Stellungnahme
zu einigen Kommentaren im Tagesanzeiger vom 18.1.17. zum Bericht„Der
Pflegenotstand droht“
Bevor ich zu den Kommentaren Stellung beziehe,
erst einmal ein paar Worte zum Artikel selbst: Der Pflegenotstand droht nicht
nur, er ist bereits da. Ich sehe ihn als bereits eingetreten, wenn
Psychiatriefachpersonen ihre Patienten mit Medikamenten sedieren müssen, um
ihre Sicherheit gewährleisten zu können. Wenn sie es nicht tun, sind ihre
Patienten an Leib und Leben gefährdet. Weil ihnen die Zeit für gezielte
Kriseninterventionen fehlt. Der Pflegenotstand ist da, wenn ein Patient sich
über 30 Minuten vor Schmerzen im Bett wälzen muss, weil sich die Pflegefachperson
gerade um einen Patienten kümmern muss, der an seinen inneren Blutungen zu
versterben droht. Es gibt kein anderes Wort als Pflegenotstand, wenn die
Pflegefachperson im Pflegeheim entscheiden muss, ob sie entweder eine
Bewohnerin solange in ihren Exkrementen liegen lässt, bis sie damit fertig ist,
die andere Bewohnerin mit starker Schluckstörung beim Essen zu unterstützen,
oder diese Patientin um ihre Mahlzeit betrügt, weil diese später zu müde sein
wird.
Die Pflegeinitiative will nicht den Pflegenotstand
verhindern, sie will verhindern, dass der Pflegenotstand zur Pflegekatastrophe
wird.
Der Bericht liefert zuverlässig die Zahlen, die
offenbar in der Öffentlichkeit als so wichtig angesehen werden. Wer sie
einigermassen aufmerksam liest, erkennt, dass da ein Problem vorliegt. Danke dafür.
Nun zur Diskussion:
Die häufigsten Kommentare beziehen sich auf die
Kosten. Bereits bei der Medienkonferenz des Initiativkomitees am 17.1.17, sowie
anderen Berichten, wird vor allem eine Frage gestellt: Was wird das kosten?
Ehrlich gesagt, ich habe keine Ahnung.
Aber
ich weiss, was es kosten wird, wenn die Initiative nicht zustande kommt oder
abgelehnt wird: Menschenleben, die Würde jener, die auf pflegerische
Unterstützung, egal welcher Couleur angewiesen sind und die Seelen der
Pflegenden.
Ich nehme mir die Freiheit einige Kommentare
herauszupicken und direkt dazu Stellung zu nehmen. Ich habe sie ausgewählt,
weil sie jene ethisch–moralischen Fragen aufwerfen, denen sich die Schweiz, und
vor allem unsere Politiker, im Zusammenhang mit der Pflegeinitiative stellen muss.
Jeder Kommentar hätte Potential für einen eigenen Blog. In dieser Stellungnahme
möchte ich mich jedoch kurz halten.
„Wir
werden immer gesünder älter. Exit hat auch eine enorme Zuwachsrate. Ich kenne
niemand in meinem Umfeld, der/die ein Altersheim zu Exit bevorzugt. Das Recht
auf Exit muss ausgebaut werden.
Heute
wird diktatorisch über das Leben von den Alten bestimmt. Viele die in den
Altenheimen über Jahre und Jahrzehnte dahinvegetieren, würden wohl lieber
sterben und dürfen nicht. Und warum umbringen? Exit ist eine persönliche
Entscheidung, und sollte von einer Handlungsfähigen Person, eigentlich immer
zur Verfügung stehen.“
Nina
Klein
Ich finde es traurig, dass die Angst vor Abhängigkeit,
die Angst vor dem Unterversorgt sein, Menschen zur Entscheidung für Exit
bringt. Das Recht auf Exit auszubauen, kann nicht unsere Antwort auf den
Fachkräftemangel sein. Der Grat zwischen
„freier Entscheidung“ und „Eutanasie“ wie zu sehr dunklen Zeiten in Deutschland
ist extrem schmal.
„Das
wäre doch ein neues Betätigungsfeld für die Unmengen an ausgesteuerten über 50
Jährigen? Umschulen auf Pflegeberufe, verpflichten bis zur Pensionierung auf
dem Beruf zu arbeiten, sonst Aufkommen für die Weiterbildungskosten.
Schliesslich wollen wir keine Einwanderung, aber jemand muss den Job machen.“
Hans Meier
Wenn es Arbeitslose gibt, die sich diesen Beruf
vorstellen können, bin ich absolut dafür, diese auch entsprechend zu fördern.
Darauf zielt die Pflegeinitiative auch ab. Eine „Zwangsrekrutierung“ wie sie
Hans Meier vorschlägt ist jedoch nicht zielführend. Pflegefachperson sein muss
man wollen, sonst leidet nicht nur der
„Zwangsrekrutierte“ selbst, sondern auch die Patienten.
