Donnerstag, 12. Mai 2022

Eine pflegehexerische 12. Mai - Schrift

 

Foto Eve Kohler

Es ist der 12. Mai «Tag der Pflege». Der Geburtstag von Florence Nightingale. Sie gilt als Begründerin der modernen Krankenpflege. Es ist der Geburtstag einer Frau, die sich nicht mit einem langweiligen Leben als Tochter aus reichem Haus zufriedengeben wollte. Es ist der Geburtstag einer Frau, die Pflege zu einem ehrbaren Beruf machte. Das hat sie getan, weil ihr eines klar war: Jeden Depp von der Strasse an ein Krankenbett zu stellen, ist nicht im Sinne der darin liegenden kranken oder verletzten Personen. Sie hat erkannt, dass wirkungsvolle Pflege, eine Ausbildung benötigt. Sie hat die nötigen Eigenschaften von Pflegenden erkannt: Verlässlichkeit, Geduld, Geschick, Erfahrung, Beobachtungsgabe, schnelle Auffassungsgabe und Intelligenz. Einige dieser Eigenschaften sind lernbar. Andere haben mit Erziehung zu tun. Ebenfalls hat Florence erkannt, dass die Infrastruktur wichtig ist. Ausreichend und sauberes Material, hygienische Örtlichkeiten. Dafür hat Florence sich eingesetzt, das hat sie gefordert. Die Wirksamkeit ihrer Forderungen hat sie mit Statistiken belegt.

Ich bin Florence dankbar, dass sie den schönsten Beruf der Welt mitbegründet hat und meine Eltern nicht fürchten mussten, dass ihre Tochter in der Gosse landet, weil sie Pflegefachfrau wurde.

Darum ist der 12. Mai für mich ein Feiertag. Ein Tag an dem ich Florence gedenke und ein Glas auf diese, meine Heldin trinke. Ebenfalls treffe ich mich mit (hoffentlich) vielen Kolleg:innen auf der Strasse und mache darauf aufmerksam, dass wir auch heute nicht haben, was wir brauchen, um unseren Beruf ausüben zu können. Es fehlt an Grundlegendem. Es fehlt an ausreichend Pflegenden. Schon seit Jahrzehnten ist das so. Und wenig passiert. Warum? Weil genau diese Eigenschaften, die uns mitausmachen, Verlässlichkeit und Geduld, gegen uns verwendet werden. Zu viele Entscheidungsträger verlassen sich darauf, dass wir weiter machen, dass wir das drölfzigste Mal einspringen oder den Dienst mit zu wenig Personal durchziehen, ohne dass jemand dabei stirbt. Diese Haltung ist so unglaublich kurzsichtig und fliegt uns allen nach 2.5 Jahren Pandemie immer stärker um die Ohren. Noch mehr von uns mussten aufhören. Noch mehr von uns mussten die Basis verlassen, weil sie nicht mehr konnten. Auch für sie stehe ich am 12. Mai auf der Strasse. So darf es nicht weiter gehen! Dieses Spiel muss endlich beendet werden. Doch dieses Spiel müssen auch wir selbst mit beenden.

Wenn ich an Florence denke, sehe ich eine stolze Frau aus gehobenen Kreisen. Ich denke auch, dass sie recht ungemütlich werden konnte, wenn ihr etwas nicht gefiel. Und sie mit Hartnäckigkeit ihre Ziele erreichte. Sie hatte das, was ich Berufsstolz nenne. 

Foto Eve Kohler


Dazu möchte ich einige Worte direkt  an euch richten, liebe Kolleginnen und Kollegen. Wir brauchen den Berufsstolz, damit wir die Kraft finden das Spiel, welches mit uns gespielt wird zu beenden.

Immer höre ich, wie ihr sagt: « Ich bin ja «nur», in der Langzeitpflege, in der Psychiatrie, in der Rehab». Ich bitte euch, streicht das «nur». Gerade ihr, die ihr so sehr vom Fachkräftemangel betroffen seid, betreibt Hochleistungssport. Es gibt nichts Komplexeres als die Pflege und Betreuung von betagten Menschen. Wollte frau dort alle Pflegediagnosen stellen, die Liste wäre von hier zum Himalaya so lang. Ihr betreut nicht nur die Menschen in der Einrichtung, sondern auch ihre Angehörigen. Ihr begleitet auf dem letzten Lebensabschnitt, bis zum Tod. Macht das nicht klein. Ihr seid Pflegefachpersonen in der Langzeitpflege.

Als Psychiatriepflegefachpersonen begleitet ihr Menschen, die nicht dem «Muster» entsprechen, Menschen in Lebenskrisen. Und nicht selten geht es auch dort um Leben und Tod. Ihr seid da für diese Menschen in Situationen, in denen nicht einfach ein «Tablettli» hilft und alles ist wieder gut. Eure «Werkzeuge» sind Empathie, eure Sprache und euer Hintergrundwissen zu Themen sie Psychosen, Suizidalität, Trauma und noch vieles mehr. Macht das niemals wieder klein. Ihr seid Pflegefachpersonen in der Psychiatrie.

Als Pflegefachpersonen in der Rehabilitation begleitet ihr Menschen nach schwerer Krankheit, nach Unfällen. Ihr begleitet Menschen, die schon einen langen Weg hinter sich haben. Menschen, für die nach einem Unfall nichts mehr ist wie es war. Ihr geht mit ihnen den Abschnitt, in dem es darum geht, sich neu zurecht zu finden, wieder nach Hause gehen zu können. Dazu braucht es die Fähigkeit zu motivieren, es braucht das tägliche Üben von Fertigkeiten. Es braucht einen ganz langen Atem. Es braucht das Wissen, wie eine Rehabilitation sinnvoll geplant werden kann, es braucht das Wissen über Zielsetzung, Umsetzung, Planung. Sprecht nie wieder von «nur». Ihr seid Pflegefachpersonen in der Rehabilitation.

Und auch ihr, die ihr in Bereichen arbeitet, die etwas mehr Anerkennung erfahren. Sprecht niemals von «nur» Pflegefachperson. Ihr habt eine Ausbildung absolviert, die euch befähigt, da wo ihr seid, den Menschen, die es benötigen eine Hilfe zu sein. Ihr habt euer Handwerk gelernt, mit allem Wissen und Können, welches es dafür benötigt. Ihr seid Pflegefachpersonen. Ihr habt euch für einen der vielen Bereiche entschieden, weil ihr dort eure Stärken am besten entfalten könnt. Genau dort wo ihr seid, seid ihr grossartig. Und damit ihr eure Stärken weiter zur Verfügung stellen könnt, ist es so wichtig, dass ihr auf euch achtet. Auf eure geistige und körperliche Gesundheit. Und das nicht nur am 12. Mai, sondern immer. «Was nutzt ein Leuchtturm, wenn die die Lampe nicht mehr brennt?», Dieser Statz stammt von Liliane Juchli, einer weiteren Pionierin, in der Pflege. Zu viele von uns sind schon erloschen, seid es Euch wert, euer Licht zu hüten. Dazu gehört es, «Nein», zu sagen, wenn ihr «Nein», fühlt und zu sagen, was ihr braucht und Arbeitgeber zu verlassen, die euch das nicht geben. Dazu gehört es, auf die Umsetzung der Pflegeinitiative zu bestehen und den damit geschaffenen Rahmen in der Praxis einzufordern und zu leben.

Ich wünsche euch allen einen schönen 12. Mai und vergesst nicht heute ein Glas zu trinken, auf Florence, auf euch und auf uns Pflegende.

 

Patricia Tschannen,

dipl. Pflegefachfrau HF und Pflegehexe


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