Montag, 20. April 2020

Nachrichten von der Pflegebasis V - Respekt



Meine Lieben,
ich bin erschüttert, ob der Respektlosigkeit, die auch in diesen Tagen Pflegenden entgegengebracht wird. Schon während für uns geklatscht wurde, brachten es die hiesigen Medien nicht zustande, die Berufsbezeichnungen korrekt zu benutzen. Von Pflegern und Pflegerinnen war da zu lesen. Eine Ausbildung, die es seit 2001 (oder sogar schon vorher) in der Schweiz gar nicht mehr gibt. Es bedarf keiner grossen Recherche, um herauszufinden, dass die richtige Bezeichnung Pflegefachperson oder Fachperson Gesundheit lautet. Vor allem, wenn sich sogar der Berufsverband die Mühe macht, ein Merkblatt dazu zu verschicken. Ich muss also davon ausgehen, dass es als nicht wichtig erachtet wird, ob die Berufsbezeichnung korrekt ist.
Einige Politikerinnen und Politiker haben damit begonnen, Grussworte an Spitäler zu richten. Eine nette Geste? Ich sehe es eher als den Versuch Pflegende mit Streicheleinheiten ruhig zu stellen. Interessanterweise kommen diese Grussworte nämlich von Politikern, die massgeblich dafür mitverantwortlich sind, dass in unserem Gesundheitswesen gespart wurde bis es nicht mehr ging. Somit haben sie einen Anteil am Lockdown, der nötig wurde, weil die Gesundheitsinstitutionen einer Fallzahl von schweren Verläufen wie in unseren Nachbarländern nicht gewachsen gewesen wären. Diese salbungsvollen Worte fühlen sich an wie das Kopftätscheln bei einem Kleinkind. Überflüssig zu sagen, wie respektlos es ist.
Schon vor Covid -19 war es eine beliebte Taktik, vor allem in bürgerlichen Kreisen praktiziert, aufzuzählen wie gut Pflegende ihre Arbeit doch machen würden, und dann im nächsten Atemzug zu erklären, warum die Politik jedoch nichts dazu beitragen könne, die Arbeitsbedingungen zu verbessern. Zusätzlich wurden fröhlich Vergleiche angestellt, wo es denn noch schlimmer sei (z.B. Deutschland). Jetzt ist eindrucksvoll bewiesen worden, was passiert, wenn wir in diesem Stil weiter machen. Ich habe darum keine Lust mehr, darüber zu diskutieren, ob die Massnahmen, wie sie die Pflegeinitiative definiert, nötig sind. Ich will jetzt darüber reden, wie sie umgesetzt werden. Sich darüber auszutauschen und daran zu arbeiten, wäre ein wahres Zeichen von Respekt.
Ach, ich soll doch nicht zu tun, die Welle sei ja gar nicht gekommen? Dieses Argument lese ich in letzter Zeit häufig. Wisst Ihr was? Wir alle hier in der Deutschschweiz sollten (an wen oder was auch immer wir glauben) auf Knien dafür danken, dass wir womöglich verschont bleiben werden. Obwohl sie ausblieb, haben sich alle Pflegenden darauf vorbereitet, sich noch mehr in den Dienst der Allgemeinheit zu stellen, als sie es sonst schon tun. Es wurden 12 Stundenschichten geleistet, Teams in andere Teams integriert und nicht wenige haben sich über die Massen exponiert. Das geltende Besuchsverbot hat ebenfalls einen beträchtlichen Mehraufwand ausgelöst. In den Spitälern, sowie in den Pflegeheimen. Dies ist und bleibt eine Leistung, diese jetzt kleinreden zu wollen, ist respektlos.