„Die
Akademisierung der Pflegeberufe trägt stark zum Mangel an Fachkräften bei.
Personen, die vom Charakter und ihrer Empathie her sehr geeignet wären, sind
wegen der überspitzten schulischen Anforderungen ausgeschlossen. Die
hochgebildeten, pflegerisch ahnungslosen Pflegeakademikerinnen sind sich zudem
zu schade für die Arbeit an den Patienten.“
Ernst Boller
Empathie und Charakter alleine reichen nicht. Es braucht Kopf, Herz und Hand. Es ist
jedoch auch heute noch möglich, mit einem Realschulabschluss die Ausbildung zur
Pflegefachperson zu machen. Ja, es braucht einen langen Atem, aber keinen
längeren als damals, als ich diesen Weg (mit Realschulabschluss) gegangen bin.
In der Praxis begegne ich vielen
Pflegefachpersonen FH (Bachelorabschluss). Ich begegne ihnen am Patientenbett,
wo sie sich um hochkomplexe Patientensituationen kümmern, ich kann sie fragen,
wenn ich etwas nicht weiss, ich kann mich mit ihnen beraten. Studierende FH entscheiden sich meist
bewusst für das Pflegestudium, weil sie praktisch arbeiten wollen und nicht
irgendwo in einem Kämmerchen verstauben.
Ebenso wichtig sind jedoch die Pflegefachpersonen
mit Masterabschlüssen, welche Studien durchführen. Wer soll uns die Zahlen (die
ja in der Schweiz so wichtig sind) liefern, wenn nicht sie? Wer soll gegenüber Krankenkassen belegen können, welche pflegerischen
Interventionen wirksam sind, wenn nicht sie?
Der
Kostendruck in den Spitälern ist ein weiteres Kapitel. Es darf nur noch
husch-husch das Nötigste gemacht werden. Das verleidet den Job ganz gründlich.
Ernst
Boller
Da gebe ich Herrn Boller absolut recht. Auch ich frage mich, wo dieses Geld
eigentlich hingeht, in die Pflege jedenfalls nicht! Die Pflegeinitiative
will auch vor allem eines: Das Pflegefachpersonen ihren Job wieder machen
können, wie sie es auch gelernt haben.
Die
Veränderungen der letzten Jahre im Berufsbild der Pflegenden waren gar nicht
förderlich. Im Gegenteil. Schon die aktuellen Berufsbezeichnung widerspiegeln
ganz klar das schiefe Bild. Was war denn an den Bezeichnungen
"Krankenschwester" oder "Pfleger" so falsch?
Ernst Boller
Der Titel „Schwester“ ist den Ordensschwestern
vorbehalten. Sie sind allein stehend, und kinderlos. Pflegefachpersonen können
verheiratet, liiert, verliebt alleinstehend, mit Kindern und ohne Kinder sein.
Der Titel „Krankenschwester“ impliziert vor allem
den „dienenden“ Aspekt des Berufes. Das ist er jedoch schon lange nicht mehr. Pflegefachperson ist eine Profession, die
viel Wissen und sehr viel Eigenständigkeit braucht.
„Das
Modell FAGE / HF ist einen Schuss in den Ofen.“
Beat Weiss
Leider fehlt mir hier die Begründung, warum Herr
Weiss dieser Meinung ist. Das Modell FAGE/HF wurde erstellt, als die
Pflegeausbildungen vom SRK ins BBT gewechselt haben. Ich sehe darin vor allem
einen Vorteil: Schulabgänger haben die Möglichkeit ohne Umwege einzusteigen und
haben dann nach 3 Jahren auch etwas in der Hand. Im vorherigen Model, mussten
zuerst Praktikas sowie weiterführende Schulen absolviert werden, bevor mit der
Ausbildung begonnen werden konnte.
„Was
der Pflege in der Schweiz fehlt, ist das selbständige Handeln. (wie USA). Für
jeden Pfupf braucht es hier eine ärztliche Verordnung, das ist völliger Unsinn
und hat mehr mit Standesdünkel, denn mit Fachwissen zu tun. Manche
Pflegefachfrau, speziell der ältern Sorte (AKP, war die beste Ausbildung) weiss
medizinisch viel mehr und kann Zusammenhänge erkennen, als die eingebildeten
Mediziner.“
Beat Weiss
Genau das will die Pflegeinitiative ändern. Pflegefachpersonen soll jene Kompetenz und
jene Verantwortung zugesprochen werden, welche sie schon längst innehaben.
In der Zusammenarbeit mit den Medizinern braucht es eine Partnerschaft auf
Augenhöhe und keine Konkurrenz.
„Und
früher wurde auch mehr von den Angehörigen erledigt. Aber wenn die Gemeinde
oder die Krankenversicherung zahlt, ist das ja bequemer für die Familie... „
Anke Sach
Es gibt viele pflegende Angehörige. Sie haben
unseren Respekt und Unterstützung verdient. Dies ist jedoch eine andere
Baustelle.
