Meine
Lieben,
In
Diskussionen über assistierten Suizid kommt auch immer wieder das Argument:
„Ich will selbst bestimmen, wann fertig ist.“ Ich könnte jetzt auch darüber
schreiben, ob es wirklich nötig ist, sein Ende selbst bestimmen zu können. Eine
wirklich interessante Frage, nicht?
Aber ich
möchte eine andere Frage stellen: Ist es wirklich nur im Freitod möglich, sein
Ende selbst zu bestimmen?
Wer bestimmt, wann der Tod kommt…
Der
Tod ist unberechenbar. Das sage ich immer, wenn Angehörige fragen, wie lange
ihr Nächster denn noch zu leben habe. Meine Berufserfahrung hat mich das
gelehrt. Schon mehrmals habe ich einem Menschen nur noch wenige Stunden
gegeben, der dann noch mehrere Tage hatte. Andererseits habe ich auch Menschen
erlebt, die bei meinem Schichtende noch ansprechbar waren und am nächsten Tag
bereits verstorben.
Ich
habe den starken Verdacht, dass es letztendlich doch der Mensch selbst ist, der
bestimmt, wann der Tod kommt. Grund dafür ist Herr Seiffert.
Herr
Seiffert litt an einer degenerativen Erkrankung des Nervensystems. Ein kluger
Mann, vielseitig interessiert und angenehm im Umgang, eben ein richtiger Herr. Und
ein Kämpfer. Es war ihm wichtig, am Leben teilnehmen zu können. Und seine
Gesundheit war ihm immer ein Anliegen. Mehrere schwere Pneumonien liess er
behandeln und überlebte sie.
Zunehmend
schwanden jedoch seine Kräfte und er schaffte es oft nur noch am Nachmittag für
kurze Zeit in den Rollstuhl.
Fast
vollständig bettlägerig zu sein, war für ihn kein Leben mehr. Herr Seiffert
wollte den Freitod. Das Pflegeheim verhinderte den Freitod eines Bewohners
nicht, liess ihn jedoch in den eigenen Räumen nicht zu. Herr Seiffert wünschte
sich jedoch, in seinem Zimmer, seinem Zuhause zu sterben.
So
mussten sich das gesamte Team, sowie das Pflegeheim ganz konkret mit seiner
Haltung zum Freitod auseinandersetzen. Herr Seiffert war der erste, der diesen
Wunsch in diesem Heim äusserte.
Im
Team gab es unterschiedliche Standpunkte. Einige waren der Auffassung, dass
Herr Seifferts Wunsch berücksichtigt werden solle. Andere wollten davon nichts
hören. Ich selbst konnte Herrn Seifferts Beweggründe sehr gut nachvollziehen.
Gleichzeitig fühlte ich jedoch sehr deutlich, dass es meine Kräfte übersteigen
würde, ihn im Freitod zu begleiten.
Der
Stiftungsrat besprach Herrn Seifferts Situation eingehend. Er blieb jedoch
dabei, den Freitod in seinen Räumen nicht zu wollen.
Soweit
so gut. Und dann geschah das, was man fast nicht glaubt, wenn man es nicht
selbst erlebt hat:
Die
Pflegedienstleiterin informierte Herrn Seiffert über den Entscheid des
Stiftungsrates. Kaum eine halbe Stunde später hatte Herr Seiffert hohes Fieber.
Er sagte klar, er wolle keine Behandlung mehr. Jetzt wolle gehen.
Herr
Seiffert starb einige Tage später in seinem Zimmer. Seine Lebensgefährtin
konnte ihm dabei seine Hand halten.
Als
Herr Seiffert schliesslich diese Welt verlassen hatte, gestand mir seine
Lebensgefährtin wie froh sie sei, dass Herr Seiffert hier bei uns eines
natürlichen Todes habe sterben können. Sie glaube, dass es für sie so leichter
sei, seinen doch so frühen Tod zu akzeptieren.
Seit diesem
Erlebnis bin ich der Überzeugung, dass es wohl die Seele ist, die bestimmt,
wann der Tod kommt...
Alles Liebe
Eure Madame
Malevizia
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