Meine Lieben,
Ich habe geglaubt mich knutscht ein Elch, als ich
den Artikel zur Pflegeinitiative in der NZZ las. «Krankenkassen warnen vor dem
teuersten Volksbegehren aller Zeiten» ist der Titel, der mich schon das erste
Mal in die Tischplatte beissen lässt. Dass die Krankenkassen, die
Pflegeinitiative angreifen würden, ist mir von Anfang klar gewesen.
Schliesslich geht es um ihren ganz persönlichen Garten. Nicht nur, dass die
Krankenkassen einen Teil ihres finanziellen Kuchens abgeben müssten, mit der
Pflegeinitiative hat die Pflege auch einen gewissen politischen Einfluss
gewonnen. Dass dies den Krankenkassen, die im Gesundheitswesen quasi ein
politisches Monopol hat, nicht passt, ist nachvollziehbar. Doch nun zum Artikel:
Diesen werde ich nun gerne kommentieren und zu einigen der gemachten Aussagen
Stellung nehmen.
«Problemlos
kamen angesichts dieser weit verbreiteten Sympathie genügend Unterschriften für
ein Volksbegehren zusammen, das eine «starke Pflege» fordert. Wer hat schon
etwas dagegen, die Frauen und Männer besserzustellen, die sich so
aufopferungsvoll um die Patienten in Spitälern und Heimen kümmern?»
Ganz massiv störe ich mich am Wort «aufopferungsvoll»
da dieses das Bild der barmherzigen Schwester suggeriert. Pflegende sind jedoch
nicht «aufopferungsvoll». Wenn wir uns nämlich «opfern» würden, würden wir uns
weiterhin alles gefallen lassen. Dann gäbe es die Pflegeinitiative gar nicht.
Die Gesellschaft (und offensichtlich auch der Autor dieses Artikels) muss
endlich zur Kenntnis nehmen, dass Pflege eine Profession ist, die ein hohes Mass
an Wissen und Können erfordert. Liebe und Herz zu dem was man tut gehört
ebenfalls dazu, es reicht aber alleine nicht aus! Schon lange nicht mehr! Gerne
verweise ich hier auf meinen Blogartikel «Chly chrankeschwösterle», dort
beschreibe ich sehr genau was Pflegende heute tun. Die Pflegeinitiative beabsichtigt
nicht, Pflegende «besserzustellen». Sie will, dass die Pflegenden das bekommen,
was ihnen zusteht: Die Rahmenbedingungen, um ihre Arbeit so zu machen, wie sie
es gelernt hat. Nicht mehr. Aber auch nicht weniger. Die Bevölkerung hat genau
dies begriffen und die Pflegeinitiative deshalb auch so zahlreich
unterschriben.
«Doch
ein zentraler Aspekt wurde bis anhin kaum diskutiert: die Kosten.»
Ich war an der Pressekonferenz zur Lancierung der
Pflegeinitiative anwesend. Die erste Frage, welche von den Journalisten kam: «Was
wird das kosten?» Und nur weil Yvonne Ribi (Geschäftsführerin des SBK) sich
weigerte, sich auf Spekulationen einzulassen, wurde da nicht schon auf dem
finanziellen Aspekt herumgeritten. Es geht hier jedoch um mehr als die finanziellen
Kosten. Wenn nicht gehandelt wird, steht mehr auf dem Spiel, als Geld. Viel
mehr: Menschenleben und die Würde von Menschen, die Pflege benötigen ebenso wie
die der Pflegenden. «Die Würde des Menschen ist unantastbar.» Dies ist ein
Menschenrecht. Es wäre schön, wenn jeder, der sich mit der Pflegeinitiative
beschäftigt, sich dieses nicht nur hinter die Ohren schreiben, sondern vor Augen
halten würde.
««Wir
fürchten, dass das Parlament unter dem Druck der Initiative ein reines
Wunschkonzert abhält, ohne die finanziellen Folgen im Blick zu haben», sagt
Verena Nold, Direktorin von Santésuisse»».
Diese Aussage zeigt
deutlich, wie viel Angst die Santésuisse hat, ihren grossen Einfluss auf die Politik
einzubüssen. Zur eigentlichen Aussage:
Was für ein Wunschkonzert?
Die Pflegenden wollen weder den ausgerollten Teppich, noch goldene Wasserhähne,
noch sonst irgendwelchen Schnickschnack. Sie wollen, ihre Arbeit machen können,
ohne dabei Gefahr zu laufen, selbst drauf zu gehen. Die Politik ist
glücklicherweise etwas von ihrem Tiefschlaf erwacht und hat begriffen, dass sie
jetzt etwas tun muss, bevor der Fachkräftemangel völlig eskaliert.
«Der
Krankenkassenverband hat deshalb eigene Berechnungen angestellt – und kommt auf
alarmierende Zahlen.»
