Meine Lieben,
Immer
wieder schreibe ich von den moralisch – ethischen Fragen, Dilemmas denen
Pflegende tag – täglich gegenüber stehen. Ich habe es mir zur Aufgabe gemacht,
die Politik, sowie die Öffentlichkeit auf diesen so unglaublich wichtigen Aspekt in der Kosten – und
Personaldiskussion aufmerksam zu machen. In Anbetracht der bereits wieder
angekündigten Sparrunden namentlich des Kanton Bern (was ich davon halte, habe
ich in meinem offenen Brief bereits klar gemacht) und Kanton Luzern, welche
wieder auf dem Rücken der Schwächsten durchgeführt werden, möchte ich in diesem
Blog erläutern, was auf dem Spiel steht, wenn die Politik nicht endlich
umdenkt, sich auf den Hintern setzt und nach geeigneten Lösungen sucht.
Ich
stütze mich bei diesem Beitrag auf die ethischen Prinzipien: Autonomie, Gutes
tun, nicht schaden wollen, Gerechtigkeit. Als Denkanstoss nutze ich die
Broschüre „Ethik und Pflegepraxis“ des SBK 2013.
Ich
beginne mit der Autonomie. Ein Wort,
welches mir immer wieder begegnet. Mir scheint, die Autonomie ist in der
Schweiz ein wichtiges zentrales Gut. Schauen wir uns nur die Diskussion über
die Billateralen Verträge oder den EU – Beitritt an. Fremde Richter? Kommt
nicht in Frage! Ebenfalls in das Prinzip der Autonomie gehört die offenbar
riesige Angst vor Abhängigkeit. Immer wieder höre und lese ich Statements wie:
„Wenn ich mal nicht mehr selbst kann, mache ich Schluss.“ Gerade dies zeigt
eines deutlich: Die Autonomie von Kranken ist in Gefahr. Sie ist in Gefahr,
weil der Personalmangel dafür sorgt, dass es nicht der körperlich stark
eingeschränkte Mensch ist, der bestimmt, wann er aufsteht, sondern der Zeitplan
der Pflegenden. Es ist dem Personalmangel zu verdanken, dass Essen einfach
eingegeben wird, weil es schneller geht, als den Betroffenen zu führen und ihn
so zumindest das Tempo bestimmen zu lassen. Solche Förderungen sind jedoch
schlicht unmöglich, weil sonst der/die Letzte erst um 14.00 Uhr sein/ihr
Mittagessen bekommen würde. Es braucht Zeit, Angehörigen zu erklären, dass die
Autonomie eines hochdementen Menschen bedeuten kann, ihn selbst herum gehen zu
lassen, auch wenn man dadurch Stürze in Kauf nimmt. Zeit, die häufig nicht da
ist, weil solche Gespräche nicht abgerechnet werden können. Das Selbe gilt für
Beratungen, die meist spontan entstehen, wenn es um den Umgang mit bestimmten
Krankheitssymptomen geht. Einfach die Reservemedikation verabreichen, geht
schneller. Der Betroffene bleibt jedoch hilflos, kann seine Genesung nicht
selbst beeinflussen.
Es
braucht Zeit, gebrechliche alte Menschen nachts auf die Toilette zu begleiten,
der Topf geht viel schneller. Und gerade in der Nacht, in der Pflegende oft
alleine sind, zählt jede Minute. Autonomie wird als so wichtig betrachtet, kann
jedoch nicht gemessen und auch nicht bezahlt werden, und deshalb kommt sie in
den strategischen Überlegungen von Politik und Wirtschaft nicht vor.
Gutes tun, ist jenes Prinzip, welches so
deutlich zeigt, weshalb jedes noch so ausgeklügelte Computersystem, jeder noch
so menschlich aussehende Roboter niemals Pflegende ersetzen kann. Leider ist es
auch das Prinzip, welches nicht in Zahlen ausgedrückt werden kann. Somit ist es
unbezahlbar. Gutes tun ist dann gefragt, wenn Menschen eine lebensbedrohliche
Diagnose erhalten. Es sind jene Minuten, die sich Pflegende nehmen, um eine
Hand zu halten. Es ist die Anteilnahme gegenüber Angehörigen, für die gerade in
diesem Moment die Welt stehen geblieben ist, weil ein ihnen lieber Mensch
verstorben ist. Gutes tun, ist das, was nicht gelernt werden kann und ein Teil
dessen, was wir Berufung nennen.
Wenn
Pflegende sich nicht mehr die Zeit nehmen können, um einen Patienten zum Essen
zu motivieren, ist Gutes tun, weit weg. Es ist in Gefahr, wenn Pflegende nicht
mehr die Kraft haben, sich für einen schmerzgeplagten Patienten einzusetzen,
damit dieser eine angemessene Analgesie erhält.
So banal
das Prinzip nicht schaden wollen daher
kommt, so vielschichtig und gefährdet ist es. Es ist gefährdet, wenn Pflegende
keine Chance mehr haben, Patientenrufe innert nützlicher Frist zu beantworten.
