„Gott sei Dank habe ich kein
sportliches Talent.“ war mein Gedanke, nachdem ich dieses Buch das erste Mal
gelesen hatte. Ja, ich war das erste Mal in meinem Leben dankbar dafür, kein
sportliches Talent zu haben. Ich, die ich in meiner Jugend sehr darunter
gelitten habe, dass ich nicht nur kein sportliches Talent, sondern absolut
unfähig bin. Ich, die ich auch noch als Erwachsene glaubte, dass erfolgreiche
Spitzensportler die glücklichsten Menschen sein müssen. Ausgerechnet ich, war
nach der Lektüre dieses Buches einfach nur dankbar, normal zu sein.
Zu Olympia habe ich dieses Buch wieder
hervor genommen. Und einiges ist mir diesmal deutlich geworden. Dieses Buch,
Ariellas Erleben hat viel mehr mit dem Leben zu tun, als man auf den ersten
Blick glaubt. Es ist keine „Abrechnung“ mit dem Spitzensport. Es ist eine
Innensicht eines Menschen, der in eine Lebenskrise schlittert. Jedem von uns
kann genau das passieren.
Leiden
im Licht – und keiner merkts
Ich habe die Kunstturn – Wettkämpfe
bei Olympia verfolgt. Und mich dabei immer gefragt: Wie geht es diesen jungen
Menschen wirklich. Sie die gewonnen haben, Gold, Silber oder Bronze. Sind sie
glücklich? So glücklich, wie sie wirken? Wie werden sie von ihren Trainern
behandelt? Achtet jemand darauf, dass sie nicht gebrochen werden? Achtet jemand
darauf, dass sie nicht ihr Urvertrauen in sich selbst verlieren? Es ist
wichtig, dieses Urvertrauen in sich. Für jeden Menschen. Es ist die Sicherheit,
eine Situation richtig einzuschätzen, zu spüren, ich bin im Recht oder Unrecht.
Für sich einstehen zu können, gegen Widerstand. Das kann ich im Fernseher nicht
sehen, ich sehe nur die Tränen. Sind sie aus Freude? Aus Erleichterung? Aus
Erschöpfung. Wir als Publikum interpretieren sie einfach als Freudentränen,
weil wir es erwarten. Wir erwarten, dass der Sieger glücklich ist. Für Ariella
bedeutete dies, dass ihre Innensicht und die Aussensicht immer weiter
auseinander driftete. Mit der fatalen Folge, dass Ariella sich immer schlechter
spürte. Ein Phänomen, dem ich bei meiner Arbeit in der Psychosomatik häufig
begegnete. Menschen, die ihre Gefühle gar nicht mehr benennen können. Damit
meine ich nicht, dass man sagen kann, es geht mir gut oder schlecht, schwarz
oder weiss. Sich spüren heisst, seine Gefühle benennen zu können. Das klappt
nicht immer auf Anhieb und braucht etwas mehr Zeit, als die Bewertung gut oder
schlecht. Doch nur, wenn ich weiss, was ich fühle, kann ich auch
nachvollziehen, warum ich jetzt gerade so reagiere und kann vielleicht auch
entscheiden, anders zu handeln. Auch mir fehlt manchmal der Kontakt zu meinen
Gefühlen. Da ich sehr auf Stimmungen und Eindrücke von Aussen reagiere, können
meine eigenen Gefühlen davon ganz überdeckt werden. In der Bewertung führt dies
dann zu: Ich fühle mich komisch. Mir hilft es dann, mich etwas zurück zu ziehen
und zu schreiben. Völlig banal meine Gedanken auf zu schreiben, ohne darüber
nach zu denken. Auch das hat einiges an Übung gebraucht, bis ich tatsächlich
unzensiert alles aufgeschrieben habe was mir gerade durch den Kopf geht. Meist
finde ich dadurch die Gefühle, die zu diesem „komisch“ gehören.
Leiden
verlängert
„Und Du glaubst ich bin stark und ich
kenn‘ den Weg.“ Dieses Lied von Ich + Ich ist mir immer wieder im Kopf herumgegangen,
als ich „Leiden im Licht“ das zweite Mal las. Vor allem nach ihrem Rücktritt
baute sich in der Öffentlichkeit das Bild auf, dass Ariella jetzt voll
durchstartet in ihr neues Leben. Mit ihren Aussagen untermauerte Ariella diesen
Eindruck. Irgendwie verständlich, dass Ariella die Fassade aufrecht erhielt. In
einer Phase, in der es ihr extrem schlecht ging. Es hätte nur noch mehr Licht
auf ihr Leiden geworfen.
Ich schätze Ariella so ein, dass sie
ihr Leiden nicht kommunizieren konnte. Auch oder vor allem nicht den Menschen,
die ihr Nahe standen. Sie schonte sie. In der Zeit mit dem Trainer, dessen
Methoden ich als Laie als äusserst fragwürdig ansehe, fällt dies am meisten
auf. Ariella hat vieles zurück gehalten, ich unterstelle ihr, dass sie dies aus
Rücksicht auf ihre Familie getan hat. Dadurch hat sie nicht die Hilfe erhalten,
die sie gebraucht hätte. Auch das beobachte ich oft. Menschen, die stark
wirken, die den Eindruck erwecken, dass nichts sie erschüttert, können in der
Krise keine Hilfe annehmen. Zum einen, weil sie wissen, wie sie nach Aussen
wirken und sie Hilfe holen, mit Schwäche zeigen gleich setzen. Weil sie
glauben, zu enttäuschen. So steht dann ihr ganzes Selbst auf dem Spiel. Ihre
Liebsten mit ihren Sorgen belasten, kommt für stark wirkende Menschen nicht in
Frage. Stark wirkende Menschen können auch kaum Hilfe annehmen, wenn sie
angeboten wird. Ist dann ein stark wirkender Mensch eigentlich schwach? Eben
weil er nicht Hilfe holen oder annehmen kann. Nein, bei weitem nicht. Stark
wirkende Menschen, glauben nicht an sich. Stark wirkende Menschen, kennen ihr
psychisches Potential gar nicht. Dies gilt es in der Krise zu erkennen und zu
mobilisieren. Dazu kann es auch mal gut sein, liegen zu bleiben, Kraft zu
sammeln. Ja, das kann auch eine Krankschreibung, eine psychische Begleitung oder
auch eine Einweisung in eine psychiatrische Klinik bedeuten. Es geht ums Kraft
sammeln, verstehen was mit einem passiert. Und dann erst kann man wieder aufstehen.
Denn das ist ein Kraftakt.
Aus
dem Licht von aussen zum inneren Licht
Ariella machte sich auf den Weg, auf
den Weg zu sich selbst. Er war steinig und holprig. Sie hat sich begleiten
lassen und scheint so den Weg gefunden haben. Das Licht von aussen, das es ihr
so schwer machte sich zu finden, kann sie heute wohl für sich nutzen. Und ich
wünsche Ihr von Herzen, dass sie die Quelle ihrer Kraft und das Licht in sich
findet.
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