Donnerstag, 31. März 2022

Augen auf

 


Wenn wir ihnen nicht widersprechen, werden Behauptungen zur Wahrheit. Und genau deshalb beziehe ich Stellung zu einem Gastkommentar, der plötzlich in meiner Timeline auftauchte. Geschrieben hat diesen ein Herr Manuel Ackermann, Leiter Public Affairs santésuisse. Was genau den Herrn dazu qualifiziert, über die Pflege zu sprechen, erschliesst sich mir nicht ganz, aber das muss es auch nicht. Jede:r darf seine Meinung äussern und das werde ich nun auch tun. Denn ich habe keine Lust mehr, dass jeder frisch fröhlich einfach irgendetwas behaupten kann, wenn es um de Pflegenotstand geht. Dabei beziehe ich mich auf folgenden Text:


"Pflege mit Augenmass weiterentwickeln - Gastkommentar

Die Covid - 19 Pandemie hat gezeigt, wie wichtig die Pflege für eine leistungsfähige Gesundheitsversorgung ist. Gefragt waren insbesondere hochqualifizierte Pfleger:innen in Berufen wie beispielsweise der Intensivpflege.

Manuel Ackermann, Leiter Public Affairs Santésuisse

Die grösste Herausforderung für die Pflege ist aber nicht die ausserordentliche aktuelle Krisensituation, sondern die demografische Entwicklung und der steigende Bedarf an zusätzlichem Personal in der Grundpflege. Ab 2030 wird mit einem Höhepunkt an Pflegebedürftigen gerechnet, darum werden wir in der Schweiz deutlich mehr Pflegepersonal benötigen. Zur Sicherstellung der Grundpflege sind insbesondere Fachangestellte Gesundheit und Pflegehelfer:innen SRK gefragt. Bei der Ausbildungsoffensive, die das Parlament beim Gegenvorschlag zur Pflegeinitiative ausgearbeitet hat, muss der Fokus auf die Ausbildung dieser Berufsgruppen gelegt werden. Die Ausbildungsoffensive soll nicht nur zu mehr diplomierten Pflegfachleuten führen, sondern allen Pflegeberufen zu Gute kommen. Einer weitergehenden Autonomie der Pflegefachleute mit eigenen Anordnungskompetenzen - d.h. ohne ärztliche Anordnung- hat das Parlament im Rahmen des indirekten Gegenvorschlags bereits zugestimmt, allerdings mit klaren Leitplanken. Diese braucht es in Form eines Kosten - und Mengenmonitorings sowie Korrekturmassnahmen, die bei unerklärbaren Mengenausweitungen greifen würden. Letztlich kann die Zufriedenheit der Berufsleute nur sehr begrenzt auf gesetzlicher Ebene geregelt werden. Hier sind die Kantone gefordert, die für die Versorgungsplanung verantwortlich sind." 



Zuallererst, bevor ich mit dem eigentlichen Inhalt beschäftige, möchte ich eines klar stellen: Dieser Text ist von A – Z eine absolute Frechheit und zeigt vor allem eines: Die Ignoranz der Santésuisse gegenüber der Pflege! Ein solches Verhalten ist schon grundsätzlich inakzeptabel. Ich weiss nicht, ob Herr Ackermann es wirklich nicht weiss, oder die Pflegefachpersonen FA Intensivpflege absichtlich degradiert. Es heiss nicht Pfleger:in! Pflegerin ist der Titel einer (alten) 2 Jährigen Ausbildung (war vor allem in der Langzeitpflege tätig). Er spricht aber von Pflegefachpersonen mit einer insgesamt 5 (!) jährigen Ausbildung.

Der von ihm angesprochene Fachkräftemangel bestand schon vor der Pandemie. Die Pandemie war jetzt einfach noch der Durchlauferhitzer welcher die Situation zusätzlich aufgeheizt hat. Und das in ALLEN Bereichen. Darüber alleine könnte ich einen Blog – Beitrag verfassen. Doch das ist nicht das Thema. Das Thema ist, dass wieder jemand versucht die Leistungen der Pflegenden während der Pandemie klein zu reden. Und auch noch so tut, als ob jetzt, wo die Krise ja vorbei ist, alles in Ordnung sei. Nichts ist in Ordnung! Der Fachkräftemangel hat sich zusätzlich verschärft, weil während der Krise noch mehr Pflegende den Beruf verlassen haben. Ich weiss auch nicht, wie viele aufgrund eines Burnouts längere Zeit krank geschrieben sind, doch es sind einige. So viele, dass weiterhin Betten auf Intensivstationen sowie Bettenstationen geschlossen werden müssen.

