Ihr Lieben,
Mir
war nicht bewusst, dass in der Schweiz Zahlen so wichtig sind. Für mich sind
sie es nicht. Vielleicht liegt es daran, dass Mathematik niemals zu meinen
Lieblingsfächern gehörte. Eher im Gegenteil. Oder, wie eine Arbeitskollegin
einmal sagte: Ich bin nicht Pflegefachfrau geworden, weil ich besonders gut im
Rechnen bin.
In
den Medienberichten, wie auch in den Voten der meisten Politiker zur
Pflegeinitiative, ging es fast ausschliesslich um Zahlen. Es geht aber um etwas
völlig anderes.
Es geht um Menschenleben.
Der
Zeitdruck auf die Pflege steigt täglich. Immer mehr Patienten müssen in immer
weniger Zeit betreut werden. Wie schnell ist da ein Fehler passiert. Wie
schnell ein Name verwechselt, sei es nun der eines Patienten oder eines
Medikamentes. Wie schnell ist die Tropfgeschwindigkeit falsch errechnet und somit
auch die Dosierung über 24 Stunden falsch.
Es
sind die Pflegenden, die im Akutspital am meisten am Patientenbett stehen. Sie
sind es, denen erste Anzeichen einer Veränderung des Gesundheitszustandes der
Patienten auffallen. Sie sind die erste Ansprechperson für Patienten und ihre
Angehörigen. Wenn die Zahl der Pflegefachpersonen weiter sinkt, werden diese
wichtigen Beobachtungen weiter sinken
In
den Psychiatrien sind es die Pflegefachpersonen, die Krisen früh erkennen und
intervenieren können. Sie sind es, die Patienten in Krise, sei sie depressiv,
emotional instabil, manisch oder psychotisch, zurück ins Leben begleiten. Sie
sind es, die als erste reagieren müssen, wenn Patienten selbst- oder
fremdgefährdend sind. Dies gelingt nur, wenn die Pflegefachpersonen tragfähige
Beziehungen zu den Patienten aufbauen können. Und das braucht Zeit und
Erfahrung.
In
den Pflegeheimen sind die Pflegefachpersonen häufig auf sich allein gestellt.
Sie sind es, die dementen Bewohnern jene Sicherheit geben, die sie brauchen, um
zur Ruhe zu kommen. Sie sind es, die sich um die Grundbedürfnisse der betagten
und pflegebedürftigen Menschen kümmern. Sie sind es, die durch Lagerung,
konsequente Hautpflege und Hautkontrolle dafür sorgen, dass Bettlägerige keine
Dekubiti entwickeln. Sie sind es, die mit fachgerechter Mobilisation
Kontrakturen oder Stürze verhindern. Wenn die Anzahl von Pflegefachpersonen
noch weiter sinkt, wird in Pflegeheimen der wahre existentielle Notstand
ausbrechen.
Es geht um die Würde jener, die
auf Pflege und Betreuung, egal welcher Couleur angewiesen sind.
Wenn
im Akutspital Patienten in ihrem Erbrochenen, im eigenen Blut liegen gelassen
werden müssen, ein anderer Patient sich vor Schmerzen windet, und die einzige
Pflegende auf der Station einen deliranten Patienten vor sich selbst schützen muss,
steht die Würde auf dem Spiel. Es sind die Pflegefachpersonen, die sich dafür
stark machen, dass der Patient noch als ganzer Mensch und nicht nur als „die
Gallenblase“ oder „die Hüftfraktur“ gesehen wird. Sie hält die Fäden in der
Hand. Ist Ansprechperson für Ärzte, Physiotherapie oder Ernährungsberatung.
Wenn diese „Vernetzung“ wegbricht, werden schwer kranke Patienten mit vielen
ihrer Probleme alleine gelassen, weil sich niemand mehr zuständig fühlt.
Wenn
im Pflegeheim eine Pflegende zwei Bewohnern gleichzeitig das Essen anreichen
muss und das bitte in höchstens 30 Minunten, wenn demente Bewohner nicht mehr
regelmässig zur Toilette geführt werden können und stattdessen einfach eine
Inkontinenzeinlage angezogen bekommen, wo ist die Würde dann? Noch geben
Pflegende alles, um diese Szenarien zu vermeiden. Es sind die
Pflegefachpersonen, die ihren Bewohnern auch im Sterben beistehen und ihnen ein
würdevolles Sterben ermöglichen. Dass auch noch in 10 Jahren Pflegefachpersonen
einem Menschen diesen Dienst erweisen können, darum geht es.
Es geht um die Seelen der
Pflegefachpersonen
„Ausgebrannte
Pflegende bringen keine Wärme mehr; wem nützt ein Leuchtturm, wenn die Lampe
nicht brennt?“ Das sagte Liliane Juchli einst. Der Beruf verlangt viel von den
Pflegefachpersonen. Er ist körperlich anstrengend, die Arbeitszeiten sind
unregelmässig, und Überzeiten garantiert. Pflegefachpersonen sehen viel Leid:
Patienten werden mit schweren Krankheiten, Ängsten, Schmerzen und anderen
körperlichen Einschränkungen konfrontiert, Angehörige fürchten um das Leben
ihrer Liebsten oder müssen sogar deren Tod akzeptieren. Auch Tod und Sterben
sind nicht einfach anzusehen. Schon heute brennen viele Pflegefachpersonen aus
und können den von ihnen geliebten Beruf nie wieder ausüben. Wird es Pflegenden
nicht bald erleichtert, ihr eigenes Licht zu schützen und zu pflegen, werden
noch mehr Leuchttürme für immer erlöschen.
Darum
und nur darum geht es in der Pflegeinitiative. Deshalb unterstütze ich sie mit
all meiner zur Verfügung stehenden Kraft.
Mehr
als 11.000 Menschen haben die Pflegeinitiative bereits unterschrieben, ihnen
danke ich von ganzem Herzen. Jene, die es noch nicht getan haben, bitte ich, es
zu tun. Helfen Sie mit, der Pflege eine Stimme zu geben!
Eure
Madame Malevizia.
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