Präsentiert hat der
Krankenkassenverband jedoch nur die Resultate ihrer Berechnung. Wo ist die
Rechnung? Worauf stützen sie ihre Annahmen? Ein solches Vorgehen halte ich für
höchst unseriös und eines Verbandes mit solch hohem Einfluss für absolut
unwürdig. Solange nicht die gesamte Berechnung zugänglich ist, ist diese für
die Diskussion der Pflegeinitiative als nicht relevant zu ignorieren.
«In den nächsten Jahren
kommen die Babyboomer ins Pflegeheim oder benötigen Spitexleistungen daheim. Um
diesen Andrang zu bewältigen, braucht die Schweiz bis ins Jahr 2030 rund 30 000
zusätzliche Pflegende, auf Vollzeitpensen gerechnet. Das erhöht die Lohnkosten
laut Santésuisse um rund 2,7 Milliarden Franken pro Jahr – völlig unabhängig
von der Pflegeinitiative. Doch diese dürfte dazu führen, dass die Einkommen sowohl
der bisherigen rund 144 000 wie auch der zusätzlichen Pflegenden steigen.»
Ich habe schon mehrfach
betont, dass der Pflegenotstand nicht droht, sondern bereits Realität ist. Die
Zahlen sprechen eine so deutliche Sprache, dass sich hoffentlich auch die
Santésuisse nicht die Blösse geben wird, diese anzuzweifeln. Dass mehr Pflegefachpersonal,
mehr kosten wird, ist logisch. Dass mehr Pflegefachpersonal benötigt wird
ebenfalls. Dafür sind jedoch nicht die Pflegenden selbst nicht verantwortlich. Ihnen
das jetzt quasi vorzuwerfen empfinde ich als eine Frechheit.
«Denn die einfachste
Methode, die Attraktivität eines Berufs zu erhöhen, läuft über das
Portemonnaie.»
Richtig, es ist die
einfachste Methode, aber lange nicht die einzige. Ich persönlich setze mich
nicht für die Pflegeinitiative ein, weil ich unbedingt mehr Lohn will. Wenn ich
das wollte, wäre ich längst in irgendeiner Kaderstelle, wo ich diesen hätte.
Ich mache mich für die Pflegeinitiative stark, weil ich mehr Kolleginnen und
Kollegen an der Basis, also am Bett brauche! Der Lohn hat bestimmt einen Einfluss,
das will ich nicht bestreiten. Ein Salär, welches es den Pflegenden ermöglich
eine Familie zu ernähren, ohne dass sie dabei eben jene gar nicht mehr zu
Gesicht kriegen, ist allerdings gemessen an der erbrachten Leistung nicht zu
viel verlangt.
Offensichtlich ist die
Santésuisse zu fantasielos, um weitere Massnahmen zu erkennen, die den
Pflegeberuf attraktiver machen könnten. Sollte es den Politikerinnen und
Politikern ebenso gehen: Sie dürfen sich gerne bei mir melden, ich wüsste da so
einiges…
«Der
Krankenkassenverband befürchtet zudem eine Mengenausweitung, die bis zu 1,6
Milliarden Franken kosten würde. Denn die Pflegefachleute dürften künftig ohne
Plazet eines Arztes Leistungen abrechnen.»
Die liebe
Mengenausweitung. Ich weiss nicht wie oft ich dieses «Totschlagargument» schon
gehört und gelesen habe. Die Santésuisse bezahlt also lieber weiterhin die
Ärzte dafür, dass sie absoluten Nonsens, nämlich Bedarfsabklärungen unterschreiben,
tun. Es ist den Ärzten absolut unmöglich, beurteilen zu können, ob diese
Abklärungen stimmen oder nicht. Ihnen fehlt nämlich die Zeit dazu, denn auch die
Ärzte haben ein massives Ressourcen - Problem. Und wenn sie diesen Nonsens nicht
mehr tun müssten, hätten sie mehr Zeit für ihre wirklichen Aufgaben.
Das Herzstück der
Pflegeinitiative ist das Ziel, den Pflegenden eine Eigenverantwortung vor dem
KVG zu geben. Und diese steht ihr verdammt nochmal (exgüse für die Wortwahl,
geht gerade nicht anders) zu! Pflegefachpersonen sind schon lange keine
Hilfskräfte mehr. Wenn sie die Verantwortung im Alltag nicht übernehmen würden,
hätte es schon lange Tote gegeben.
«…dass sich ein
beträchtlicher Teil des Personals zur nächsthöheren Stufe ausbilden lässt, etwa
von der Fachfrau Gesundheit zur Pflegefachfrau – mit entsprechend höheren
Einkommen.»
So eine Frechheit aber
auch, dass sich Pflegende weiter entwickeln wollen und für das was sie tun
entsprechend entlöhnt werden wollen. Sagt mal geht’s noch? Wir haben in der
Schweiz einen eklatanten FACHKRÄFTEMANGEL und eines der grössten Probleme ist,
dass die FAGEs eben genau das nicht, oder noch zu wenig tun!
«Falls die Berechnungen
des Krankenkassenverbands auch nur annähernd stimmen, könnte die so harmlos
erscheinende Pflegeinitiative zu einem der kostspieligsten Volksbegehren aller
Zeiten werden. Die gut 5 Milliarden Franken entsprächen dem gesamten
Armeebudget. Sie würden rund 5 Prozent der Gesundheitsausgaben ausmachen.»
