Dienstag, 16. Oktober 2018

Kolumne Schrittmacherin 4/18 "Drüber rede"




Es gibt etwas, das alle Pflegenden für ihren Berufsstand tun können. Es kostet nichts, nicht einmal viel Zeit, es braucht nur ein wenig Mut: Darüber sprechen. Damit tun sie bereits unglaublich viel. Es ist so wichtig, dass Pflegende über ihren konkreten Pflegealltag sprechen. Über das Licht und auch über die Schatten. Nur so können wir die Gesellschaft für das, was in der Pflegewelt geschieht, sensibilisieren. Pflegende erleben Dinge, die unglaublich und manchmal auch unfassbar sind. Pflegende erleben Wunder hautnah, und sie erleben Leid, welches sie manchmal nur mittragen können. Indem sie darüber sprechen, wird es auch für sie realer. Manchmal hat man/frau als Pflegende nämlich tatsächlich das Gefühl im falschen Film zu sein. Es zu erzählen, kann da eine wichtige Ressource sein. Aber sie tun damit nicht nur sich selbst etwas Gutes, sondern eben auch dem gesamten Berufsstand. Die Bevölkerung muss wissen, wie es um die Pflege steht. Sie muss wissen, dass sich die Pflege fast zu Tode dokumentiert, um ihre Leistungen belegen zu können. Sie müssen wissen, dass Pflegende sich tagtäglich mit ethisch – moralischen Konflikten auseinandersetzen muss, die essenzieller nicht sein könnten. Es sind Fragen wie: lasse ich jetzt den Patienten XY noch länger in seinen Exkrementen liegen oder den Patienten M. noch länger vor Schmerzen schreien? Darüber sollen und dürfen Pflegende sprechen, wo auch immer sie die Gelegenheit dazu haben. Die Öffentlichkeit muss wissen, was es für freischaffende Pflegende, für die Spitex und die Heime bedeutet, dass die Materialkosten nicht mehr von den Krankenkassen übernommen werden müssen. Mal ganz ehrlich, in welchem Beruf gibt es denn sowas? Ich sehe schon die alten Damen ihre Inkontinenzeinlagen auf dem Heizkörper trocknen, um zu sparen. Die Gesellschaft muss wissen, dass in den SwissDRG die Pflege absolut ungenügend abgebildet ist und dieses politische Versäumnis dazu führt, dass die Stellenpläne deutlich unter dem Bedarf liegen.

Wenn Pflegende über ihre Arbeit sprechen, gibt es einen Satz, den sie ganz bestimmt immer zu hören bekommen. Ich persönlich trinke ja in Gedanken immer einen darauf, wenn er kommt. Allerdings nur noch in Gedanken, denn sonst wäre ich inzwischen dauerbetrunken. «Ich könnte das nicht.» Zum einen drückt dieser Satz bestimmt auch Bewunderung und Respekt aus. Mir kommt er jedoch auch immer wieder wie ein «Totschläger» vor, der eine ehrliche Auseinandersetzung mit den Problemen der Pflege von vornherein abwürgt. Bisher habe ich das tatsächlich auch zugelassen. Ich will ja niemandem auf die Nerven gehen, vor allem nicht meinen Freunden und Bekannten. Ja, auch Pflegehexen, haben mitunter einen gewissen Hang zur Harmonie. Nun habe ich mir aber eines fest vorgenommen. In Zukunft werde ich auf den Satz « Ich könnte das nicht.» antworten mit. «Und weil das nicht alle können, gehört die Förderung der Pflege in die Verfassung. Ich zähle auf Dein Ja zur Pflegeinitiative.»

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