Dienstag, 29. November 2016

Die Höhen und Tiefen eines kinderlosen Lebensweges (Ein kinderloser Lebensweg Teil 2)



Im Oktober 2014 habe ich meinen Blog „Ein kinderloser Lebensweg“ veröffentlicht und ein Tabu gebrochen. Meinen Weg bin ich seit dem weiter gegangen. Und heute breche ich ein weiteres Tabu. Ich spreche über die Folgen von Mobbing in der Schulzeit. Als ich zur Schule ging, gab es dieses Wort noch nicht. Passiert ist es trotzdem. In diesem Blog geht es nicht darum, anzuklagen. Es ist der Bericht eines wichtigen Teiles meines Lebenswegs.

Dieser Weg, wird kein leichter sein
Mein Plan war es, wenn ich schon keine Kinder bekommen könnte, in meinem Beruf Vollgas zu geben, sprich Karriere zu machen. Aber erstens kommt es anders und zweitens als man denkt. Ich wagte also im März 2015 den Schritt von der Psychosomatik in die Somatik, genauer gesagt in die Viszeralchirurgie. Der Einstieg war hart. Das fremde Gebiet, die anderen Strukturen, die Hektik, die andere Dynamik des Teams. Diese andere Dynamik war es, die mich plötzlich blockierte. Ich stand immer mehr neben mir, konnte kaum denken, machte Fehler und brachte Dinge nicht zu Ende. Keiner meiner neuen Teammitglieder behandelte mich schlecht, aber manchmal glaubte ich die Ungeduld zu spüren. Auch wenn ich frei hatte, ging es mir nicht gut. Eine Leere lähmte mich, ich fühlte mich ständig einsam und ein Gefühl der Unzulänglichkeit machte sich breit. Erst als mein Unterbewusstsein Bilder und Geräusche aus meiner Schulzeit hochspülte, wurde mir klar, was mit mir geschah: In gewissen Situationen fühlte und reagierte ich wie mein ca 14jähriges Ich. Dieses Ich war gequält, resigniert und traumatisiert. Ich hatte geglaubt, mein Trauma mit der Bearbeitung vor 10 Jahren überwunden zu haben. So war ich einigermassen überrascht, dass mich diese Szenen jetzt noch einmal mit aller Heftigkeit überrollten und mich daran hinderten, den von mir gewählten Weg zu gehen.

Dieser Weg wird steinig und schwer
Schnell war mir klar, dass ich dieses Thema nicht alleine bewältigen konnte. Mein Weg führte mich also wieder zu Esther Quarroz. Sie schlug mir Lösungsorientiertes Malen vor. Was auf den ersten Blick merkwürdig klingt, war für mich die richtige Therapie. Ich musste nochmals da durch, um meine damaligen Gefühle einordnen zu können, um selbst zu begreifen, wie schlimm meine Erlebnisse waren und sie dann dort zu lassen. Frau Quarroz war dabei meine Zeugin und meine Anwältin. An eine Aussage von ihr kann ich mich noch ganz genau erinnern: „Nicht Sie als Opfer und Kind, noch die Täter, die ebenfalls Kinder waren, tragen für das Geschehene die Verantwortung, sondern die Erwachsenen, namentlich die Lehrer. Es war und ist an ihnen, Kindern beizubringen, dass man so etwas nicht macht.“ Für mich war es eine grosse Erleichterung das von ihr zu hören. Während des Malens konnte ich herausfinden, was ich als letztes sah, bevor ich dissozierte: den Rand meiner Brille. Eine wichtige Erkenntnis, die es mir möglich machte, in der Realität zu bleiben. Während des Malens überkam mich immer wieder Übelkeit, die ich von meiner Schulzeit her kannte. Und ich fror, bis in die Knochen, egal wie warm es um mich herum war. Beides konnte ich nun einordnen. Ich akzeptierte sie als Symptome meines Heilungsprozesses. Ganz Pflegefachfrau konzentrierte ich mich auf das Symptommanagment.

Nicht mit vielen, wirst du dir einig sein.
Meine Gesellschaft war in dieser Zeit nicht gerade aufbauend. Immer wieder rutschte ich in das 14jährige Ich, weinte und jammerte, fühlte mich unverstanden und einsam. Eine Freundschaft hat dies nicht ausgehalten. Diese Freundin wählte den Beziehungsabbruch, ich konnte nichts dagegen tun.
Ich hatte aber auch ganz grosse Unterstützung. Anna war es, die mir dabei half im Alltag zu erkennen, wenn sich meine Gefühle vermischten. Sie erinnerte mich dann liebevoll, aber unnachgiebig an meine Ressourcen und Strategien. Dafür auch hier nochmal Danke!

Denn dieses Leben bietet so viel mehr
Und dann kam es, das rettende Bild. In der Sitzung zuvor hatte ich sehr mit einem Bild gekämpft. Dieses Bild gehörte zur grössten Angst, die ich jemals in meinem Leben ausgestanden hatte. In dieser Sitzung erwartete ich ähnliche Schwierigkeiten. Aber das unerwartete geschah.
Ich malte das Bild, das zur Situation gehörte, in der mir das Schlimmste hätte passieren können, das einem Mädchen passieren kann. Und ich spürte mit absoluter Sicherheit: „Meine Seele hat damals schon gewusst: Egal was da unten jetzt passiert, ich werde es überleben.“ Ich spürte während des Malens meine Hexenseele. Stärker als alles, was mir im Leben zustossen kann.
Ich hatte danach noch einige Sitzungen, um diesen Teil meines Lebens wirklich abzuschliessen.
Dann entliess mich Esther Quarroz hinaus in mein neues Leben. Genau das ist es nämlich. Erst im nach hinein weiss ich, wie sehr mich meine Erlebnisse in der Schulzeit behindert haben. Erst jetzt ahne ich, was für ein Potenzial ich eigentlich besitze. Ich will es ausschöpfen, experimentiere mit meinen Möglichkeiten.
Eines weiss ich sicher, Karriere ist es nicht. Ich arbeite immer noch auf der Viszeralchirurgie. Ich liebe meinen Beruf und als Pflegefachfrau an der Basis fühle ich mich sehr wohl. Im Team habe ich meinen Platz gefunden. Mittlerweile ist dieses Team eines der besten, in denen ich je gearbeitet habe.


Und jeden Tag feiere ich sie, meine Hexenseele. 

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