Donnerstag, 4. November 2021

Von Sarkastien über Ironien zum bitteren Ernst

 


Folgende Aussage habe ich auf Twitter gelesen: «Im Pflegebereich arbeitet kaum jemand 100%. Mit Annahme der Pflegeinitiative würden viele Angestellte ihr Pensum noch weiter reduzieren und damit diese wichtige Arbeit überproportional verteuern.» Würde ich einen Preis für das originellste Gegenargument vergeben, dieses hier käme in die engere Auswahl.

Es ist nicht nur originell, weil es einfach eine verdrehte Logik aufweist. Es ist vor allem dreist. Übersetzt heisst es: «Menschliche Arbeitsbedingungen in der Pflege sind nicht möglich, weil es zu teuer ist. Malocht gefälligst weiter!» Der Autor dieses Tweets, ja es ist ein Mann, scheint eines vergessen zu haben: Die Sklaverei wurde schon vor Jahrhunderten abgeschafft.

Bisher habe ich von genau denselben Leuten, wenn es um den tiefen Lohn ging, immer gehört: «Der Markt spielt. Wenn ihr schlechte Löhne habt, dann weil ihr nicht gut genug verhandelt.» Und jetzt will man(n) plötzlich nichts mehr von Markt wissen. Pflege muss billig bleiben. Wo kämen wir denn da hin, wenn Betriebe plötzlich die Pflegeleistungen adäquat abbilden könnten? Die Folge wäre nämlich Geld, welches ins eigene Personal investiert werden könnte. Wie entsetzlich! Was für eine Katastrophe, wenn Pflegende das Spiel beenden würden und nicht mehr so viele Dinge für «Gottes Lohn» resp. Für Applaus tun würden, wie dies jetzt der Fall ist?

Ihr merkt, es fällt mir schwer ernst und sachlich zu bleiben. Solche Aussagen treiben mit regelmässig auf die Palme. Dennoch möchte ich hier noch ganz ohne Sarkasmus sagen:

Es stimmt, viele Pflegenden reduzieren ihr Pensum, weil 100% einfach nicht zu schaffen sind. Sie sind nicht zu schaffen, weil auf die vielen Arbeitstage und wenig Freizeit, auch noch viele Überstunden kommen. Ich spreche nicht von «mal eine Stunde länger bleiben». Ich spreche von täglich mindestens eine Stunde Überzeit. Das hält auf die Dauer niemand aus. Da auch Pflegende «aus Mensch» sind, ziehen viele irgendwann die Notbremse. Wer es sich leisten kann, reduziert das Pensum. Die Lohneinbusse ist gewaltig. Nicht alle können sich das leisten. Eine Familie kann mit einem Gehalt von 80% jedenfalls nicht ernährt werden. Und so bleibt jenen, die nicht reduzieren können, nur ein Weg: Der Ausstieg aus dem Schichtdienst und somit von der Basis.

Ich will nicht verheimlichen: Am 28. November geht es auch um Geld. Es geht um die Frage: Wieviel ist uns unsere eigene Gesundheit, unsere Würde und die der Pflegenden Wert?


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