plötzlich nichts mehr von Markt wissen. Pflege muss billig bleiben. Wo kämen wir denn da hin, wenn Betriebe plötzlich die Pflegeleistungen adäquat abbilden könnten? Die Folge wäre nämlich Geld, welches ins eigene Personal investiert werden könnte. Wie entsetzlich! Was für eine Katastrophe, wenn Pflegende das Spiel beenden würden und nicht mehr so viele Dinge für «Gottes Lohn» resp. Für Applaus tun würden, wie dies jetzt der Fall ist?

Ihr merkt, es fällt mir schwer ernst und sachlich zu bleiben. Solche Aussagen treiben mit regelmässig auf die Palme. Dennoch möchte ich hier noch ganz ohne Sarkasmus sagen:

Es stimmt, viele Pflegenden reduzieren ihr Pensum, weil 100% einfach nicht zu schaffen sind. Sie sind nicht zu schaffen, weil auf die vielen Arbeitstage und wenig Freizeit, auch noch viele Überstunden kommen. Ich spreche nicht von «mal eine Stunde länger bleiben». Ich spreche von täglich mindestens eine Stunde Überzeit. Das hält auf die Dauer niemand aus. Da auch Pflegende «aus Mensch» sind, ziehen viele irgendwann die Notbremse. Wer es sich leisten kann, reduziert das Pensum. Die Lohneinbusse ist gewaltig. Nicht alle können sich das leisten. Eine Familie kann mit einem Gehalt von 80% jedenfalls nicht ernährt werden. Und so bleibt jenen, die nicht reduzieren können, nur ein Weg: Der Ausstieg aus dem Schichtdienst und somit von der Basis.

Ich will nicht verheimlichen: Am 28. November geht es auch um Geld. Es geht um die Frage: Wieviel ist uns unsere eigene Gesundheit, unsere Würde und die der Pflegenden Wert?


Montag, 25. Oktober 2021

Pflege ist eine Kunst

 


Meine Lieben,

Ich gehöre zu den 30% der überprivilegierten Pflegefachpersonen HF. Das wäre jedenfalls so, entspräche diese Aussage von Martina Bircher der Wahrheit. Von Privilegiert merke ich jedenfalls nichts. Ich arbeite nämlich an der Basis, Verfügbarkeit 365 Tage im Jahr, managen sämtlicher kritischen Situationen, Überleben im Hochstressbereich inklusive. Da ist nichts von Privileg, da ist alles unter einen Hut kriegen angesagt. Es wird getan, was anfällt und zu oft reicht es nicht für das.

Abgeleitet wird diese Aussage von zwei Mythen die sich vor allem in bürgerlichen Parteien hartnäckig halten. Ich möchte diesen gerne die Realität gegenüberstellen.  

„Pflege braucht keine Studierten“

Wer so eine Haltung vertritt, zeigt vor allem wie inkompetent er in dieser Thematik ist. Pflege hat nichts mit instinktivem Wissen zu tun, Pflege wird gelernt. Sie ist nicht irgendein konzeptloses herumwaschen. Pflege hat System, Pflege ist komplex, egal wo sie ausgeführt wird. Ja, auch resp. vor allem im Pflegeheim. In meiner gesamten pflegerischen Laufbahn ist mir noch nie eine Patient:in oder eine Bewohner:in begegnet, die nur eine einzige medizinische Diagnose hatte. Die Zusammenhänge zwischen diesen muss man sehen können. Die Symptome dieser Krankheitsbilder, die sonstige physische, die psychische und die soziale Situation der Patient:innen spielen in der Pflege eine Rolle, und müssen berücksichtigt werden.

Und wie, um alles in der Welt, soll Pflege in einer Welt, in der sich alles um Zahlen dreht, messbar und beweisbar werden, wenn nicht durch Studien? Studien, die von Pflegenden mit Masterabschluss durchgeführt werden müssen, weil ich als Pflegefachfrau am Patientenbett gar nicht weiss, wie ich eine solche durchführen soll, damit diese auch wirklich aussagekräftig ist.

Ich empfinde es als grosse Bereicherung, dass es jedem Interessierten möglich ist, in die Pflege einzusteigen. Die Ausbildungen sind von Stufe zu Stufe durchlässig. Der Weg Assistentin Gesundheit – Fachfrau/Frachmann Gesundheit – Pflegefachfrau/Pflegefachfmann HF – Bachelor – Master ist möglich. Das ist eine Stärke dieses Gebietes, es bietet viele Perspektiven.

„In der Pflege braucht es nur ein gutes Herz“

Diesen Mythos höre ich oft und ich gebe immer diese Antwort: „Es braucht Kopf, Herz und Hand!“ Es braucht einen Kopf, der vernetzt denken kann, eine schnelle Auffassungsgabe hat und über nötiges Fachwissen verfügt.  Ohne Frage, es braucht auch ein Herz, das für die Menschen schlägt. Und es braucht Hände, die pflegerische Verrichtungen geschickt ausführen können. Das eine ohne das andere ist in der Pflege nichts!