Ja, früher wurde viel mehr von den Angehörigen
übernommen. Dies wurde zunehmend den Pflegenden abdelegiert. Da aber die
meisten auch berufstätig sind, stehen Angehörigen heute auch weniger Ressourcen
zur Verfügung.
Lustig
ist, dass die halbe Welt uns erzählen will, Arbeiter und Angestellte werden
bald einmal durch Roboter ersetzt. Nur in der Pflege scheint der technische
Fortschritt (zumindest in den Köpfen der Initianten) völlig vorbei zu gehen.
Rolf Rothacher
Ja, das will man uns auch bezüglich Pflege
erzählen. Aber bis jetzt hat mir noch nie jemand schlüssig erklären können, wie
um Gottes Willen das umgesetzt werden soll. Ich kann mir nicht
vorstellen, dass ein Roboter die Suizidalität eines Menschen einschätzen kann
und mit einem Krisengespräch eine solche persönliche Katastrophe verhindern
kann. Ich kann mir nicht vorstellen, wie ein Roboter, ein Antibiotika korrekt
auflösen und einem Patienten i/v verabreichen kann. Ich kann mir nicht
vorstellen, wie ein Roboter eine demente Person ganzheitlich versorgen kann.
Ich entschuldige mich ganz offen für meine Begrenztheit, aber bis jetzt hat mir
das noch kein Roboter vorgemacht.
„Okay,
die Pflege hat es verstanden, die Anforderungen an die Mitarbeitenden ständig höher
zu schrauben. Während jede Mutter ihrem Kind Salbe und Pflaster auf eine kleine
Wunde tun darf, braucht es in der Pflege Arzt und Diplomierte Fachkraft. Wir
leiden nicht an einem Fachkräftemangel, sondern an einem Perfektionierungswahn,
der auf Dauer unbezahlbar sein wird.“
Rolf Rothacher
Es ist nicht die Pflege, welche diese
Anforderungen hochgeschraubt hat. Es ist die zunehmende Komplexität der Fälle.
Einem gesunden Kind eine Salbe und ein Pflaster auf eine Wunde tun kann jeder.
Anders sieht es aus, wenn Krankheiten die Wundheilung negativ beeinflussen.
Dann reicht eine einfache Salbe nicht mehr. Es geht bei der Pflegeinitiative nicht um eine Perfektionierung,
sondern darum, dass Pflegefachpersonen ihren Job so machen können, wie sie es
auch gelernt haben.
„Die
massive Zuwanderung bewirkt ja gerade, dass wir eine massive Zuwanderung
benötigen. Ergo ist es eminent wichtig sich diesem Thema anzunehmen. Die
Zuwanderung potenziert sich selbst nach oben und verursacht eben, dass wir in
gewissen Bereichen massiv ausbauen müssen.“
Ivo Steinmann
Es
war klar, dass wir auch bei der Pflegeinitiative von diesem Thema nicht
verschont bleiben. Ich werde hier ein einziges Mal
darauf eingehen, mehr ist es mir auch nicht wert. Es sind „unsere“ Kranken,
Invaliden, Gebrechlichen um die es hier geht! Auch wenn man alle „ausländischen
Kranken Invaliden, Gebrechlichen,“ ausschaffen würde, an der Thematik der
Pflegeinitiative würde das nichts ändern!
„Eigentlich
ist es schon länger erkannt, es geht nicht vorwärts. Manchmal denke ich, dass
hat System. Die Hauptthemen in der CH, sind meiner Meinung nach, nicht die
dringendsten (Umwelt, alternde Gesellschaft, Pflegekosten etc.), sondern die
Lieblingsthemen der WutbürgerInnen: Burkas, Kündigung der EMRK, MEI.... - Ist
das nicht Ablenkungspolitik?“
P. Pavelis vor 10 Std.
Ja, es ist schon lange erkannt, und bis auf wenige
Ausnahmen bisher von der Politik aktiv ignoriert. Die Schweiz sollte sich fragen, wie es soweit kommen kann, dass eine so
duldsame Berufsgruppe wie die Pflege eine Initiative startet. Die von Herrn
Pavelis angesprochenen Lieblingsthemen sind einfacher anzugehen. Es gibt da Ja
oder nein und links oder rechts. Beim
Pflegenotstand werden andere Fragen aufgeworfen, die nicht so einfach zu
beantworten sind.
Dies ist wohl der längste Blog den ich je
geschrieben habe. Ich danke allen, die ihn bis hierher gelesen haben, und sich
die Zeit dazu genommen haben.
Bitte, unterschreibt die Pflegeinitiative! Es ist
mir ein persönliches Anliegen!
Danke vielmal
Eure Madame Malevizia.
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