 

Ich möchte mich nun zur folgenden Aussage äussern. Wenn ich diese lese, weiss ich echt nicht, ob ich lachen, weinen oder doch besser einfach schreiend um ein Feuer tanzen soll. (Ich habe mir mal sagen lassen, Hexen täten so etwas)



"Die grösste Herausforderung für die Pflege ist aber nicht die ausserordentliche aktuelle Krisensituation, sondern die demografische Entwicklung und der steigende Bedarf an zusätzlichem Personal in der Grundpflege. Ab 2030 wird mit einem Höhepunkt an Pflegebedürftigen gerechnet, darum werden wir in der Schweiz deutlich mehr Pflegepersonal benötigen. Zur Sicherstellung der Grundpflege sind insbesondere Fachangestellte Gesundheit und Pflegehelfer:innen SRK gefragt. Bei der Ausbildungsoffensive, die das Parlament beim Gegenvorschlag zur Pflegeinitiative ausgearbeitet hat, muss der Fokus auf die Ausbildung dieser Berufsgruppen gelegt werden. Die Ausbildungsoffensive soll nicht nur zu mehr diplomierten Pflegfachleuten führen, sondern allen Pflegeberufen zu Gute kommen."

Mit dieser Aussage zielt Hr. Ackermann auf die Langzeitpflege, jener Bereich welcher vom Fachkräftemangel auf Tertiärstufe bereits seit Jahren betroffen ist. Die Folge davon: Fachpersonen der Sekundarstufe 2, also Fachpersonen Gesundheit/Betreuung übernehmen gezwungenermassen Aufgaben der Pflegefachpersonen HF.

Betrachten wir zuerst einmal den Begriff «Grundpflege». Hier die Definition von Comparis: «Die Grundpflege beinhaltet Hilfe beim Duschen, Baden und Waschen, bei Kompressionsstrümpfen, beim An- und Auskleiden, beim Essen und Trinken, beim Toilettengang, beim Aufstehen, Hinlegen und Gehen oder bei der Zahnpflege.» Voilà! Da wären wir dann beim Sauber – Satt – Prinzip. Eine solche Aussage mit dem Titel: «Weiterentwicklung der Pflege» zu versehen, zeigt die Fachkenntnis dieses Menschen deutlich. Langzeitpflege ist schon seit Jahrhunderten viel mehr als das. Die betagten Menschen haben nämlich nicht nur einen Körper, sondern auch einen Geist und eine Seele, die ebenso gepflegt werden sollen. Langzeitpflege ist genauso eine Profession, wie die Akutpflege. Zur Langzeitpflege gehört die professionelle Beziehungspflege, die Angehörigenbetreuung, die Behandlungspflege, und auch die Palliative Betreuung bis zum Lebensende. Und ich habe noch lange nicht alles aufgezählt. Fachpersonen Gesundheit können viel, aber es fehlen ihnen 3 Jahre vertiefende Ausbildung genau in diesen Bereichen. Hinzu kommt, dass betagte Menschen hoch vulnerabel und multimorbid sind. Es kommt auch in der Langzeitpflege immer wieder zu lebensbedrohlichen Zuständen, auf welche reagiert werden muss. Denn auch wenn sich diese Menschen am Ende des Lebenskontinuums befinden, haben sie das Recht auf bestmögliche medizinische Versorgung, so weit sie dies wünschen. Viele Spitaleinweisungen und auch viel Leid könnten vermieden werden, wenn in der Langzeitfpflege ausreichend Fachpersonal vorhanden wäre, das rechtzeitig oder noch besser präventiv handeln kann.

Es verärgert und entsetzt mich zutiefst, dass wir im Jahr 2022 noch darüber diskutieren müssen, ob es Pflegefachpersonen HF in der Langzeitpflege braucht. Keiner würde ein Haus bauen wollen, ohne einen Architekten im Team zu haben. Keiner würde sagen: Der Bauführer reicht doch aus. Warum wird es dann in der Pflege gemacht?

Ganz zum Schluss möchte ich eines deutlich machen: Wirklich professionelle Pflege egal in welchem Bereich ist nur möglich, wenn jede Berufsgruppe das machen kann, wozu sie ausgebildet wurde. Das ist dieser sagenumwobene Skill – und Grademix. Und genau das, ist in der Langzeitpflege nicht mehr der Fall. Fachpersonen Gesundheit müssen zu viele Aufgaben übernehmen, welche eine Pflegefachperson HF machen sollte. Sie tun es, weil niemand anders da ist, der es könnte. Sie werden dazu unterbezahlt, verheizt und ausgebrannt. Ist es das, was Herr Ackermann weiterhin als Buisness as usual zementieren möchte?

Das Potential der Fachangestellten Pflege liegt in der Langzeitpflege genau wegen dieser Verlagerung der Aufgaben brach. Dadurch wird den Bewohner:innen eine optimale Pflege und Betreuung vorenthalten. Und das auch noch bewusst.

Die Zufriedenheit der Pflegefachpersonen würde sich signifikant verbessern, könnte sie ihre Arbeit endlich so machen, wie sie es gelernt haben. Noch mehr würde sie sich steigern,  wenn ihr bezüglich Autonomie nicht ständig Geldgier und Inkompetenz unterstellt würde. Da könnte Herr Ackermann durchaus seinen Beitrag leisten. 

Die Überschrift des Kommentars lautet: «Die Pflege mit Augenmass weiterentwickeln.»

Ich sage: Vielleicht sollten Sie zuerst die Augen aufmachen!

 

Patricia Tschannen, Pflegehexe und  Pflegefachfrau HF, im März 2022




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