Es als Lösung zu sehen, die Anforderungen der Ausbildung einfach zu senken, ist nicht nur kurzsichtig, sondern auch fahrlässig. Einfach nur Hände zu «schaffen», reicht nicht aus.

 

Eure Madame Malevizia


Donnerstag, 14. Oktober 2021

Verfassung oder nicht, links oder nicht, dass ist NICHT DIE FRAGE

 


Meine Lieben,

Folgendes Statement habe ich heute auf Twitter gehört:

«Man will für eine einzige Berufsgruppe die Arbeitsbedingungen in die Verfassung schreiben. Die linke, gewerkschaftliche Pflege – Initiative gehört gebodigt.»

Das Statement kommt von Martina Bircher (SVP). Ich möchte mich dazu äussern:

In der Schweiz herrscht ein Fachkräftemangel in der Pflege, der mittlerweile von niemandem, der seine fünf Sinne zusammen hat, bestritten werden kann. Ich möchte in diesem Blog nicht darüber schreiben, welche gravierenden Folgen dies für unsere Gesundheitsversorgung hat. Nur so viel: Es geht um Leib, Leben und Würde jener, die auf unser Gesundheitswesen angewiesen sind, ebenso wie um jene, die darin arbeiten

Zustande gekommen ist der Fachkräftemangel, weil, 1. zu wenig Pflegefachpersonen ausgebildet werden und 2. die ausgebildeten Pflegefachpersonen den Beruf früh wieder verlassen.

Das ist weiss die Politik nicht erst seit gestern. Etwas dagegen tun? Fehlanzeige! Im Gegenteil. Munter wurde und wird die Verantwortung zwischen Bund, Kantonen und Arbeitgebern hin und her geschoben. Seit Jahrzehnten. So lange, bis es den Pflegenden gereicht hat. Zusammen mit ihrem Berufsverband, einzelnen Politikerinnen und Politikern wurde die Pflegeinitiative lanciert und innerhalb von acht(!) Monaten die erforderlichen Unterschriften eingereicht.

Ich möchte daran erinnern: Die Volksinitiative ist das einzige Instrument der Bürgerinnen und Bürger direkt Einfluss zu nehmen und das geschieht immer in Form einer Verfassungsänderung.

Ich erachte es als scheinheilig, wenn nun argumentiert wird: «Das gehört aber nicht in die Verfassung!» Hätte die Politik ihre Verantwortung wahrgenommen, wäre die Initiative ja auch nicht nötig geworden.

Über 40 Prozent der Pflegenden verlassen den Beruf frühzeitig, ein Drittel von ihnen ist jünger als 35 Jahre. Diese Zahlen stammen aus dem Obsan Bericht 2021. Wer lösungsorientiert denkt, macht sich Gedanken darüber, wie die Berufsverweildauer verlängert werden kann. Gelingt dies nicht, wird eine Ausbildungsoffensive nämlich nicht den gewünschten Effekt haben. Arbeitsbedingungen, die ein Privatleben, ein Familienleben, ein gesundes Leben ermöglichen sind da einfach essenziell. Viele Pflegende steigen frustriert und erschöpft aus dem Beruf aus. Sie müssen ihren Beruf, den sie so sehr leiben aufgeben, weil die Bedingungen sie krank machen. Wenn also die Berufsverweildauer erhöht werden soll, und das muss sie, um den Fachkräftemangel nachhaltig zu beheben, müssen auch die Arbeitsbedingungen angepasst werden.

Mit der Pflegeinitiative kommt die Frage «Wie sollen Kranke, Verletzte, gebrechliche Menschen in der Schweiz versorgt werden?» Da hin, wo sie hingehört. In die Gesellschaft und in die Gremien, die diese gestalten.

«Die linke, gewerkschaftliche Pflegeinitiative gehört gebodigt.».

An dieser Aussage, stören mich zwei Worte: Das erste ist «links». Ich bin Mitglied eines Lokalkomitees (Grüsse an euch, meine Lieben!). Darin vertreten sind Aktive aus:  FDP, SP, Glp, Unia, SBK; sie sind Lehrerinnen, Bürofrauen, Pflegende, Pensioierte, Frauen Männer etc. Ich unterhalte mich ebenfalls  mit Leuten von der jungenSVP, die sich sehr für die Pflegeinitiative einsetzen. Warum ist das so? Weil sie alle begriffen haben, dass wir ein gemeinsames Problem haben: Der Fachkräftemangel in der Pflege.

 

Das zweite Wort, das mich nicht nur stört, sondern verärgert, ist «gebodigt». Synonym könnte auch «niedergemäht», «plattgewalzt» oder «abgeschmettert» benutzt werden. Und das wird mit seit Jahren mit den Anliegen dieser Berufsgruppe gemacht. Geht dieser Umgang weiter, liegen nicht nur die Menschen dieser Berufsgruppe am Boden. Nein, unser Gesundheitswesen wird mit Vollgas an die Wand gefahren.