Ach, Covid-19 ist gar nicht so gefährlich, wird jetzt gesagt. Dazu sind unzählige Studien, Diagramme, Statistiken im Umlauf. Sie sind es in so einer grossen Zahl, dass es schlicht nicht mehr möglich ist, diese auf ihre Korrektheit, ihre Auslegung zu prüfen oder auch nur ansatzweise aussagekräftig interpretieren zu können. In meiner Ausbildung habe ich gelernt, dass ich wissen muss: was war die genaue Fragestellung dieser Statistik? Wie wurde gezählt? Was wurde gezählt oder verglichen? Über welchen Zeitraum wurde gezählt oder getestet. Keines dieser Diagramme, oder Kurven, das zur Zeit in den Medien herumgeistert, kann daraufhin geprüft werden, weil genau diese Angaben fehlen. Genauso verhält es sich mit all diesen Zahlen, die da kursieren. Es sind «füdliblutte» Zahlen, keiner weiss woher sie stammen und wie sie zustande gekommen sind. Als ich letztens mit einer Freundin, die als Pflegefachfrau mit FA Intensivpflege arbeitet, darüber sprach, dass die Meinung herrscht, Covid-19 sei nicht gefährlich, meinte sie nur: «Vielleicht sollten sie das unseren Patienten erklären, die jetzt gerade wegen einer Covid-19 Infektion um ihr Leben kämpfen.» Und genau da sind wir wieder beim Punkt.
«Pflegende sind idiotisch», so lautete die Überschrift eines Linkedin Artikels. Obwohl ich eigentlich nichts lese, bei dem ich schon im Titel dermassen betitelt werde, habe ich diesen überflogen. Es ging darum, dass Pflegende sich (zu) wenig für sich einsetzen. Auch das habe ich schon häufig gehört. Wir sollten doch mal so richtig auf den Tisch hauen. Streiken oder so. Wenn wir es nicht täten, müssten wir uns ja nicht wundern, wenn sich nichts ändert. Ich frage mich, was sich diese Leute eigentlich vorstellen. Wie soll denn das ihrer Meinung nach aussehen? So wie in Italien und Kanada, wo Pflegende einfach weggelaufen sind und ihre Patienten dem Schicksal überlassen haben? Wenn wir es wirklich darauf ankommen lassen sollen, wird das Menschenleben kosten. Die Probleme sind auf dem Tisch, teilweise sogar mögliche Lösungen. Zu sagen, wir reagieren erst darauf, wenn die betreffende Berufsgruppe unserer Meinung nach laut genug schreit ist respektlos!
Wisst Ihr, dieses «Pflegende sind Idioten!», hat mich getroffen. Noch mehr erschüttert hat mich, dass niemand auf diese Beleidigung reagiert hat. Und das ist symptomatisch für unseren Berufsstand. Wir lassen es zu. Viele sind auch jetzt wieder frustriert und resigniert. Sagen «Wir haben gewusst, dass sich auch jetzt nichts ändern wird!» Ja, das stimmt. Denn, wenn wir die Veränderung wollen, müssen wir selbst damit anfangen. Dann müssen wir uns selbst so respektvoll behandeln, wie wir es verdient haben. Dann müssen wir unsere Forderungen formulieren und diese nach Aussen tragen. Dabei dürfen wir kraftvoll sein, auch wenn versucht wird, uns mit Statistiken und Zahlen zu verunsichern. Wir müssen und dürfen uns den Diskussionen stellen, und einfordern, was uns zusteht. Wir haben das Wissen, um mitreden zu können, auch und vor allem in der Politik. Unsere Stimmen gehören in ethischen Fragestellungen gehört und ernst genommen. Wenn wir uns selbst Respekt zollen, fluten wir genau jetzt, Social Media mit unseren Forderungen. Und zwar richtig. Heisst, wir formulieren, was wir wollen und nicht das was wir nicht wollen. Respekt vor sich selbst zu haben, heisst, weder Arbeitgeber noch Politikerinnen und Politiker mit ihren Streicheleinheiten davon kommen zu lassen. Es bedeutet, unbequem zu sein, auch mal zu streiten und unbeliebt zu sein. Ich bin absolut überzeugt, nur so werden wir das bekommen, was wir verdient haben: Respekt für unseren Berufsstand.
Und so stelle ich mich erneut hin und sage: I’m proud, to be a nurse.

Eure Madame Malevizia

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