Mittwoch, 13. Juni 2018

Was darf ein Leben kosten? – Ein pflegehexerisches Plädoyer für die Menschlichkeit


Meine Lieben

Die explodierenden Kosten im Gesundheitswesen. Wieder einmal sind sie Thema. Diesmal im Schweizer Fernsehen in der Sendung „Club“. Eine Diskussion ohne Tabu soll es sein. So wird denn auch gefragt, was ein Menschenleben kosten darf. Mir wird schon bei der Frage leicht übel. Moderatorin Barbara Lüthi findet, dass man diese Frage stellen darf, da man ja sparen müsse. Ich bin mir da nicht so sicher, ob diese Frage zum jetzigen Zeitpunkt berechtigt ist. Ich bin der Überzeugung, dass vieles noch vorher getan werden muss.

-          Zuerst muss genau und wie in der Sendung gefordert tabulos hingeschaut werden, wo das Geld im Gesundheitswesen versickert.

-          Zuerst muss das sich gegenseitig Kosten zuschieben (es erinnert mich immer an das Spiel Schwarzer Peter) zwischen Krankenkassen, Bund, Kantonen und Gemeinden aufhören.

-          Zuerst müssen die Fehlanreize im System bereinigt werden. So sollte es alle Beteiligten sehr nachdenklich stimmen, dass sich Palliative Care, die Betreuung am Lebensende, für eine Institution nicht rechnet, sämtliche chirurgischen Eingriffe jedoch sehr lukrativ sind.

Bevor diese, ich nenne es jetzt mal provokativ, Hausaufgaben nicht gemacht sind, erachte ich es als ethisch nicht vertretbar, Behandlungen zu rationieren.

Meine Abneigung gegenüber Zahlen ist allgemein bekannt. Schon alleine deshalb werden Herr Stefan Felder, Professor für Gesundheitsökonomie und ich uns wohl nie einig werden. Seine Ausführungen kann ich nicht, wie er es fordert, abstrakt betrachten. Denn eine Rationierung, und nichts anderes strebt er mit seinen Aussagen an, werde ich direkt ausbaden. Nicht er oder seine Kollegen stehen dann am Krankenbett, wenn eine Behandlung aus Kostengründen abgebrochen werden soll, es sind die Pflegenden. Im Gesundheitswesen geht es selten bis nie nur um Zahlen, es geht immer um Menschen. Und das, was Her Felder fast etwas abfällig als „Romantik“ bezeichnet, nenne ich Menschlichkeit.

Die Entscheidung für oder gegen eine Behandlung kann nicht und darf nicht aus ökonomischen Gesichtspunkten getroffen werden. Diese Entscheidung gehört in die Hände von Ärzten, wie Herrn Roland Kunz (Chefarzt Intensivmedizin) oder Herrn Peter Steiger (Chefarzt Universitäre Klinik für Akutgeriatrie und Zentrum Palliativ Medizin). Dazu gehören aber auch der Patient selbst und seine Angehörigen. Diese Entscheidung muss mit dem Blick auf den Patienten getroffen werden.

-          Wie hoch sind die Chancen auf vollständige Genesung?

-          Wie viel Schaden/Einschränkung wird voraussichtlich zurück bleiben und was bedeutet das für den Patienten?

-          Welche Behandlungsmöglichkeiten gibt es?

-          Was wünscht sich der Patient?

Dies sind die Fragen, welche in einer Situation gestellt und beantwortet werden müssen.

Sich die Zeit und den Raum zu nehmen, diese Fragen zu bearbeiten, sowie dafür zu sorgen, dass alle Beteiligten über die benötigten Informationen verfügen, das bedeutet für mich Menschlichkeit.

Und Menschlichkeit kommt für mich vor Zahlen. Immer.



Eure Madame Malevizia

Donnerstag, 7. Juni 2018

Ausflug in meine pflegehexerische Welt - Teil I



Tod und Sterben sind schwierige und emotionale Themen. Auch in den Medien tauchen sie immer wieder auf. Das letzte Mal vor einige Wochen, als ein 104 jähriger Mann aus Australien in der Schweiz in den begleiteten Freitod ging.

Pflegende sind mit dem Tod und dem Sterben in einem besonderen Masse konfrontiert. Es gehört zu ihrem Berufsleben, wie für den Bäcker das Brot. Und so ist es für Pflegende unerlässlich, eine eigene persönliche Haltung zum Sterben und zum Tod zu entwickeln und sich dieser auch bewusst zu sein. Keine Ethikkomission, keine Gesundheitsorganisation, keine politische Partei, kein Verein und auch nicht die Medien können Pflegenden diese Auseinandersetzung abnehmen. Nur wenn sie sich ihrer persönlichen Haltung bewusst sind, können Pflegende ihre Arbeit machen, ohne dabei sich selbst zu verlieren.

Doch nicht nur die Pflegenden müssen sich mit Sterben und Tod auseinandersetzen und sich ihre Meinung bilden und daraus ihre persönliche Haltung entwickeln. Es liegt in der Natur des Lebens, dass jeder Mensch einmal stirbt. Und so, muss und soll sich jeder Mensch damit auseinandersetzen. Und so ist es gut und richtig, dass diese Themen in der Öffentlichkeit zur Sprache kommen.