Eure Madame Malevizia


Mittwoch, 6. Oktober 2021

Weil es so ist, wie es nicht sein darf



Manuela Weichelt (Grüne) beschreibt in ihrer Rede im Parlament Zustände, von welchen sie Kenntnis hat. Das Video wurde auf Social Media x – fach geteilt. Und so dauerte es auch nicht lange, bis jemand sich gemüssigt fühlte, zu kommentieren, dass es ganz bestimmt noch nicht so schlimm sei.

Dieser Kommentar hat mich von 0 auf 100 schnellen lassen. Doch! Es ist genau so schlimm! Die Beispiele, welche Manuela Weichelt nennt, sind mir nur allzu bekannt, nur sind sie selten in einem Stufenplan schriftlich festgehalten. Wenn bei einer ohnehin schon dünnen Personaldecke, die einerseits dem Fachkräftemangel geschuldet ist, andererseits aber auch von den Betrieben aus Spargründen in Kauf genommen wird, Pflegende ausfallen, hat das Konsequenzen. Denn auch Pflegende haben nur zwei Hände, zwei Füsse, einen Kopf und das alles ist zusammengewachsen. Solche Tage laufen unter dem Motto: „Das Ziel ist, dass am Schluss alles noch atmet, was noch atmen soll.“

An solchen Tagen werden Blasenkatheter belassen, weil nicht garantiert werden kann, dass jemand Zeit haben wird, den betreffenden Menschen auf die Toilette zu begleiten, damit dieser sein Grundbedürfnis stillen kann.

Da wird auf die Ausscheidung im Bett bestanden, weil eine Begleitung auf die Toilette zu zeitintensiv wäre.

Da liegen Menschen sehr lange in ihren Ausscheidungen, weil sie frisch zu machen zuunterst auf der Prioritätenliste der Pflegenden steht.

An Körperpflege ist schon gar nicht zu denken. Maximal Intimpflege, wenn es hochkommt.

Prophylaxen wie Gehtraining, Atemübungen, durchbewegen, lagern können nicht durchgeführt werden.

Was statt dessen gemacht wird? Vitalzeichen gemessen, Medikamente verabreicht, per os und i/v, Blut abgenommen, Visite gemacht, Schmerzreserven verabreicht, Notfallmassnahmen eingeleitet, durchgeführt. Kriseninterventionen gemacht, koordiniert, dokumentiert. Studierende betreut, so gut es eben geht. Das Ganze mitunter als einzige Fachperson, zuständig für bis zu 20 Menschen. So sieht es im Akutspital aus. Im Pflegeheim wird an diesen Tagen „satt und sauber“ praktiziert. In den Psychiatrien wird sediert, anstatt mit Gesprächen durch die Krise begleitet.

Ihr meint, das seien doch bestimmt nur einzelne Tage. Ich kann euch nicht beruhigen. Das ist manchmal über Wochen der Normalzustand. Und genau darum sind die Pflegenden zunehmend am Anschlag. Genau darum steigen so viele aus.

Solche Tage durchzustehen sind, wenn frau es genau und in Ruhe betrachtet, der Horror. Für die Pflegenden genauso wie für die Patienten.

Und da kommt dieser Kommentar auch her. Vom „nicht wahr haben wollen.“ Vom „nicht aushalten können“ und darum auch nicht „hinsehen wollen.“ Ich mache da nicht mehr mit! Ich habe die Schnauze gestrichen voll davon, mit diesem Scheiss alleine gelassen zu werden! Der Pflegenotstand geht alle etwas an. Er gehört auf den Tisch und gründlich untersucht. Ich rufe deshalb alle meine Kolleginnen und Kollegen auf, leidet nicht mehr still vor euch hin! Werdet mit mir zusammen laut und nennt die Dinge beim Namen! Die Bevölkerung muss ein genaues Bild davon haben, was im Gesundheitswesen abgeht. Es muss klar sein, warum ein Ja zur Pflegeinitiative so elementar ist. Die Pflegeinitiative ist ein Weg vom Ziel: „Es atmen noch alle, die atmen sollen“ zum Ziel: „Die Pflege ist ein wichtiger Player im Gesundheitswesen, sie wird als da wahrgenommen und kann ihre Arbeit nach bestem Wissen und Gewissen leisten.“

Ich danke bereits jetzt, für  euer„Ja zur Pflegeinitiative“.

