Diese
Geschichte ereignete sich im Pflegeheim in dem ich mehrere Jahre arbeitete. Ich
arbeitete mit chronisch kranken Menschen, die an einer schweren Erkrankung des
Nervensystems litten. Von ihnen habe ich sehr viel gelernt, auch über mich. Der
Name des Mannes ist selbstverständlich geändert.
Als
Milo zu uns kam, war er noch recht selbständig. Seine Krankheit, war ihm jedoch
schon anzusehen. Ich erhob seine Biografie. Auf meine Frage, wie er mit dem
Wissen umgegangen sei, dass er die schwere Krankheit seiner Mutter geerbt haben
könnte. „Ich habe einfach gelebt.“ war seine Antwort.
Und
genau das hat er auch bei uns getan. Gelebt. Und er liess sich von niemandem daran
hindern. Auch nicht von mir. Das war die erste Lektion die Milo mir erteilte:
Egal wie eingeschränkt er war, er wollte die Verantwortung für sein Leben
behalten. Und wenn er auf die Fresse fiel, fiel er eben auf die Fresse. Aber er
lebte mit jeder Faser seiner Seele.
Wir
sprachen auch über das Sterben. Schon bevor er zu uns kam, trat Milo Exit bei.
Er werde fertig machen, wenn sein Leben nicht mehr lebenswert sei. Wann das
denn für ihn sei, wollte ich wissen. Wenn er nicht mehr selbst rauchen könne,
war die Antwort. Der Tag kam, an dem er seine Zigarette nicht mehr selbst halten
konnte. Und er in seiner Kleidung ständig Brandlöcher produzierte. So oft wir
konnten, halfen wir Milo, seine geliebte Zigarette zu rauchen. Wir richteten es
ein, dass er bestimmt seine Morgenzigarette direkt nach der Körperpflege und
Frühstück, sowie nach den Mahlzeiten rauchen konnte. Für Milo war das
Lebensqualität und Exit für ihn kein Thema. Solange er noch essen könne, wolle
er leben.
Milos
Krankheit schritt weiter fort. Das Schlucken wurde für ihn immer schwieriger.
Es gelang ihm nicht mehr, genügend Kalorien aufzunehmen. Er wurde immer
schwächer. War jetzt der Zeitpunkt gekommen? Würde Milo jetzt nach Exit verlangen?
Er diskutierte mit dem Professor, der ihn seit Beginn seiner Krankheit
betreute, seine Möglichkeiten. Und entschied sich für eine PEG –Sonde, um so
wieder genügend Kalorien aufnehmen zu können. Und nur noch das Schlucken zu
müssen, was er wirklich mochte. Vor allem seinen Kaffee.
Eines
Morgens, es war noch alles still auf der Wohngruppe, nur Milo war schon auf. Er
war immer der Frühaufsteher. Ich hatte ihm schon beim Duschen geholfen und
jetzt sass er in seinem Sessel und ich half ihm mit dem Kaffee. An diesem
Morgen hatte er besonders Mühe zu schlucken. Immer wieder musste er husten,
weil er aspirierte. Und da sagte er es: „Wenn ich den Kaffee nicht mehr trinken
kann, dann will ich nicht mehr.“ Ich fragte nach: „Und dann?“ Er sagte nur
„Exit.“
Schon
bald kam der Tag. Und Milo verlangte danach, mit Exit zu sprechen, auch im
Wissen, dass er den Freitod nicht bei uns würde durchführen können (Das
Pflegeheim hatte sich schon Jahre davor entschieden, den Freitod mit Exit eines
Heimbewohners nicht zu verhindern, jedoch die Räume dafür nicht zur Verfügung
zu stellen).
Nun
war das Thema auf dem Tisch. Wir besprachen uns im interdisziplinären Team und
mit Milo. Auch ihm wurde schnell klar, der Weg mit Exit, war nicht mehr
möglich. Er konnte weder ein Glas mit Medikamenten trinken noch eine Infusion
selbst starten. Was nun?
Milo
hatte schon mehrere Aspirationspneumonien hinter sich. Wir legten mit ihm
zusammen fest, dass wir keine Infektion mehr behandeln würden. Er nur noch die
Medikamente bekäme, die er benötigte, um sich wohl zu fühlen. Das war in Milos
Sinn und er konnte sich mit dieser Vereinbarung einverstanden erklären.
Kurz
nach diesem Gespräch bekam Milo hohes Fieber und mochte nicht mehr aufstehen.
Ich informierte den Professor und Milos Angehörige. Jetzt war es soweit. Wir
begleiteten Milo im Sterben. Jeder von uns Pflegenden kannte Milo sehr gut.
Jeder von uns wusste, was er gerne hatte. Wir machten Mundpflege. Natürlich mit
Kaffee. Dass er den Geschmack, seines Lieblingsgetränks noch lange wahrnehmen
konnte. Während der Körperpflege lief das Radio, der Sender, den er immer
hörte.
Nur
wenige Tage später tat Milo seinen letzten Atemzug.
Wer
definiert Lebensqualität und wie? Sie wird von jedem Menschen selbst definiert
und sie verschiebt sich, je nach Lebenssituation. Das war wohl die grösste
Lektion, die mir Milo erteilt hat. Dafür nochmals Danke, Milo.
In
Liebe und Dankbarkeit
Madame
Malevizia
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen