Donnerstag, 4. April 2019

Die Würde des Menschen ist unantastbar




Meine Lieben,

Ich habe geglaubt mich knutscht ein Elch, als ich den Artikel zur Pflegeinitiative in der NZZ las. «Krankenkassen warnen vor dem teuersten Volksbegehren aller Zeiten» ist der Titel, der mich schon das erste Mal in die Tischplatte beissen lässt. Dass die Krankenkassen, die Pflegeinitiative angreifen würden, ist mir von Anfang klar gewesen. Schliesslich geht es um ihren ganz persönlichen Garten. Nicht nur, dass die Krankenkassen einen Teil ihres finanziellen Kuchens abgeben müssten, mit der Pflegeinitiative hat die Pflege auch einen gewissen politischen Einfluss gewonnen. Dass dies den Krankenkassen, die im Gesundheitswesen quasi ein politisches Monopol hat, nicht passt, ist nachvollziehbar. Doch nun zum Artikel: Diesen werde ich nun gerne kommentieren und zu einigen der gemachten Aussagen Stellung nehmen.
«Problemlos kamen angesichts dieser weit verbreiteten Sympathie genügend Unterschriften für ein Volksbegehren zusammen, das eine «starke Pflege» fordert. Wer hat schon etwas dagegen, die Frauen und Männer besserzustellen, die sich so aufopferungsvoll um die Patienten in Spitälern und Heimen kümmern?»
Ganz massiv störe ich mich am Wort «aufopferungsvoll» da dieses das Bild der barmherzigen Schwester suggeriert. Pflegende sind jedoch nicht «aufopferungsvoll». Wenn wir uns nämlich «opfern» würden, würden wir uns weiterhin alles gefallen lassen. Dann gäbe es die Pflegeinitiative gar nicht. Die Gesellschaft (und offensichtlich auch der Autor dieses Artikels) muss endlich zur Kenntnis nehmen, dass Pflege eine Profession ist, die ein hohes Mass an Wissen und Können erfordert. Liebe und Herz zu dem was man tut gehört ebenfalls dazu, es reicht aber alleine nicht aus! Schon lange nicht mehr! Gerne verweise ich hier auf meinen Blogartikel «Chly chrankeschwösterle», dort beschreibe ich sehr genau was Pflegende heute tun. Die Pflegeinitiative beabsichtigt nicht, Pflegende «besserzustellen». Sie will, dass die Pflegenden das bekommen, was ihnen zusteht: Die Rahmenbedingungen, um ihre Arbeit so zu machen, wie sie es gelernt hat. Nicht mehr. Aber auch nicht weniger. Die Bevölkerung hat genau dies begriffen und die Pflegeinitiative deshalb auch so zahlreich unterschriben.
«Doch ein zentraler Aspekt wurde bis anhin kaum diskutiert: die Kosten.»
Ich war an der Pressekonferenz zur Lancierung der Pflegeinitiative anwesend. Die erste Frage, welche von den Journalisten kam: «Was wird das kosten?» Und nur weil Yvonne Ribi (Geschäftsführerin des SBK) sich weigerte, sich auf Spekulationen einzulassen, wurde da nicht schon auf dem finanziellen Aspekt herumgeritten. Es geht hier jedoch um mehr als die finanziellen Kosten. Wenn nicht gehandelt wird, steht mehr auf dem Spiel, als Geld. Viel mehr: Menschenleben und die Würde von Menschen, die Pflege benötigen ebenso wie die der Pflegenden. «Die Würde des Menschen ist unantastbar.» Dies ist ein Menschenrecht. Es wäre schön, wenn jeder, der sich mit der Pflegeinitiative beschäftigt, sich dieses nicht nur hinter die Ohren schreiben, sondern vor Augen halten würde.
««Wir fürchten, dass das Parlament unter dem Druck der Initiative ein reines Wunschkonzert abhält, ohne die finanziellen Folgen im Blick zu haben», sagt Verena Nold, Direktorin von Santésuisse»».
Diese Aussage zeigt deutlich, wie viel Angst die Santésuisse hat, ihren grossen Einfluss auf die Politik einzubüssen. Zur eigentlichen Aussage:
Was für ein Wunschkonzert? Die Pflegenden wollen weder den ausgerollten Teppich, noch goldene Wasserhähne, noch sonst irgendwelchen Schnickschnack. Sie wollen, ihre Arbeit machen können, ohne dabei Gefahr zu laufen, selbst drauf zu gehen. Die Politik ist glücklicherweise etwas von ihrem Tiefschlaf erwacht und hat begriffen, dass sie jetzt etwas tun muss, bevor der Fachkräftemangel völlig eskaliert.
«Der Krankenkassenverband hat deshalb eigene Berechnungen angestellt – und kommt auf alarmierende Zahlen.»
Präsentiert hat der Krankenkassenverband jedoch nur die Resultate ihrer Berechnung. Wo ist die Rechnung? Worauf stützen sie ihre Annahmen? Ein solches Vorgehen halte ich für höchst unseriös und eines Verbandes mit solch hohem Einfluss für absolut unwürdig. Solange nicht die gesamte Berechnung zugänglich ist, ist diese für die Diskussion der Pflegeinitiative als nicht relevant zu ignorieren.
«In den nächsten Jahren kommen die Babyboomer ins Pflegeheim oder benötigen Spitexleistungen daheim. Um diesen Andrang zu bewältigen, braucht die Schweiz bis ins Jahr 2030 rund 30 000 zusätzliche Pflegende, auf Vollzeitpensen gerechnet. Das erhöht die Lohnkosten laut Santésuisse um rund 2,7 Milliarden Franken pro Jahr – völlig unabhängig von der Pflegeinitiative. Doch diese dürfte dazu führen, dass die Einkommen sowohl der bisherigen rund 144 000 wie auch der zusätzlichen Pflegenden steigen.»
Ich habe schon mehrfach betont, dass der Pflegenotstand nicht droht, sondern bereits Realität ist. Die Zahlen sprechen eine so deutliche Sprache, dass sich hoffentlich auch die Santésuisse nicht die Blösse geben wird, diese anzuzweifeln. Dass mehr Pflegefachpersonal, mehr kosten wird, ist logisch. Dass mehr Pflegefachpersonal benötigt wird ebenfalls. Dafür sind jedoch nicht die Pflegenden selbst nicht verantwortlich. Ihnen das jetzt quasi vorzuwerfen empfinde ich als eine Frechheit.
«Denn die einfachste Methode, die Attraktivität eines Berufs zu erhöhen, läuft über das Portemonnaie.»
Richtig, es ist die einfachste Methode, aber lange nicht die einzige. Ich persönlich setze mich nicht für die Pflegeinitiative ein, weil ich unbedingt mehr Lohn will. Wenn ich das wollte, wäre ich längst in irgendeiner Kaderstelle, wo ich diesen hätte. Ich mache mich für die Pflegeinitiative stark, weil ich mehr Kolleginnen und Kollegen an der Basis, also am Bett brauche! Der Lohn hat bestimmt einen Einfluss, das will ich nicht bestreiten. Ein Salär, welches es den Pflegenden ermöglich eine Familie zu ernähren, ohne dass sie dabei eben jene gar nicht mehr zu Gesicht kriegen, ist allerdings gemessen an der erbrachten Leistung nicht zu viel verlangt.
Offensichtlich ist die Santésuisse zu fantasielos, um weitere Massnahmen zu erkennen, die den Pflegeberuf attraktiver machen könnten. Sollte es den Politikerinnen und Politikern ebenso gehen: Sie dürfen sich gerne bei mir melden, ich wüsste da so einiges…
«Der Krankenkassenverband befürchtet zudem eine Mengenausweitung, die bis zu 1,6 Milliarden Franken kosten würde. Denn die Pflegefachleute dürften künftig ohne Plazet eines Arztes Leistungen abrechnen.»
Die liebe Mengenausweitung. Ich weiss nicht wie oft ich dieses «Totschlagargument» schon gehört und gelesen habe. Die Santésuisse bezahlt also lieber weiterhin die Ärzte dafür, dass sie absoluten Nonsens, nämlich Bedarfsabklärungen unterschreiben, tun. Es ist den Ärzten absolut unmöglich, beurteilen zu können, ob diese Abklärungen stimmen oder nicht. Ihnen fehlt nämlich die Zeit dazu, denn auch die Ärzte haben ein massives Ressourcen -  Problem. Und wenn sie diesen Nonsens nicht mehr tun müssten, hätten sie mehr Zeit für ihre wirklichen Aufgaben.
Das Herzstück der Pflegeinitiative ist das Ziel, den Pflegenden eine Eigenverantwortung vor dem KVG zu geben. Und diese steht ihr verdammt nochmal (exgüse für die Wortwahl, geht gerade nicht anders) zu! Pflegefachpersonen sind schon lange keine Hilfskräfte mehr. Wenn sie die Verantwortung im Alltag nicht übernehmen würden, hätte es schon lange Tote gegeben.
«…dass sich ein beträchtlicher Teil des Personals zur nächsthöheren Stufe ausbilden lässt, etwa von der Fachfrau Gesundheit zur Pflegefachfrau – mit entsprechend höheren Einkommen.»
So eine Frechheit aber auch, dass sich Pflegende weiter entwickeln wollen und für das was sie tun entsprechend entlöhnt werden wollen. Sagt mal geht’s noch? Wir haben in der Schweiz einen eklatanten FACHKRÄFTEMANGEL und eines der grössten Probleme ist, dass die FAGEs eben genau das nicht, oder noch zu wenig tun!