 

Madame Malevizia

 

Montag, 6. September 2021

Wenn Betten eigentlich Menschen sind

 


Meine Lieben,

Dass die Betten auf der IPS langsam knapp werden, hat sich bereits herumgesprochen. Dass die Bettenzahl nicht einfach so erhöht werden kann, sickert auch ganz langsam durch. Ich wiederhole es hier aber gerne nochmal:

Es geht nicht um das Möbelstück, genannt Bett und auch nicht um die Geräte, die auf einer IPS zum Einsatz kommen. Mit «Bett» ist alles das gemeint, was ein IPS – pflichtiger Patient benötigt. Er benötigt eben auch eine Pflegefachperson FA Intensivpflege. Genau diese Pflegefachpersonen FA Intensivpflege sind es, an welchen es zur Zeit mangelt. Das kam nicht plötzlich und über Nacht. Und es gäbe viel dazu zu sagen, wie dieser hätte verhindert werden können. In diesem Blog soll es jedoch nicht darum gehen (Es kann sein, dass ich irgendwann mal auf diese Thema zurück komme).

Heute möchte ich erklären was es für die Bettenstationen bedeutet, wenn die IPS kaum mehr Betten hat. Immer wieder habe ich Nachtdienste erlebt, in denen ich die Information hatte, dass die IPS nur noch wenige, manchmal auch keine Betten mehr hat. Für mich hat das bedeutet: Ich kann Patienten erst verlegen, wenn es gar nicht mehr anders geht. Salopp ausgedrückt: Erst wenn wir kurz vor der Reanimation sind. Die wenigsten Patienten werden von jetzt auf sofort Reanimationspflichtig. Meist passiert das schleichend und alle Beteiligten sind sich einig, dass es am besten gar nicht so weit kommt. Es ist absolut zentral, dass rechtzeitig Massnahmen ergriffen werden können. Auch ein Aufenthalt auf der IPS ist von mehr Erfolg gekrönt, wenn dieser frühzeitig erfolgt. Als Pflegende auf der Bettenstation heisst das, wachsam sein, damit ich merken kann, wann die Situation ins lebensgefährliche kippt. Instabile Patienten sind auf der Bettenstation somit keine Seltenheit. Und damit meine ich nicht, dass sie Komplikationen haben könnten, sondern, dass bereits solche aufgetreten sind. Blutungen zum Beispiel. Und wenn dann kein IPS – Bett zur Verfügung steht, wird auf dem Bettenstationen das gemacht, was möglich ist. Volumengabe, Bluttransfusionen, Überwachung. Alles das ist zeitintensiv. Ebenfalls gilt es als Pflegende selbst die ruhig zu bleiben, denn die Patienten spüren meist, dass etwas nicht stimmt und benötigen unseren Beistand, während wir all unser Können und Wissen aktivieren, um sie zu stabilisieren. Und das, obwohl ich teilweise bis zu 11 andere Patienten zu betreuen habe, die alle auch instabil werden können. Nur vielleicht merke ich das dann nicht oder zu spät, weil ich mich gerade intensiv um den anderen instabilen Patienten kümmere.

Ebenfalls kann es bedeuten, dass ich einen Patienten von der IPS/IMC holen muss, weil dieser als 1. Verlegungsreserve gilt. Das heisst, dies ist der zurzeit stabilste Patient auf der IPS/IMC, der wenn es Betten braucht, verlegt wird. «Gott gebe das es klebe» ist da jeweils das Motto. Nicht selten müssen genau diese Patienten wenige Tage später wieder auf die IPS verlegt werden, weil sich ihr Allgemeinzustand erneut verschlechtert hat.

In der momentanen Diskussion wird immer wieder damit argumentiert, dass es ja noch Betten hat. Niemand, wirklich niemand, will erleben was geschieht, wenn die verfügbaren Betten in der gesamten Schweiz auf 0, in Worten Null, sind. Denn dann beginnt die Triage, heisst: Wer bekommt jetzt noch ein IPS – Bett und damit die Chance zu überleben, was auch immer sein Leben bedroht? Und wer nicht? Ich lade alle dazu ein, nur ein paar Sekunden die Augen zu schliessen und sich zu fragen: »Was wäre, wenn ich das entscheiden müsste?»

Mein Herz und meine Gedanken sind bei allen Pflegenden, die in diesem Spannungsfeld arbeiten und das nicht erst seit gestern. Auch nicht seit Beginn der Pandemie. Denn der Fachkräftemangel wurde schon vor Jahren fabriziert.

 

Eure Madame Malevizia.


Donnerstag, 2. September 2021

Wenn nicht jetzt, wann dann?


 

Meine Lieben,

Ich weiss noch, wie mein Weg als Pflegehexe begonnen hat. Es war fast zeitgleich mit der Lancierung der Pflegeinitiative. Damals am SBK – Kongress in Davos habe ich mir selbst gesagt: «Ich will etwas tun!» Aus diesem «etwas» wurde die Pflegehexe, mein Blog und das Ziel: «Ich will, dass der Fachkräftemangel zum Thema wird.»

Und jetzt wird es wirklich ernst. Am 28. November stimmt die Schweiz über die Pflegeinitiative ab. Bis dahin haben wir Zeit, die Stimmberechtigten von einem JA zu überzeugen. Das wird nicht leicht. Denn viele wissen nicht, worum es überhaupt geht. Viele können sich nicht vorstellen, was ein Fachkräftemangel in der Pflege bedeutet. Was er weiterhin bedeuten wird, auch wenn diese verfluchte Pandemie dann irgendwann vorbei ist. Ihnen muss deutlich gemacht werden, dass die Pflegeinitiative den gesetzlichen Rahmen bietet, den es braucht, um dieses Problem zu lösen.

