Donnerstag, 28. Mai 2020

Eine würdige Pflege



Am 25.5.2020 war in der Zeitung  Bund ein Interview mit dem Gesundheitsökonom Willy Oggier zu lesen. Thema war der Fachkräftemangel in der Pflege. Dieses hat für Pflegende an der Basis viel emotionalen Zündstoff. Wie so oft wird über unseren Berufsstand gesprochen, ohne, dass wir mit einbezogen werden.

Eigentlich finde ich es gut, wenn ein Problem aus möglichst vielen Blickwinkeln betrachtet wird. Nur so kann eine tragfähige Lösung gefunden werden. Dennoch sind mir die Aussagen von Herrn Oggier zu einseitig. Und die Fragen von Herrn Marti, dem Journalisten ebenfalls. Deshalb nehme ich hier erneut Stellung zu Themen, die wir in der letzten Zeit bereits mehrmals besprochen haben.

Das Thema Geld und Löhne

Natürlich ist es logisch, mit einem Ökonomen über Geld zu sprechen. Ich störe mich aber daran, dass der Eindruck erweckt wird, den Pflegenden mehr Lohn zu zahlen, wäre die Lösung des Fachkräftemangels. Den Wenigsten von uns geht es um mehr Geld, denn das wird unsere Arbeitsbedingungen nicht entscheidend verbessern. Ich will nicht mehr Lohn, ich will mehr Kolleginnen und Kollegen!

Äpfel mit Birnen vergleichen

Und da werde ich echt langsam stinkig. Erst kürzlich hat ein Politiker den Salär einer Pflegefachperson HF mit einer Grundausbildung verglichen. Dass dies falsch ist, brauche ich nicht zu betonen. Im Interview tut es nun der Journalist, was ich äusserst peinlich finde. Der Fachkräftemangel besteht nicht resp. weniger auf Stufe Grundausbildung, sondern auf der Tertiärstufe, und da wären wir in einer anderen Lohnkategorie. Also, wenn wir schon ständig über den Lohn diskutieren müssen, dann bitte mit den richtigen Fakten.

Der Markt spielt

Herr Oggier geht davon aus, dass der Markt spielt. Sprich, bei der grossen Nachfrage an Pflegefachpersonen sollte der Lohn von selbst steigen. Tut er aber nicht! Egal wo ich hinschaue, die Unterschiede sind gering. Und das hat aus meiner Sicht, damit zu tun, dass Gesundheitsinstitutionen eben nicht funktionieren wie jede andere x- beliebige Firma. Sie erfüllen einen Versorgungsauftrag und ihr finanzieller Spielraum, was die Löhne von Pflegefachpersonen betrifft, ist eng. Ich kann mir auch vorstellen, dass wir Pflegenden unseren Anteil daran haben, dass die Löhne nicht adäquat sind. Sollte ich Herrn Oggier jemals begegnen, würde ich sehr gerne über die Gründe dieses Phänomens diskutieren. Ich könnte mir vorstellen, dass wir zusammen einige spannende Lösungsansätze finden würden.

«Viele Pflegende arbeiten Teilzeit. Wenn man nun deren Löhne pauschal erhöht, besteht die Gefahr, dass viele ihr Pensum reduzieren.»

DieserSatz hat mich in der Diskussion zu den Löhnen irritiert:

Viele Pflegende (die Schreibende inklusive) arbeiten Teilzeit, weil sie ein Vollzeitpensum gesundheitlich gar nicht bewältigen können. Ein 100% Pensum im 3 Schichtbetrieb über 365 Tage im Jahr ist ein immerwährender Marathon, der unglaublich an die Substanz geht. Das nur mal dazu. Mühe macht mir bei dieser Aussage aber, dass sich offensichtlich keiner Gedanken darüber macht, warum das so ist und wie es geändert werden könnte. Ich persönlich bin überzeugt, verbessern sich die Arbeitsbedingungen, werden auch wieder mehr Pflegende Vollzeit arbeiten.

Umgekehrt würden auch mehr Mütter wieder in ihren Beruf zurückkehren, wenn sie mit einem Teilzeitpensum mehr verdienen würden, als die Unterbringung ihrer Kinder in der Kita sie kostet.