«Falls die Berechnungen des Krankenkassenverbands auch nur annähernd stimmen, könnte die so harmlos erscheinende Pflegeinitiative zu einem der kostspieligsten Volksbegehren aller Zeiten werden. Die gut 5 Milliarden Franken entsprächen dem gesamten Armeebudget. Sie würden rund 5 Prozent der Gesundheitsausgaben ausmachen.»
Der Satz beginnt mit «falls» und genau das bezweifle ich ernsthaft. Bei der Entscheidung Pflegeinitiative Ja/nein, wird sich die Gesellschaft auch die Frage stellen müssen: Wo setzen wir unsere Prioritäten. Wie wichtig ist uns ein menschenwürdiges Gesundheitswesen? Hier wird von 5% der Gesundheitsausgaben gesprochen. Ich frage: Wo zum Geier gehen die anderen 95% hin?
««Die Bedingungen für die Pflege sind in der Schweiz vergleichsweise gut. Deshalb drängt sich kein Ausbau auf», sagt Direktorin Nold.»
Und das ist eine Klatsche ins Gesicht jeder einzelnen Pflegenden dieses Landes! Das Gesundheitswesen ist nur noch nicht kollabiert, weil die Pflegenden über alle Massen hinaus leisten. Sie tun es, weil sie die ihnen anvertrauten Menschen und auch ihre Betriebe nicht im Stich lassen wollen. Den Preis dafür zahlen viele körperlich und seelisch. Die Pflege hat lange Zeit still gehalten, dass sie überhaupt den Schritt zur Lancierung einer Initiative gewählt hat, zeigt, wie hoch der Leidensdruck ist. Nicht einmal mehr die Politik spricht den hohen Handlungsbedarf ab. Frau Nold hat sich mit dieser Aussage gerade selbst disqualifiziert und zeigt, wie wenig, sie von der Pflegewelt weiss.
«Die hiesigen Pflegenden müssen sich um deutlich weniger Patienten pro Schicht kümmern als ihre Kolleginnen in Deutschland oder Spanien.»
Die Santésuisse scheint sich qualitativ lieber nach unten als nach oben zu orientieren. Kann man machen, ist aber weder zeitgemäss noch das, was die Wirtschaft zur Zeit verlangt. Die Verhältnisse in Spanien kenne ich nicht. Die von Deutschland aber durchaus. In mehreren Bundesländern sind Pflegende im Streik (z.B Saarland). Die Pflegenden überhäufen die zuständigen Stellen mit sogenannten «Überlastungsanzeigen», ihr einziges Mittel, ihre Not mitzuteilen. 1 Pflegende für 20 Patienten. Ist das der Massstab den die Santésuisse anwenden will? Eine menschenwürdige Pflege ist so nicht mehr machbar! Dass die Aussage zwischen den Zeilen, nämlich «Hört doch auf zu jammern» an Arroganz nicht mehr zu überbieten ist, brauche ich nicht extra zu erwähnen.
«Auch die Patienten bewerten die Qualität der Pflege regelmässig als sehr hoch – das wäre kaum der Fall, wenn das Personal permanent überstrapaziert oder demotiviert wäre.»
Das ist so, weil die Pflegenden alles daran setzen, ihre Arbeit, die sie lieben so gut als möglich zu machen. Das ist so, weil Pflegende Überstunden schieben, ihre Pausen weglassen, manchmal auch zu wenig trinken und erst im letzten Moment zur Toilette gehen, um das eigentlich Unmögliche noch möglich zu machen. Ist es wirklich nötig das Pflegende erst dann ernst genommen werden, wenn sie ihre Berufsehre aussen vor und das Gesundheitswesen gegen die Wand knallen lassen?

Yvonne Ribi, die Geschäftsführerin des SBK hat in diesem Artikel ebenfalls eine Stimme bekommen. Danke, Yvonne, für Deine treffenden Worte, mit denen Du Dich der Santésuisse entgegenstellst. Ich möchte nur auf zwei von Yvonne Ribis Ausführungen eingehen:
«Mit einer eigenen Kostenschätzung Santésuisse kontern will der SBK nicht. «Denn jede Schätzung, die nicht auf verschiedenen Szenarien beruht, ist unseriös.»»
Ich bin froh, dass der SBK nicht auf so einen «Zahlenkrieg» eingeht. Wenn Zahlen genannt werden, müssen diese Hieb- und Stichfest sein. Diese Professionalität ist der SBK seinen Mitgliedern und allen Pflegenden schuldig. Schön, nehmen sie diese Verantwortung wahr.
«Und das menschliche Leid bei schlechter und fehlender Pflege sei ein zentraler Faktor, der nicht «monetarisierbar» sei.»
Damit ist alles gesagt.
Ich möchte diesen zugegeben langen Blog abschliessen mit den Worten, die wenn es um das Gesundheitswesen geht, von zentraler Bedeutung sind:
Die Würde des Menschen ist unantastbar.
Eure Madame Malevizia