Nun sind wir alle gefragt uns für dieses Ja stark zu machen. Ich rufe darum Euch alle auf. Engagiert Euch! Macht mit in den Regionalkomitees (auch ich bin stolzes Mitglied eines solchen). Informiert auf den Social – Media Kanälen über die Initiative. Und vor allem diskutiert mit, überall da wo es um die Pflege geht. Jetzt ist der Moment, in dem wir alle unsere Stimme erheben müssen. Jetzt ist der Moment, in dem wir allen zeigen können, was wird sind: Begabte, starke, kompetente Menschen, die für das was sie tun brennen.

Die nächste Covid – Welle rollt gerade über uns hinweg, wir sind gebeutelt von den letzten 1,5 Jahren. Viele von uns sind mehrfach belastet mit Familie, Job, und was es sonst noch alles gibt. Und jetzt sollen wir noch mehr Effort leisten? Aber wenn nicht jetzt, wann dann? Stand heute (2.9.21) sind es noch 88 Tage bis zum 28. November. Nehmen wir uns für 88Tage die Zeit, die Energie und den Mut uns für den schönsten Beruf der Welt einzusetzen. Für uns! Und für die nächste Generation.

Eine liebe Freundin hat letztens zu mir gesagt: 

«Ich will mir niemals vorwerfen müssen, nicht alles versucht zur haben.»

Ich schliesse mich ihrem Votum an. Ich weiss, dass Pflegende sehr kreative Menschen sind, und darum bin ich mir sicher, dass wir viele Aktionen, kleine und grössere auf die Beine stellen können. Ich selbst werde das tun, was ich am besten kann: schreiben. Erzählen, was mich bewegt, weitergeben was ich weiss. Und argumentieren, so oft und so weit wie ich kann.  

Machen wir diese 88 Tage zu den magischsten, verrücktesten, wunderbarsten, kämpferischsten, verbindendsten, wundervollsten Tagen, die wir je erlebt haben. Oder kurz gesagt: Einfach zu einer geilen Zeit.

Ganz unter dem Motto:

Wenn nicht jetzt, wann dann!

 

Eure Madame Malevizia


Montag, 28. Juni 2021

Zeigen wir uns! Oder warum die Pflegeinitiative zur Abstimmung kommen muss


 

Meine Lieben,

Die Pflegeinitiative kommt vors Volk. Das Initiativkomitee hat beschlossen, die Initiative nicht zugunsten des indirekten Gegenvorschlags zurück zu ziehen. Für mich ist dieser Entscheid der Richtige.

Ich weiss, einige finden, die Initiative gehe zu weit. Und überhaupt werde nun einfach alles verzögert, dabei sei es doch so wichtig, dass jetzt etwas getan werde. Zu diesen zwei Argumenten möchte ich heute Stellung beziehen.

 

Geht die Initiative zu weit?

Man könne doch nicht die Arbeitsbedingungen eines Berufsstandes in die Verfassung schreiben, höre ich von verschiedenen Kreise. Also ehrlich gesagt, steht in unserer Verfassung so einiges, das aus meiner Sicht nicht unbedingt da hineingehört. Ausserdem geht es hier nicht um irgendeinen Berufsstand. Ohne eine professionelle Pflege ist ein funktionierendes Gesundheitswesen nicht denkbar. Ohne Pflege ist ein würdiges Leben und Sterben nicht erreichbar. Ich bin darum durchaus der Meinung, dass die Landesregierung einen Teil der Verantwortung dafür trägt, dass ausreichend Pflegende vorhanden sind. Was passiert, wenn dies nicht der Fall ist, haben wir in den letzten Monaten alle live und in Farbe miterleben dürfen. Und das ist eigentlich nur die Spitze des Eisberges. Denn schon vor der Covid – Krise, war es kaum mehr möglich, die Arbeit als Pflegefachperson so zu machen, wie wir es gelernt haben. Durch die Covid Krise wurde das zum ersten Mal richtig wahrgenommen, weil dieser Umstand da das Leben vieler bedrohte.

