Mittwoch, 25. Januar 2017

Warum ich die Pflegeinitiative unterstütze - oder um was es wirklich geht


Ihr Lieben,
Mir war nicht bewusst, dass in der Schweiz Zahlen so wichtig sind. Für mich sind sie es nicht. Vielleicht liegt es daran, dass Mathematik niemals zu meinen Lieblingsfächern gehörte. Eher im Gegenteil. Oder, wie eine Arbeitskollegin einmal sagte: Ich bin nicht Pflegefachfrau geworden, weil ich besonders gut im Rechnen bin.
In den Medienberichten, wie auch in den Voten der meisten Politiker zur Pflegeinitiative, ging es fast ausschliesslich um Zahlen. Es geht aber um etwas völlig anderes.
Es geht um Menschenleben.
Der Zeitdruck auf die Pflege steigt täglich. Immer mehr Patienten müssen in immer weniger Zeit betreut werden. Wie schnell ist da ein Fehler passiert. Wie schnell ein Name verwechselt, sei es nun der eines Patienten oder eines Medikamentes. Wie schnell ist die Tropfgeschwindigkeit falsch errechnet und somit auch die Dosierung über 24 Stunden falsch.
Es sind die Pflegenden, die im Akutspital am meisten am Patientenbett stehen. Sie sind es, denen erste Anzeichen einer Veränderung des Gesundheitszustandes der Patienten auffallen. Sie sind die erste Ansprechperson für Patienten und ihre Angehörigen. Wenn die Zahl der Pflegefachpersonen weiter sinkt, werden diese wichtigen Beobachtungen weiter sinken
In den Psychiatrien sind es die Pflegefachpersonen, die Krisen früh erkennen und intervenieren können. Sie sind es, die Patienten in Krise, sei sie depressiv, emotional instabil, manisch oder psychotisch, zurück ins Leben begleiten. Sie sind es, die als erste reagieren müssen, wenn Patienten selbst- oder fremdgefährdend sind. Dies gelingt nur, wenn die Pflegefachpersonen tragfähige Beziehungen zu den Patienten aufbauen können. Und das braucht Zeit und Erfahrung.
In den Pflegeheimen sind die Pflegefachpersonen häufig auf sich allein gestellt. Sie sind es, die dementen Bewohnern jene Sicherheit geben, die sie brauchen, um zur Ruhe zu kommen. Sie sind es, die sich um die Grundbedürfnisse der betagten und pflegebedürftigen Menschen kümmern. Sie sind es, die durch Lagerung, konsequente Hautpflege und Hautkontrolle dafür sorgen, dass Bettlägerige keine Dekubiti entwickeln. Sie sind es, die mit fachgerechter Mobilisation Kontrakturen oder Stürze verhindern. Wenn die Anzahl von Pflegefachpersonen noch weiter sinkt, wird in Pflegeheimen der wahre existentielle Notstand ausbrechen.
Es geht um die Würde jener, die auf Pflege und Betreuung, egal welcher Couleur angewiesen sind.
Wenn im Akutspital Patienten in ihrem Erbrochenen, im eigenen Blut liegen gelassen werden müssen, ein anderer Patient sich vor Schmerzen windet, und die einzige Pflegende auf der Station einen deliranten Patienten vor sich selbst schützen muss, steht die Würde auf dem Spiel. Es sind die Pflegefachpersonen, die sich dafür stark machen, dass der Patient noch als ganzer Mensch und nicht nur als „die Gallenblase“ oder „die Hüftfraktur“ gesehen wird. Sie hält die Fäden in der Hand. Ist Ansprechperson für Ärzte, Physiotherapie oder Ernährungsberatung. Wenn diese „Vernetzung“ wegbricht, werden schwer kranke Patienten mit vielen ihrer Probleme alleine gelassen, weil sich niemand mehr zuständig fühlt.
Wenn im Pflegeheim eine Pflegende zwei Bewohnern gleichzeitig das Essen anreichen muss und das bitte in höchstens 30 Minunten, wenn demente Bewohner nicht mehr regelmässig zur Toilette geführt werden können und stattdessen einfach eine Inkontinenzeinlage angezogen bekommen, wo ist die Würde dann? Noch geben Pflegende alles, um diese Szenarien zu vermeiden. Es sind die Pflegefachpersonen, die ihren Bewohnern auch im Sterben beistehen und ihnen ein würdevolles Sterben ermöglichen. Dass auch noch in 10 Jahren Pflegefachpersonen einem Menschen diesen Dienst erweisen können, darum geht es.
Es geht um die Seelen der Pflegefachpersonen
„Ausgebrannte Pflegende bringen keine Wärme mehr; wem nützt ein Leuchtturm, wenn die Lampe nicht brennt?“ Das sagte Liliane Juchli einst. Der Beruf verlangt viel von den Pflegefachpersonen. Er ist körperlich anstrengend, die Arbeitszeiten sind unregelmässig, und Überzeiten garantiert. Pflegefachpersonen sehen viel Leid: Patienten werden mit schweren Krankheiten, Ängsten, Schmerzen und anderen körperlichen Einschränkungen konfrontiert, Angehörige fürchten um das Leben ihrer Liebsten oder müssen sogar deren Tod akzeptieren. Auch Tod und Sterben sind nicht einfach anzusehen. Schon heute brennen viele Pflegefachpersonen aus und können den von ihnen geliebten Beruf nie wieder ausüben. Wird es Pflegenden nicht bald erleichtert, ihr eigenes Licht zu schützen und zu pflegen, werden noch mehr Leuchttürme für immer erlöschen.
Darum und nur darum geht es in der Pflegeinitiative. Deshalb unterstütze ich sie mit all meiner zur Verfügung stehenden Kraft.
Mehr als 11.000 Menschen haben die Pflegeinitiative bereits unterschrieben, ihnen danke ich von ganzem Herzen. Jene, die es noch nicht getan haben, bitte ich, es zu tun. Helfen Sie mit, der Pflege eine Stimme zu geben!

Eure Madame Malevizia. 

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