Ein Ruf, heisst immer, jemand braucht etwas, etwas, das für sein Wohlbefinden
wichtig ist. Manchmal ist sogar Leib und Leben davon abhängig, dass jetzt
dieser Ruf beantwortet wird. Dem Ruf ist jedoch nicht anzusehen, wo welche Not
herrscht.
Das
Beispiel des Patienten in seinen Exkrementen, habe ich schon häufig benutzt.
Dabei geht es nicht ausschliesslich um das Prinzip nicht schaden wollen, aber
es ist bei diesem Beispiel von zentraler Bedeutung. Wie erniedrigend und
würdelos es für einen Menschen sein muss, in seinen eigenen Körperflüssigkeiten
zu liegen, brauche ich nicht zu erklären. Auch das richtet Schaden an. Ein
weiterer Aspekt ist aber auch die Haut, die durch diese Körperflüssigkeiten
aufgeweicht und beschädigt wird. Nicht schaden wollen heisst, demente Menschen
nicht mit körperlicher Gewalt zur Körperpflege zu zwingen, sondern den
richtigen Moment abzuwarten, oder sogar zu schaffen. Dies gelingt jedoch nur,
wenn zeitliche und personelle Ressourcen vorhanden sind.
Gerechtigkeit. Wenn ich dieses Wort
lese, kommt mir unweigerlich die französische Revolution in den Sinn. Aber
darum geht es hier ja nicht. Obwohl, eine Revolution für die Gerechtigkeit,
wäre im Gesundheitswesen durchaus angebracht.
Ich
frage mich nämlich schon, wo diese Gerechtigkeit ist. Wo ist sie, wenn
Einrichtungen um Geld zu sparen, Schutzhandschuhe und Inkontinenzeinlagen
rationieren? Solche Zustände gibt es, in Deutschland sind sie öffentlich
gemacht worden, aber ich bin überzeugt, dass es solche Dinge auch in der
Schweiz gibt. Ich vermisse die Gerechtigkeit, wenn die Versicherung bestimmt,
wer in einem Einzel – oder Mehrbettzimmer liegt und nicht der
Gesundheitszustand. Ich weiss, wieviel Überzeugungsarbeit Bettendisponenten
leisten müssen, wenn ein Patient aufgrund seines Zustandes in ein Einzelzimmer
verlegt werden muss.
Ich
vermisse die Gerechtigkeit, wenn Pflegende ihre wertvolle Zeit mit immer mehr
administrativen Aufgaben verbringen müssen. Da gibt es teilweise echt absurdes
zu sehen. Der Umstand, dass Pflegende in vielen Institutionen von anderen
Disziplinen Aufgaben zugeschustert bekommen, ist nicht gerecht. Diese Aufgaben
reichen von Frühstücksgeschirr abwaschen bis Abfallsäcke leeren. Frei nach dem
Motto: Könnte die Pflege nicht noch…Dafür bekommen Pflegende nichts zurück,
kein Geld, keine Zeit. Wo ist da die Gerechtigkeit?
Dies
sind nur ein paar Gedanken einer Pflegehexe und nur ein Bruchteil dessen, was
an ethischen und moralischen Konflikten auf dem Rücken der Pflegenden
ausgetragen wird. Jede Sparrunde der Kantone und des Bundes verschärft dieses
Problem. Von den Politikern verlange ich, dass sie sich dem stellen, sie haben
diesen Beruf gewählt, sie müssen die Verantwortung übernehmen. Auch die
Pflegenden haben diesen Beruf (für mich gibt es noch immer keinen schöneren)
gewählt, es ist jetzt an ihnen, sich für die Wahrung der ethischen Prinzipien
einzusetzen. Sei dies im Kleinen an ihrem Arbeitsplatz (alles muss nicht
hingenommen werden), in Diskussionen im Familien – oder Freundeskreis oder im
Grossen, durch zeitliches Engagement in Berufsverbänden, Parteien oder Gewerkschaften.
Aber auch alle Bürgerinnen und Bürger dieses
Landes sind gefragt, wenn es darum geht, ob und wie die ethischen Prinzipien im
Gesundheitswesen ihren Platz haben. Sie sind es nämlich, die wählen und
abstimmen. Sie sind es, die bestimmen, wer bei den nächsten Sparrunden
entscheidet, wo Geld eingespart wird.
In diesem Sinne wünsche ich unseren
Politikern den Mut, sich diesen schwierigen und ebenso wichtigen Themen zu
stellen, den Pflegenden die Kraft, weiterhin alles in ihrer Macht stehende zu
tun, dass die ethischen Prinzipien in ihren Arbeitsbereichen gelebt werden
können und den Bürgerinnen und Bürgern, die Weitsicht, Volksvertreter zu
wählen, die bereit sind die Ethik über den Profit zu stellen.
Und jetzt wünsche ich Euch allen Gesundheit, sie ist das
höchste Gut, das keiner kaufen kann.
Eure Madame Malevizia
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