Lieber der Spatz in der Hand…

Durch das Weiterziehen der Pflegeinitiative seien Massnahmen zur Verbesserung der Situation verzögert worden. Es sei doch wichtig, JETZT etwas zu tun. Grundsätzlich, hätte schon vor JAHRZEHNTEN etwas getan werde müssen. Da hat aber niemand auch nur Ansatzweise etwas davon hören wollen. Vor allem politisch wurde gepennt. Die Massnahmen des indirekten Gegenvorschlags sind zwar ein Schritt in die richtige Richtung, reichen aber nicht aus. Bezeichnend ist, dass sich das Parlament erst zu einem halbwegs brauchbaren Gegenvorschlag durchringen konnte, als sie realisierte, dass die Pflegeinitiative im Volk durchaus Chancen hat. Dennoch reicht der Gegenvorschlag einfach hinten und vorne nicht. Was nützt eine Investition in die Ausbildung, wenn zum einen nicht ausreichend Fachpersonen vorhanden sind, welche in der Lage sind die Lernenden sinnvoll zu betreuen und sich zum anderen nichts an der extrem geringen Berufsverweildauer ändert? Und gerade diese Berufsverweildauer ist es, die dringend verbessert werden muss. Pflege ist eine Profession, die vor allem Erfahrung bedarf. Bricht diese weg, sinkt die Qualität. Um diese Berufsverweildauer ins Positive zu verändern, muss sich an den Arbeitsbedingungen etwas ändern. Und hier muss der Gesetzgeber Stellung beziehen.

Eine Chance

Für mich gibt es jedoch einen weiteren Grund, weshalb ich froh bin, dass die Pflegeinitiative zu Abstimmung kommt. Jede Stimmbürgerin und jeder Stimmbürger kann sein Statement dazu abgeben, was für eine Pflegequalität er oder sie für sich und sein Land haben möchte. Es ist ihre Möglichkeit zu sagen, wie sie im Alter, in Krankheit und Verletztheit behandelt werden möchte. Auch ein Nein, könnte uns Pflegenden dahingehend helfen, dass wir nicht mehr das Gefühl haben müssen, Unmögliches weiterhin möglich zu machen. Es geht um die Frage: Was für einen Wert hat die Pflege für die Bevölkerung? Wollen wir in diesen Berufsstand investieren?

Für uns Pflegende ist diese Abstimmung auch eine Chance, Raum einzunehmen. Im Abstimmungskampf können wir zeigen, was wir wissen, was wir tun und worauf es in unserem Beruf ankommt. Wir können zeigen, dass wir bereit sind, den gesetzlichen Rahmen, der uns gegeben werden soll, auch für das Wohle aller zu nutzen.

In diesem Sinne, meine Lieben, zeigen wir uns, mit allem was wir sind und was wir haben, für eine starke Pflege!

 

Eure Madame Malevizia

Montag, 26. April 2021

Florence und ich


 

Meine Lieben,

Es ist still geworden auf diesem Blog. Dies hat vor allem einen Grund: Der Tod meiner Mutter hat bei mir eine noch nie dagewesene Lebenskrise ausgelöst. Eine Freundin hat es treffend formuliert: Die Nabelschnur wurde vollständig durchtrennt. Mir wird erst jetzt bewusst, wie oft ich meine Mutter noch um Rat gefragt habe, wie viel ich mich mit ihr abgestimmt habe. Und jetzt stehe ich da und alles was ist und war, ist in Frage gestellt.

Wie es für mich als Pflegehexe weiter geht, kann ich nicht sagen. Dazu ist noch zu viel in mir selbst im Umbruch. Ich kann nur sagen, es wird weitergehen. Mit der Pflegehexe 2.0 sozusagen. Wie das aussehen soll, weiss ich im Moment selbst nicht so genau, aber das muss ich auch nicht. Ich vertraue mir, ich vertraue dem Leben und lasse wachsen, was wachsen will.  

Es entspricht meiner Natur, dass ich mich in solchen Momenten zurückziehe, viel lese und meine Gedanken aufschreibe. Einige dieser Gedanken möchte ich mit euch teilen, so könnt ihr die Entwicklung von der Pflegehexe auch etwas miterleben.

Gerade habe ich die Biografie zu Florence Nightingale von Nicolette Bohn gelesen. In ihrer Lebensgeschichte habe ich mich teilweise in ihr wiedererkannt. Nicht in der Ikone, der «Lady with the Lamp», sondern im Menschen Florence Nightingale. Der Frau aus gehobenem Haus, die vom Gedanken beseelt war, etwas in dieser Welt zu bewirken.

Seit ihrem 17. Lebensjahr fühlte Florence sich von Gott gerufen. Sie hatte jedoch keine Ahnung, zu was Gott sie berufen hatte. Es folgten Jahre der Suche, des eigenen inneren Ringens. Und als die dann ihre Lebensaufgabe erkannt hatte, war ihre Familie alles andere als begeistert. Krankenpflege war zu jener Zeit kein Beruf für ehrbare Damen. Florence gab nicht auf, sie verfolgte ihr Ziel und konnte schliesslich auch ihre «Ausbildung» in Pflege machen.

