Freitag, 20. März 2020

Sonia – die fokussierte Mentorin



Kurz vor unserem Termin informiert mich Sonia, dass sie wegen eines Unfalls krankgeschrieben sei. Unsere Verabredung will sie auf keinen Fall absagen. «Ich bin froh, wenn ich etwas machen kann.» Und so treffen wir uns am Bahnhof ihres Wohnortes. Sie zu erkennen ist dann auch nicht weiter schwierig. Es ist die, mit der eingegipsten Hand.

Angefangen hat Sonias Weg als Hebamme. Ihr Diplom machte sie 1998. Zuvor war sie nach abgeschlossener KV – Lehre 2 Jahre in der Welt herumgereist. Ihre ersten Berufserfahrungen machte Sonia dann in einem Regionalspital. Es sei eine spezielle Zeit gewesen, meint sie rückblickend. Sie seien eine verschworene Truppe gewesen. Und sie habe vor allem von den älteren Hebammen viel gelernt. Das seien schon ein wenig ihre Heldinnen gewesen. Dieser Respekt und das voneinander lernen hat Sonia in späteren Jahren vermisst. Mit der Umstrukturierung der Ausbildungen wurde Hebamme zum Bachelor – Abschluss.
Für Sonia begann eine ungesunde Konkurrenz. Diese jungen Frauen mit der sogenannt «höheren» Ausbildung liessen sich nur ungern von ihr, der gestandenen Berufsfrau und Praktikerin, etwas sagen. Für Sonia ging immer mehr das verloren, worum es eigentlich geht: Die Menschen.

Als 2016 dann auch noch das Umfeld schwierig wurde und sie sich weder vom Team noch von ihren Vorgesetzten geschätzt oder getragen fühlte, wagte Sonia den Sprung in ein neues Abenteuer. Sie wechselte vom Gebärsaal ins Pflegeheim. Es sei zu Beginn nicht immer einfach gewesen. Langzeitpflege sei eine andere Welt. Einige hätten auch gefragt: «Kannst du das denn überhaupt?» Doch Sonia hat sich durchgebissen. Mit Hilfe der Pflegedienstleitung, die sie von Beginn an unterstützt hat, sowie des Teams, lebte Sonia sich schnell ein. Schon bald kamen ihre Ressourcen zum Tragen. Als Kinästhetik – Peer – Tutorin® fördert sie die Bewohnerinnen und Bewohner in ihrer natürlichen Beweglichkeit. Sonias Augen leuchten, als sie mir von ihren Erfolgen erzählt. Sie nimmt nicht einfach hin, wenn etwas nicht (mehr) geht. Sonia ist überzeugt, dass es sich lohnt, auch ältere Menschen zu fördern, denn Lernen sei ein Leben lang möglich. Auch die 20 Jahre in denen Sonia Hebammen ausbildete, kommen ihr zugute. Gerne nimmt sie Auszubildende oder Frischdiplomierte unter ihre Fittiche und gibt ihr Wissen und ihre Erfahrungen weiter.

Es ist deutlich spürbar: Sonia ist wohl da, wo sie ist. Es ist ihr wichtig, an einem Ort zu arbeiten, wo der ganze Mensch gesehen wird. «Ich möchte nicht einfach nur zur «Hüfte» gehen», erklärt sie mir. Dass sie mit dem hektischen Alltag im Pflegeheim zurechtkommt, hat mit einer speziellen Fähigkeit zu tun. Sonia kann sich fokussieren. «Wenn ich bei einem Bewohner bin, dann blende ich alles aus. Es gibt nur ihn und mich. So können auch nur fünf Minuten sehr wertvoll sein»,

Und was würde aus ihrer Sicht helfen, Pflegende möglichst lange im Beruf zu halten? «Wir müssen als erstes mit dem Konkurrenzdenken aufhören. Jede Ausbildung hat ihren Wert und ihren Platz und jeder kann vom anderen lernen.» Überhaupt müssten wir mehr darauf achten, wie wir uns selbst behandeln und auch behandeln lassen. Als Beispiel nennt sie die Überzeit. Vielerorts muss diese noch extra begründet werden. Für Sonia ein Zeichen des Misstrauens des Kaders, welches grösstenteils ja auch einmal in der Pflege tätig war.
Als Ursache vieler Schwierigkeiten unseres Berufes sieht Sonia dessen Ursprung als Frauenberuf. Dieser Umstand weiche sich nur sehr langsam auf. Ein erster Schritt wäre, wenn zumindest die gesetzlichen Vorgaben überall eingehalten würden. Eigentlich eine Selbstverständlichkeit, jedoch nicht in der Pflege. Ebenfalls müsste sich auch finanziell einiges bewegen. Erfahrungsstufen sowie fachliche Weiterbildungen müssten geachtet und honoriert werden. Auch in den Arbeitszeiten sieht Sonia noch viel Verbesserungspotential. Selten werde da Rücksicht auf Familien genommen. Auch das Pensum sollte reduziert werden. 100% zu arbeiten, erachtet sie als unmöglich. Das gehe zu sehr an die Substanz, da durch die unregelmässige Arbeitszeit sehr lange Arbeitsblöcke mit wenigen freien Tagen resultierten.

Eine, fokussierte Mentorin, erkenne ich in Sonia. Sie ist eine Macherin, nutzt den Rahmen, den sie hat, vollständig aus. Sie nimmt jeden mit und ermöglicht ihm zu lernen und zu wachsen, dabei ist es für sie unwichtig, ob dies der Zivi, die Auszubildende oder eine Bewohnerin/ ein Bewohner ist. Jeder der von ihr lernen will, bekommt von ihr Wissen geschenkt.

Danke, liebe Sonia, für den Nachmittag, an dem ich dich kennen lernen durfte.

Madame Malevizia

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