 

Der Akademisierungsvorwurf

Ich fasse das jetzt mal unter diesem Thema zusammen. Herr Oggier geht im Interview auch mit der Pflegeberufsschulen ins Gericht. Kann man machen. Auch ich bin nicht immer glücklich damit, dass in den Pflegeberufsschulen der Praxisbezug häufig fehlt oder verschwindend klein ist. Über dieses System lässt sich bestimmt diskutieren. Es ist aber nicht der Grund, weshalb viele Pflegende ihren Beruf aufgeben. Das sind die Arbeitsbedingungen. Zu Erfahren , nicht so pflegen zu können, wie es gelernt wurde. Zu Wissen, dass das Gelernte wurde, wirksam ist und dem Menschen um den es geht, helfen würde. Das ist unglaublich frustrierend und viele Frischdiplomierte zerbrechen an diesem Spannungsfeld. So gesehen komme ich nicht umhin zu vermuten, dass jene, die ständig schreien, die Pflege sei zu «akademisiert» sich wünschen, Pflegende wüssten nicht so viel. Dann würde ihnen ja das Spannungsfeld nicht mehr auffallen und sie nicht mehr regelmässig in ethische Dilemmas stürzen.

Wie Herr Oggier angemerkt hat, ist die Halbwertszeit von medizinischem Wissen kurz. Bei der Pflege ist das teilweise auch so. Genau deshalb lernen Pflegende, wie sie ein Thema sinnvoll recherchieren und es dann in der Praxis nutzen können. Genau deshalb sind Pflegeexpertinnen in der Praxis so unendlich wertvoll, weil sie das neueste Wissen in der Pflegeforschung in Standards für die Praxis integrieren und diese auch immer aktuell halten. Ein Grund mehr, weshalb Pflege studiert werden muss.

 

Zu den Fallpauschalen

Ich halte mich da kurz. Es ist mir grundsätzlich neu, dass die Fallpauschalen für uns Pflegende eingeführt wurden. Viel mehr ist es doch so, dass die Pflege in diesen kaum abgebildet ist, und wir uns die Finger wund dokumentieren, damit die Betriebe unsere Leistungen vor den Krankenkassen geltend machen können.

 

Die Digitalisierung wird es richten

Eine Annahme die nur jemand haben kann, der sich auf 1000 Metern Flughöhe befindet und deshalb nicht merkt, dass Pflege am Patientenbett stattfindet. Und in eben diesem Bett befindet sich ein Mensch, der nicht wie eine Maschine funktioniert und auch nicht von einer Maschine gepflegt werden kann. Herr Oggier hat eines nicht bedacht: In der Pflege fehlt es an nicht nur an Händen, sondern vor allem an KÖPFEN. Möglich, dass irgendwelche Roboter einmal Hände für uns sein können. Wenn ich allerdings sehe, wie mein Bedsidescanning – Gerät volle 5min braucht, bis es bestätigt, dass die Blutentnahmeröhrli korrekt beschriftet sind, eine Aufgabe für die ich «von Hand» keine 3Min brauche, zweifle ich daran, dass ich das noch erleben werde. Mit Kopf meine ich nicht nur das nötige Fachwissen um in Notfallsituationen egal welcher Couleur richtig zu handeln, oder solche gar nicht erst entstehen zu lassen. Mit Kopf meine ich auch das professionelle Auftreten und Einbringen im interdisziplinären Team. Ebenfalls zum Kopf gehört die Empathie, um individuell auf die Patienten einzugehen, um ihnen eben mehr zu bieten als nur die Versorgung, sondern eine würdige Pflege.

 

Fazit

Die Pflegeintitative ist im Parlament und ich stelle mit grosser Sorge fest, dass ökonomische Überlegungen höher gewichtet werden, als ethisch moralische Gesichtspunkte.

Noch immer versuchen viele Politikerinnen und Politiker das Problem zu negieren und weg zu argumentieren. Dieses Interview, stösst in eine ähnliche Richtung. Schade, ich fände die Diskussion, um eine sinnvolle Lösung wesentlich interessanter. Sollten sich da draussen Menschen finden, die das ähnlich sehen und sich einer solchen offenen Auseinandersetzung mit dem Thema stellen möchten: Ich bin da und ihr wisst, wo ihr mich finden könnt.

Herzlich, Eure Madame Malevizia.