Auch für mich ist Pflege eine Berufung. Ich war in der zweiten Klasse (also 8 oder 9 Jahre alt), als ich mit absoluter Sicherheit wusste: «Ich werde Krankenschwester!» (Damals hiess es noch so) Gerade jetzt in dieser für mich so schwierigen Zeit ist es die Pflege, die mich ruhig werden lässt, der Ort, an dem ich mich gut fühle. Trotzdem ringe ich mit mir. Bin ich am richtigen Ort? Müsste ich nicht doch eher in der Politik oder im Berufsverband für eine Verbesserung der Rahmenbedingungen sorgen? Doch jedes Mal, wenn ich wieder meinen Dienst antrete, weiss ich: Nein, ich bin hier richtig. Ich bin da, um den engen Rahen, den wir Pflegenden zurzeit haben, ganz auszunutzen. Ich bin überzeugt, da geht noch mehr. Und dann, wenn wir diesen Rahmen ausgefüllt haben, können wir anfangen ihn zu weiten, so wie auch Florence es gemacht hat.

Für Florence kamen die Jahre des Krimkrieges. Es ist jene Zeit, die sie unfreiwillig zur Heldin machte. Die Ärzte in den Lazaretten hatten nicht auf Florence und ihre Pflegerinnen gewartet. Im Gegenteil, es stank ihnen gewaltig, dass da ein Frauenzimmer, noch dazu eine Zivilistin kam, um ihre Lazarette umzustrukturieren. Und obwohl sie völlig überfordert mit der Situation waren, versuchten sie Florence kalt zu stellen. Florence liess sich nicht auf einen Machtkampf mit den Herren ein. Sie blieb geduldig, aber nicht untätig. Sie begann da, wo sie gelassen wurde: Bei der Verpflegung der Verletzten und Kranken. Langsam, aber stetig, konnte sie ihren Tätigkeitsbereich ausdehnen und bekam dann auch Gehör bei den Ärzten. Nach und nach übernahm sie die Leitung der Lazarette.

Ganz ehrlich, ich fühlte mich Florence nirgends so nah, wie in dieser Zeit. Natürlich meine Voraussetzungen sind ganz anders. Ich kämpfe nicht mit dem Schmutz und den unhygienischen Zuständen wie Florence. Doch zwei Phänomene gab es schon damals: Eine äusserst schwerfällige Organisation und die Missgunst aus den eigenen Reihen. Die Organisation bei Florence war als erstes das Militär und in zweiter Linie die Politik. Kommt Euch das auch so bekannt vor? Florence konnte tadellos nachweisen, warum sie was brauchte. Doch zuerst war niemand zuständig und wenn jemand zuständig war, gab es 1000 Gründe, warum ihre Anträge doch nicht erfüllt werden konnten.

In England war Florence mittlerweile eine Berühmtheit. Nicht allen gefiel das. Und so wurden auch allerhand Gerüchte über sie gestreut.

Beides kenne ich zu genüge. Wie oft habe ich schon das politische «Ja, aber» gehört. Es ist manchmal echt zum Verzweifeln. Florence hat trotzdem weiter gemacht. Weiter gearbeitet, weiter Statistik geführt und weiter erklärt. Sie ist einfach da gewesen. Auch ich habe immer wieder miterlebt, wie wir Pflegenden uns gegenseitig das Leben schwer machen. Wie wir übereinander lästern, übereinander schimpfen uns gegenseitig unter Druck setzen. Florence haben solche Dinge bestimmt getroffen. Vor allem zu einer Zeit in welcher der Ruf noch eine hohe Bedeutung hatte. Es hat sie jedoch niemals davon abgehalten, die Dinge auf ihre Weise zu tun.

Nach dem Krimkrieg erhielt Florence die Mittel, um eine Krankenpflegeschule zu errichten. Auch wurde sie nun auch von der Politik um Rat gefragt.

Unsere Ausbildung hat in den letzten 200 Jahren grosse Fortschritte gemacht. Pflege wurde, nicht zuletzt dank Florence’s Bemühungen zur Profession. Manchmal denke ich: «Ja, da ist alles palletti.» Doch, ist es das? Denn während wir sehr viel Wissen über Gesundheit und Krankheit, in physischer und psychischer Hinsicht erlangen, bleibt eines fast vollständig auf der Strecke: Die Persönlichkeitsentwicklung. Ich weiss, dass Florence, auch darauf Wert gelegt hat. In den so wichtigen Jahren der Akademisierung ist das irgendwie verloren gegangen. Aus meiner Sicht, ist aber genau dies nötig, dass die Pflege ihre Eigenständigkeit erlangen kann. Diese Eigenständigkeit muss aus uns Pflegenden selbst erwachsen, nur so wird sie in der Praxis auch gelebt werden.

Der grösste Verdienst von Florence ist, dass sie Pflege zu einem ehrbaren Beruf gemacht hat. Sie hat es geschafft, die Pflege aus der schmuddeligen Ecke herauszuholen. Niemand kann sich heute mehr vorstellen, dass Pflegende in England jemals als «leichte Mädchen» und trunksüchtige galten. Florence hat mit ihrer Haltung, ihrer Organisation dazu beigetragen, dass Pflege werden konnte, was es wirklich ist: Eine Kunst.

