Im Oktober 2014 habe ich meinen Blog „Ein kinderloser Lebensweg“ veröffentlicht und ein Tabu gebrochen. Meinen Weg bin ich seit dem weiter gegangen. Und heute breche ich ein weiteres Tabu. Ich spreche über die Folgen von Mobbing in der Schulzeit. Als ich zur Schule ging, gab es dieses Wort noch nicht. Passiert ist es trotzdem. In diesem Blog geht es nicht darum, anzuklagen. Es ist der Bericht eines wichtigen Teiles meines Lebenswegs.
Dieser Weg, wird kein
leichter sein
Mein
Plan war es, wenn ich schon keine Kinder bekommen könnte, in meinem Beruf
Vollgas zu geben, sprich Karriere zu machen. Aber erstens kommt es anders und
zweitens als man denkt. Ich wagte also im März 2015 den Schritt von der
Psychosomatik in die Somatik, genauer gesagt in die Viszeralchirurgie. Der
Einstieg war hart. Das fremde Gebiet, die anderen Strukturen, die Hektik, die
andere Dynamik des Teams. Diese andere Dynamik war es, die mich plötzlich
blockierte. Ich stand immer mehr neben mir, konnte kaum denken, machte Fehler
und brachte Dinge nicht zu Ende. Keiner meiner neuen Teammitglieder behandelte
mich schlecht, aber manchmal glaubte ich die Ungeduld zu spüren. Auch wenn ich
frei hatte, ging es mir nicht gut. Eine Leere lähmte mich, ich fühlte mich
ständig einsam und ein Gefühl der Unzulänglichkeit machte sich breit. Erst als
mein Unterbewusstsein Bilder und Geräusche aus meiner Schulzeit hochspülte,
wurde mir klar, was mit mir geschah: In gewissen Situationen fühlte und
reagierte ich wie mein ca 14jähriges Ich. Dieses Ich war gequält, resigniert
und traumatisiert. Ich hatte geglaubt, mein Trauma mit der Bearbeitung vor 10
Jahren überwunden zu haben. So war ich einigermassen überrascht, dass mich
diese Szenen jetzt noch einmal mit aller Heftigkeit überrollten und mich daran
hinderten, den von mir gewählten Weg zu gehen.
Dieser Weg wird
steinig und schwer
Schnell
war mir klar, dass ich dieses Thema nicht alleine bewältigen konnte. Mein Weg
führte mich also wieder zu Esther Quarroz. Sie schlug mir Lösungsorientiertes
Malen vor. Was auf den ersten Blick merkwürdig klingt, war für mich die
richtige Therapie. Ich musste nochmals da durch, um meine damaligen Gefühle
einordnen zu können, um selbst zu begreifen, wie schlimm meine Erlebnisse waren
und sie dann dort zu lassen. Frau Quarroz war dabei meine Zeugin und meine
Anwältin. An eine Aussage von ihr kann ich mich noch ganz genau erinnern:
„Nicht Sie als Opfer und Kind, noch die Täter, die ebenfalls Kinder waren,
tragen für das Geschehene die Verantwortung, sondern die Erwachsenen, namentlich
die Lehrer. Es war und ist an ihnen, Kindern beizubringen, dass man so etwas
nicht macht.“ Für mich war es eine grosse Erleichterung das von ihr zu hören.
Während des Malens konnte ich herausfinden, was ich als letztes sah, bevor ich
dissozierte: den Rand meiner Brille. Eine wichtige Erkenntnis, die es mir
möglich machte, in der Realität zu bleiben. Während des Malens überkam mich
immer wieder Übelkeit, die ich von meiner Schulzeit her kannte. Und ich fror,
bis in die Knochen, egal wie warm es um mich herum war. Beides konnte ich nun einordnen.
Ich akzeptierte sie als Symptome meines Heilungsprozesses. Ganz Pflegefachfrau
konzentrierte ich mich auf das Symptommanagment.
Nicht mit vielen,
wirst du dir einig sein.
Meine
Gesellschaft war in dieser Zeit nicht gerade aufbauend. Immer wieder rutschte
ich in das 14jährige Ich, weinte und jammerte, fühlte mich unverstanden und
einsam. Eine Freundschaft hat dies nicht ausgehalten. Diese Freundin wählte den
Beziehungsabbruch, ich konnte nichts dagegen tun.
Ich
hatte aber auch ganz grosse Unterstützung. Anna war es, die mir dabei half im
Alltag zu erkennen, wenn sich meine Gefühle vermischten. Sie erinnerte mich
dann liebevoll, aber unnachgiebig an meine Ressourcen und Strategien. Dafür
auch hier nochmal Danke!
Denn dieses Leben
bietet so viel mehr
Und
dann kam es, das rettende Bild. In der Sitzung zuvor hatte ich sehr mit einem
Bild gekämpft. Dieses Bild gehörte zur grössten Angst, die ich jemals in meinem
Leben ausgestanden hatte. In dieser Sitzung erwartete ich ähnliche
Schwierigkeiten. Aber das unerwartete geschah.
Ich
malte das Bild, das zur Situation gehörte, in der mir das Schlimmste hätte
passieren können, das einem Mädchen passieren kann. Und ich spürte mit
absoluter Sicherheit: „Meine Seele hat damals schon gewusst: Egal was da unten
jetzt passiert, ich werde es überleben.“ Ich spürte während des Malens meine
Hexenseele. Stärker als alles, was mir im Leben zustossen kann.
Ich hatte danach noch einige
Sitzungen, um diesen Teil meines Lebens wirklich abzuschliessen.
Dann entliess mich Esther Quarroz hinaus
in mein neues Leben. Genau das ist es nämlich. Erst im nach hinein weiss ich,
wie sehr mich meine Erlebnisse in der Schulzeit behindert haben. Erst jetzt
ahne ich, was für ein Potenzial ich eigentlich besitze. Ich will es
ausschöpfen, experimentiere mit meinen Möglichkeiten.
Eines weiss ich sicher, Karriere ist
es nicht. Ich arbeite immer noch auf der Viszeralchirurgie. Ich liebe meinen
Beruf und als Pflegefachfrau an der Basis fühle ich mich sehr wohl. Im Team
habe ich meinen Platz gefunden. Mittlerweile ist dieses Team eines der besten,
in denen ich je gearbeitet habe.
Und jeden Tag feiere ich sie, meine
Hexenseele.
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