Jedoch fehlt mir in der öffentlichen Diskussion um Sterben und Tod die persönliche Stimme der Pflegenden. Es sind aber die Pflegenden, die direkt mit Sterben und dem Tod konfrontiert sind. Aus diesem Grund exponiere ich mich einmal mehr und lege hier meine persönliche Haltung zu Sterben und Tod dar. Es handelt sich hier gewissermassen um meine Ethik und mein persönliches Erleben. So gibt es hier kein richtig oder falsch. Ich kann es jedoch nicht in einem einzelnen Blogbeitrag abhandeln. Dazu ist das Thema schlicht zu komplex. So erlaube ich mir, in den nächsten Wochen immer wieder einen Aspekt zu Sterben und Tod zu beleuchten. Beginnen möchte ich mit kurzen Blitzlichtern auf meine ganz persönliche Ethik.


Ausflug in meine pflegehexerische Welt Teil I – Meine Sicht auf Sterben und Tod

Der Tod – Ende und Anfang.

Ich glaube an Zyklen. Und so ist der Tod für mich ein Teil des Zyklus von Werden – Sein und Vergehen. Für mich ist der Tod die Vollendung eines Kreises. Ich bin der festen Überzeugung, dass es nach dem Tod weiter geht. Wo und wie, ich weiss es nicht. Aber ich weiss, dass es keinen tieferen Frieden gibt, als jener, den Verstorbene ausstrahlen, kurz bevor, während und kurz nachdem sie diese Welt verlassen haben.

Sterben – der Weg, der steinig sein kann.

Den Sterbeprozess, sehe ich als den Weg dorthin, der für jeden anders aussieht. Dieser Weg beginnt viel früher, als wir uns wahrscheinlich bewusst sind. Es sind nicht nur die letzten Tage im Leben eines Menschen, die ich als Sterbeprozess betrachte. Es sind zum einen jene flüchtigen Momente, in denen ein Mensch über sein eigenes Sterben nachdenkt oder sogar spricht. Zum anderen beginnt der Prozess auch, wenn der Verdacht auf oder die Diagnose einer lebensbedrohlichen Krankheit entsteht.

Und irgendwann kommt es, das letzte Wegstück. In diesem Stück muss der Sterbende, das irdische loslassen, seinen Körper, hört auf zu bestehen. Nicht jedem gelingt dies problemlos. Einige scheinen zu kämpfen, bis zum letzten Atemzug. Andere können die Tür (oder was auch immer es ist) ganz einfach öffnen.

Leiden

Leiden ist eng mit Sterben und Tod verknüpft. Viele Menschen äussern, keine Angst vor dem Tod zu haben, sondern vor dem Sterben und dem damit verbundenen Leiden. Auch ich, bin stets darauf bedacht, dass Leiden nicht verlängert wird. Dass Schmerzen und Ängste gelindert werden. Doch alles können wir dem Sterbenden nicht abnehmen. Manchmal müssen wir einfach aushalten.

Meine Berufserfahrung hat mich eines gelehrt: Es ist weniger der Sterbende, der leidet. In seinen letzten Stunden ist er nicht mehr so sehr in seinem Körper, dass er Schmerz und Atemnot wahrnimmt. Es sind seine Liebsten und auch die Pflegenden, die das Leiden aushalten müssen. Unendlich schwer ist es, einen geliebten Menschen nach Luft schnappen zu sehen, oder das Rasseln seiner Lunge zu hören, wahrzunehmen, dass sie die Hautfarbe verändert, die Hände und Füsse eiskalt werden. Als Pflegende ist es meine Aufgabe, mir meines eigenen Mit – Leidens sowie meiner Grenzen bewusst zu sein und diese transparent zu machen.

Ebenso sind es die Pflegenden, welche Angehörige in dieser schwierigen Zeit begleiten sollen. Die sachlich und behutsam erklären, was jetzt gerade im Körper des Sterbenden geschieht. Sterben sieht nicht hübsch aus. Es ist wichtig, die Angehörigen auf diesen Anblick vorzubereiten. In meiner gesamten Laufbahn habe ich keine Angehörigen in das Zimmer eines Sterbenden gelassen, ohne sie darauf vorzubereiten, was sie sehen werden. Ich biete immer, egal was für eine Hektik gerade ist, an, sie hinein zu begleiten. Der Weg ist schwer, vor allem für sie, und sie sollen sich nicht alleine fühlen.



Die Würde des Menschen ist unantastbar.

Das ist sie auch im Tod und vor allem im Sterben. Konsequent stelle ich mich bei einem Sterbenden vor, spreche mit ihm, auch wenn er mich nicht mehr hören kann. Ich bin darum besorgt, dass sein Bett sauber ist, er selbst so gepflegt ist, wie er es sich wünschen würde. Die Wünsche des Sterbenden, stehen für mich an oberster Stelle. Wenn die Begleitung länger dauerte, weiss ich da meist viel, ist sie nur kurz, greife ich gerne auf Angehörige zurück. Ist der Tod eingetreten, ändert dies nichts an meiner Haltung. Weiterhin spreche ich mit dem Menschen. Erkläre, was ich tue.

Der letzte Dienst

Ist ein Mensch verstorben, machen ihn die Pflegenden bereit für den Bestatter. Habe ich einen Menschen in den Tod begleitet, ist es mir wichtig, ihm diesen letzten Dienst zu erweisen. Meist ist es mein Abschied.

Eure Madame Malevizia