Heute kämpft die Pflege mit den Stereotypen der «sexy Schwester», was ja nicht so weit vom Image des «leichten Mädchens» abweicht, und der barmherzigen Schwester, der die Pflege im Blut ist und die keine Ausbildung braucht. Beides hält sich hartnäckig. Letzteres ist vor allem in politischen Diskussionen anzutreffen. Ersteres in der Gesellschaft. Beides ist falsch. Beides ärgert mich zutiefst. Und beidem möchte ich auch künftig entgegentreten. In Erinnerung an Florence, deren bekanntestes Zitat ist: «Dies ist keine Freizeitbeschäftigung. Krankenpflege ist eine Kunst, und wenn sie zu einer Kunst gemacht werden soll, bedarf sie exklusiver Hingabe und genauso harter Vorbereitung wie die Arbeit jedes Malers oder Bildhauerst. Denn was ist der Umgang mit lebloser Leinwand oder kaltem Marmor im Vergleich zum Umgang mit dem lebendigen Leib, dem tempel des Geistes Gottes?»

Als Teil dieses Berufsstandes, will ich stolz sein auf das, was wir leisten und Florence’s Botschaft in die Welt hinaus tragen.

Am 12. Mai, feiern wir zu Ehren von Florence Nightingale den Internationalen Tag der Pflege. Ich werde an diesem Tag mein Glas heben, auf Florence, die mich gerade in den letzten Tagen so vieles lehrte.

 

Eure Madame Malevizia


Donnerstag, 25. März 2021

Gedanken zu #No Liestal

 


Heute sind wir aufgefordert Farbe zu bekennen. Mit dem #No Liestal geht es nicht etwa darum diese Stadt, die sehr schön sein soll, schlecht zu machen. Mit diesem Hashtag geht es darum, zu sagen, dass wir diese Anti- Corona- Massnahmen – Demos blöd finden. Es geht darum, zu sagen, wir ziehen die Massnahmen jetzt weiter durch, weil sich das Virus nicht einfach verpisst, nur weil wir von dem Scheiss die Nase voll haben. Auch ich wollte zuerst einfach nur ein Bild und den entsprechenden Hashtag posten. Doch da ist ein innerer Widerstand. Macht es Sinn, sich jetzt einfach auf eine Seite zu stellen und eine Front zu bilden? Und die Gegenseite virtuell anzubrüllen? Diese Demos, die gerade immer wieder laufen sind mir selbst ebenfalls zuwider. Auch und vor allem weil sämtliche vernünftigen Vorsichtsmassnahmen ausser Acht gelassen werden. Ich will auch mit niemandem darüber diskutieren, ob es Covid 19 gibt. Als Pflegende habe ich live und in Farbe miterlebt, was Covid- 19 anrichtet. In den Spitälern und in den Langzeiteinrichtungen. Irgendwo zu lesen oder zu hören, dass es das nicht gibt, alles erfunden, alles nur Panikmache und die Intensivstationen seien gar nicht überfüllt (gewesen), ist für mich jedes Mal wie ein Schlag ins Gesicht. Zu solchen Argumenten sage ich: #No Liestal.

Dennoch habe ich den Eindruck, dass wir alle, dringend einen Schritt zurück machen sollten. Unseren Horizont erweitern und uns für andere Lösungen als für die Dauerschleife von Schliessungen und Öffnungen zu öffnen. Ich möchte anfangen zu diskutieren, was können wir sonst noch tun? Was ist das eigentliche Problem? Wie können wir das sinnvoll lösen?  Dazu müssen wir uns aber zuerst auf eine gemeinsame Basis stellen. Ich möchte einen Austausch mit Menschen, die folgendes anerkennen:

Covid – 19 ist real. Es gibt symptomlose (die eben auch ansteckend sind), leichte, mittlere und schwere bis lebensbedrohliche Verläufe. Die schweren bis lebensbedrohlichen Verläufe sind es, die bereits zweimal dafür sorgten, dass unser Gesundheitswesen an den Anschlag kam. Wir sind kurz vor dem Kollaps gestanden.

Covid – 19 ist über die sogenannte Tröpfchenübertragung ansteckend. Es gilt also persönlich entsprechende Massnahmen zu ergreifen, die das Ansteckungsrisiko so gering wie möglich halten.

Einzig in Hygienemassnahmen zu investieren wird nicht ausreichen. Denn so fahren wir unsere Wirtschaft, sowie das Gesundheitswesen tatsächlich an die Wand. Es braucht mehr. Es braucht ein Umdenken und eine Antwort auf die Frage: Wie können wir unsere Gesellschaft und damit auch unser Gesundheitswesen so gestalten, dass wir tatsächlich auch mit diesem Virus leben können? Dazu müssen wir miteinander reden, einander zuhören und Lösungen finden. Eine Demo, bei der die einen, die anderen niederschreien, die einzig Angst und Hass schürt, ist da ganz bestimmt nicht der richtige Weg. Wenn man sich schon «Querdenker» nennt, sollte man dies auch wirklich tun.

Und darum sage auch ich heute #No Liestal.

 

Eure Madame Malevizia