 


Freitag, 1. Mai 2020

Madame Malevizias Korrespondenz - Mail an Ständerat Alex Kuprecht



Werter Herr Kuprecht,
Mit Interesse habe ich Ihre Diskussion mit Frau Yvonne Ribi  am 30.04. 2020 in der Sendung Forum im Radio SRF 1 verfolgt. Ich schreibe Ihnen als Pflegefachfrau, die seit sie 16-jährig ist, in der Pflege arbeitet. Nebenbei engagiere ich mich berufspolitisch in meinem Blog.
Einige Ihrer Aussagen haben mich verärgert und deshalb möchte ich auch dazu Stellung beziehen.

Sie haben das Salär von Pflegefachpersonen HF mit dem eines Sanitärinstallateurs verglichen. Das ist schlicht eine Frechheit! 
Nicht wegen des Sanitärinstallateurs, sondern weil Sie Äpfel mit Birnen vergleichen. Die Ausbildung Pflegefachperson HF beinhaltet insgesamt 6 (!) Jahre, sie befindet sich also auf Tertiärstufe und nicht auf der Stufe einer Berufslehre. Ich bitte Sie, sich entsprechend zu informieren, bevor Sie solche Aussagen tätigen.
Sie haben betont, dass viel Geld ins Gesundheitswesen fliesst. Das tut es, jedoch NIE in die Pflege! Im Gegenteil, in jeder Sparrunde, egal in welchem Kanton, wird im Gesundheitswesen gespart und jedes Mal, hat es die Pflege getroffen.

Zum Thema Akademisierung. Ich übernehme in der Nachtschicht die Verantwortung für 12 Patienten. Dabei muss ich wissen:
-        Welche Drainage führt von wo nach wo im Körper?
-        Wie sollte das, was da herausfliesst aussehen?
-        Was tue ich, wenn der Patient Schmerzen, Übelkeit, Atemprobleme, Rötungen hat?
-        Wie begleite ich einen Patienten im Sterben?
-        Wie sieht der Sterbeprozess aus?
-        Wie reanimiere ich einen Patienten?
-        Wie mobilisiere ich einen frisch operierten Patienten?
Ich könnte Ihnen diese Liste problemlos über 20 Seiten fortführen. Das lernt niemand innerhalb eines Jahres. Dieses Wissen abrufen zu können und in der Situation anzuwenden macht unseren Beruf so spannend und auch so anspruchsvoll.
«Brauchst du Köpfe oder Hände?» Das hat mich mal eine Pflegedienstleiterin gefragt. In der jetzigen Situation brauchen wir Köpfe, die die Fäden in der Betreuung von kranken Menschen, deren Situationen meist hochkomplex sind,  in der Hand halten können. Das wird eine Fachfrau Gesundheit nicht alleine leisten können, jedenfalls nicht in einem Akutspital. Und auch in den Pflegeheimen, kann die Pflegequalität nicht aufrechterhalten werden, wenn der Anteil an Pflegefachpersonen HF weiterhin sinkt.

Zu Ihren Äusserungen zur COVID – 19 – Krise und Zulage. Frau Ribi hat Ihnen erklärt, was diese Krise für uns bedeutet hat. Für ALLE von uns. So habe ich bis letzte Woche 12 – Stundenschichten gemacht. Meine Station war immer ausgelastet und das nicht zu knapp. Abgesehen davon, dass ich extrem Mühe habe, dass jetzt schon Stimmen laut werden, die finden, «War ja alles nicht so schlimm!» Wir in der Deutschschweiz dürfen einfach nur dankbar sein, dass die Massnahmen des Bundes gegriffen haben. Und eine Garantie, dass es so bleibt, haben wir nicht.

Sie haben mehrmals betont, wie lange Sie Mitglied in der Gesundheitskommission sind. Schon deshalb bin ich einigermassen entsetzt, dass sie a) so wenig über die Ausbildung von Pflegefachpersonen und b) noch weniger über die Anforderungen dieses Berufes wissen. Sollten Sie ernsthaft gewillt sein, ihre Wissenslücken zu schliessen, stehe ich Ihnen sehr gerne zur Verfügung. 

Nun wünsche ich Ihnen Gesundheit, das höchste Gut, das keiner kaufen kann und verbleibe mit Freundlichen Grüssen 

Madame Malevizia

Ps. Ich mache Sie darauf aufmerksam, dass dieses Mail, sowie eine allfällige Antwort auf meinem Blog und meiner Facebookseite veröffentlicht werden.
Ebenfalls finden Sie im Anhang meinen Steckbrief, damit Sie wissen, mit wem sie es zu tun haben.