Der Satz beginnt mit «falls»
und genau das bezweifle ich ernsthaft. Bei der Entscheidung Pflegeinitiative Ja/nein,
wird sich die Gesellschaft auch die Frage stellen müssen: Wo setzen wir unsere
Prioritäten. Wie wichtig ist uns ein menschenwürdiges Gesundheitswesen? Hier
wird von 5% der Gesundheitsausgaben gesprochen. Ich frage: Wo zum Geier gehen
die anderen 95% hin?
««Die Bedingungen für
die Pflege sind in der Schweiz vergleichsweise gut. Deshalb drängt sich kein
Ausbau auf», sagt Direktorin Nold.»
Und das ist eine
Klatsche ins Gesicht jeder einzelnen Pflegenden dieses Landes! Das
Gesundheitswesen ist nur noch nicht kollabiert, weil die Pflegenden über alle
Massen hinaus leisten. Sie tun es, weil sie die ihnen anvertrauten Menschen und
auch ihre Betriebe nicht im Stich lassen wollen. Den Preis dafür zahlen viele körperlich
und seelisch. Die Pflege hat lange Zeit still gehalten, dass sie überhaupt den
Schritt zur Lancierung einer Initiative gewählt hat, zeigt, wie hoch der
Leidensdruck ist. Nicht einmal mehr die Politik spricht den hohen Handlungsbedarf
ab. Frau Nold hat sich mit dieser Aussage gerade selbst disqualifiziert und
zeigt, wie wenig, sie von der Pflegewelt weiss.
«Die hiesigen
Pflegenden müssen sich um deutlich weniger Patienten pro Schicht kümmern als
ihre Kolleginnen in Deutschland oder Spanien.»
Die Santésuisse scheint
sich qualitativ lieber nach unten als nach oben zu orientieren. Kann man
machen, ist aber weder zeitgemäss noch das, was die Wirtschaft zur Zeit
verlangt. Die Verhältnisse in Spanien kenne ich nicht. Die von Deutschland aber
durchaus. In mehreren Bundesländern sind Pflegende im Streik (z.B Saarland). Die
Pflegenden überhäufen die zuständigen Stellen mit sogenannten «Überlastungsanzeigen»,
ihr einziges Mittel, ihre Not mitzuteilen. 1 Pflegende für 20 Patienten. Ist
das der Massstab den die Santésuisse anwenden will? Eine menschenwürdige Pflege
ist so nicht mehr machbar! Dass die Aussage zwischen den Zeilen, nämlich «Hört
doch auf zu jammern» an Arroganz nicht mehr zu überbieten ist, brauche ich nicht
extra zu erwähnen.
«Auch die Patienten
bewerten die Qualität der Pflege regelmässig als sehr hoch – das wäre kaum der
Fall, wenn das Personal permanent überstrapaziert oder demotiviert wäre.»
Das ist so, weil die
Pflegenden alles daran setzen, ihre Arbeit, die sie lieben so gut als möglich
zu machen. Das ist so, weil Pflegende Überstunden schieben, ihre Pausen
weglassen, manchmal auch zu wenig trinken und erst im letzten Moment zur Toilette
gehen, um das eigentlich Unmögliche noch möglich zu machen. Ist es wirklich
nötig das Pflegende erst dann ernst genommen werden, wenn sie ihre Berufsehre
aussen vor und das Gesundheitswesen gegen die Wand knallen lassen?
Yvonne Ribi, die
Geschäftsführerin des SBK hat in diesem Artikel ebenfalls eine Stimme bekommen.
Danke, Yvonne, für Deine treffenden Worte, mit denen Du Dich der Santésuisse entgegenstellst.
Ich möchte nur auf zwei von Yvonne Ribis Ausführungen eingehen:
«Mit einer eigenen
Kostenschätzung Santésuisse kontern will der SBK nicht. «Denn jede Schätzung,
die nicht auf verschiedenen Szenarien beruht, ist unseriös.»»
Ich bin froh, dass der
SBK nicht auf so einen «Zahlenkrieg» eingeht. Wenn Zahlen genannt werden,
müssen diese Hieb- und Stichfest sein. Diese Professionalität ist der SBK seinen
Mitgliedern und allen Pflegenden schuldig. Schön, nehmen sie diese
Verantwortung wahr.
«Und das menschliche
Leid bei schlechter und fehlender Pflege sei ein zentraler Faktor, der nicht
«monetarisierbar» sei.»
Damit ist alles gesagt.
Ich möchte diesen zugegeben
langen Blog abschliessen mit den Worten, die wenn es um das Gesundheitswesen
geht, von zentraler Bedeutung sind:
Die
Würde des Menschen ist unantastbar.
Eure Madame Malevizia
Danke für die Klarstellungen! Wir sollten unsere Zusammenarbeit intensivieren. https://wirtschaft-ist-care.org
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