Kurz vor unserem Termin informiert mich Sonia, dass
sie wegen eines Unfalls krankgeschrieben sei. Unsere Verabredung will sie auf
keinen Fall absagen. «Ich bin froh, wenn ich etwas machen kann.» Und so treffen
wir uns am Bahnhof ihres Wohnortes. Sie zu erkennen ist dann auch nicht weiter
schwierig. Es ist die, mit der eingegipsten Hand.
Angefangen hat Sonias Weg als Hebamme. Ihr Diplom
machte sie 1998. Zuvor war sie nach abgeschlossener KV – Lehre 2 Jahre in der
Welt herumgereist. Ihre ersten Berufserfahrungen machte Sonia dann in einem
Regionalspital. Es sei eine spezielle Zeit gewesen, meint sie rückblickend. Sie
seien eine verschworene Truppe gewesen. Und sie habe vor allem von den älteren
Hebammen viel gelernt. Das seien schon ein wenig ihre Heldinnen gewesen. Dieser
Respekt und das voneinander lernen hat Sonia in späteren Jahren vermisst. Mit
der Umstrukturierung der Ausbildungen wurde Hebamme zum Bachelor – Abschluss.
Für Sonia begann eine ungesunde Konkurrenz. Diese
jungen Frauen mit der sogenannt «höheren» Ausbildung liessen sich nur ungern
von ihr, der gestandenen Berufsfrau und Praktikerin, etwas sagen. Für Sonia
ging immer mehr das verloren, worum es eigentlich geht: Die Menschen.
Als 2016 dann auch noch das Umfeld schwierig wurde und sie sich weder vom Team noch von ihren
Vorgesetzten geschätzt oder getragen fühlte, wagte Sonia den Sprung in ein
neues Abenteuer. Sie wechselte vom Gebärsaal ins Pflegeheim. Es sei zu Beginn
nicht immer einfach gewesen. Langzeitpflege sei eine andere Welt. Einige hätten
auch gefragt: «Kannst du das denn überhaupt?» Doch Sonia hat sich
durchgebissen. Mit Hilfe der Pflegedienstleitung, die sie von Beginn an unterstützt
hat, sowie des Teams, lebte Sonia sich schnell ein. Schon bald kamen ihre Ressourcen
zum Tragen. Als Kinästhetik – Peer – Tutorin® fördert sie die Bewohnerinnen und
Bewohner in ihrer natürlichen Beweglichkeit. Sonias Augen leuchten, als sie mir
von ihren Erfolgen erzählt. Sie nimmt nicht einfach hin, wenn etwas nicht
(mehr) geht. Sonia ist überzeugt, dass es sich lohnt, auch ältere Menschen zu
fördern, denn Lernen sei
ein Leben lang möglich. Auch die 20 Jahre in denen Sonia Hebammen ausbildete,
kommen ihr zugute. Gerne nimmt sie Auszubildende oder Frischdiplomierte unter
ihre Fittiche und gibt ihr Wissen und ihre Erfahrungen weiter.
Es ist deutlich spürbar: Sonia ist wohl da, wo sie
ist. Es ist ihr wichtig, an einem Ort zu arbeiten, wo der ganze Mensch gesehen
wird. «Ich möchte nicht einfach nur zur «Hüfte» gehen», erklärt sie mir. Dass
sie mit dem hektischen Alltag im Pflegeheim zurechtkommt, hat mit einer
speziellen Fähigkeit zu tun. Sonia kann sich fokussieren. «Wenn ich bei einem
Bewohner bin, dann blende ich alles aus. Es gibt nur ihn und mich. So können
auch nur fünf Minuten sehr wertvoll sein»,
Und was würde aus ihrer Sicht helfen, Pflegende
möglichst lange im Beruf zu halten? «Wir müssen als erstes mit dem
Konkurrenzdenken aufhören. Jede Ausbildung hat ihren Wert und ihren Platz und
jeder kann vom anderen lernen.» Überhaupt müssten wir mehr darauf achten, wie
wir uns selbst behandeln und auch behandeln lassen. Als Beispiel nennt sie die
Überzeit. Vielerorts muss diese noch extra begründet werden. Für Sonia ein
Zeichen des Misstrauens des Kaders, welches grösstenteils ja auch einmal in der
Pflege tätig war.
Als Ursache vieler Schwierigkeiten unseres Berufes
sieht Sonia dessen Ursprung als Frauenberuf. Dieser Umstand weiche sich nur
sehr langsam auf. Ein erster Schritt wäre, wenn zumindest die gesetzlichen
Vorgaben überall eingehalten würden. Eigentlich eine Selbstverständlichkeit,
jedoch nicht in der Pflege. Ebenfalls müsste sich auch finanziell einiges
bewegen. Erfahrungsstufen sowie fachliche Weiterbildungen müssten geachtet und
honoriert werden. Auch in den Arbeitszeiten sieht Sonia noch viel Verbesserungspotential.
Selten werde da Rücksicht auf Familien genommen. Auch das Pensum sollte
reduziert werden. 100% zu arbeiten, erachtet sie als unmöglich. Das gehe zu
sehr an die Substanz, da durch die unregelmässige Arbeitszeit sehr lange
Arbeitsblöcke mit wenigen freien Tagen resultierten.
Eine, fokussierte Mentorin, erkenne ich in
Sonia. Sie ist eine Macherin, nutzt den Rahmen, den sie hat, vollständig aus.
Sie nimmt jeden mit und ermöglicht ihm zu lernen und zu wachsen, dabei ist es
für sie unwichtig, ob dies der Zivi, die Auszubildende oder eine Bewohnerin/
ein Bewohner ist. Jeder der von ihr lernen will, bekommt von ihr Wissen
geschenkt.
Danke, liebe Sonia, für den Nachmittag, an dem ich dich
kennen lernen durfte.
Madame Malevizia
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