Eigentlich
habe ich die Sendung „ Das Jenke Experiment“ auf einem deutschen Privatsender
letzten Montag aus Interesse verfolgt. Es war nicht meine Absicht darüber zu
schreiben. Einen Tag später stiess ich aber auf einen Kommentar von Maja
Zivadinovic, Fernsehexpertin auf Bluewin. Diesem Kommentar möchte ich nun jenen
einer Pflegehexe gegenüber stellen, die zwei Jahre Menschen mit Essstörungen
begleitet hat.
Jenkes
Experiment (er verzichtete während 28 Tagen auf feste Nahrung) zeigt eines
eindrücklich: Der Wille, so wenig wie möglich zu essen verselbständigt sich.
Und plötzlich ist es nicht mehr der Wille eines Menschen auf Nahrung möglichst
zu verzichten, sondern ein Zwang. Es ist unglaublich schwierig, diesen Zwang in
Denken und Handeln wieder los zu werden. Darüber hat das Jenke Experiment
jedoch nur wenig berichtet. Schade, denn gerade hier wäre es spannend geworden.
Wie ich später mitbekommen habe, ist es auch für Jenke nach nur 28 Tagen
schwierig geworden, wieder zu einem normalen Essverhalten zurück zu finden. Es
wäre also möglich gewesen in einer weiteren Folge den Weg ins Leben nach zu
empfinden. Denn genau darum geht es in der Therapie.
Seine
erste feste Mahlzeit nach der Karrenz ist Currywurst mit Pommes, erbricht Jenke
aktiv. Maja Zividaninovic sieht dies als Effekthascherei. Jenke war 28 Tage
fast ohne Nahrung. Sein Magen – Darmtrakt war deshalb gar nicht in der Lage,
ein so schweres Essen zu verdauen. Klar, dass es ihm Übel und Unwohl wird und
er versucht diese Nahrung wieder los zu
werden.
Aus
meiner Sicht hat Jenkes Experiment einen entscheidenden Fehler. Das Motiv nicht
mehr zu essen. Im Gegensatz zu Jenke beschliessen Menschen mit Essstörungen
nicht, auf Nahrung zu verzichten. Das geschieht schleichend. Mehrere Betroffene
schilderten mir, dass sie sich ungeliebt fühlten, glaubten nicht hübsch genug
zu sein, um beachtet zu werden. Dadurch kamen sie zu der Überzeugung, dass sie
nur abnehmen müssten, dann würden sie geliebt. Als dieses Gefühl geliebt zu
werden nicht eintraf wuchs in ihnen weiter diese Überzeugung, dass sie eben
noch zu dick wären. Und so drehte sich der Teufelskreis. Ich stelle es mir
schwierig vor, diese Gefühlswelt, die zur
Essstörung führen, nachzustellen.
Und
doch hat mir in Jenkes Experiment die Tiefe gefehlt. Es ist Jenke nicht
gelungen, die Problematik hinter der Essstörung darzustellen. Mir ist es in den
zwei Jahren, in der ich Menschen mit Essstörungen begleiten durfte, nur ansatzweise
gelungen, das gesamte Ausmass dieser Welt in der sie leben, zu verstehen.
„Eine
Essstörung ist immer eine Nebenbühne.“ Diesen Satz hörte ich einmal von einer
unserer Therapeutinnen. Er wurde mein Leitsatz in der Begleitung. Ich hörte auf
in den Bezugspersonengesprächen über Essen oder nicht Essen zu diskutieren.
Obwohl die Betroffenen dies sehr gerne getan hätten. Ihnen war es auf der
Nebenbühne durchaus wohl. Aber wenn ich mit ihnen dort blieb, unterstützte ich
die Essstörung.
Ich
beschäftigte mich mit Fachliteratur und entdeckte, dass es darum ging, diese
Menschen mit dem Leben zu konfrontieren. Was willst Du in Deinem Leben
erreichen? Was machst Du mit Deiner Zeit? Häufig bekam ich auf diese Fragen
keine Antwort. Keine Idee, mit was sie sich beschäftigen könnten, wenn nicht
mit der Frage, was essen oder besser gesagt nicht essen?
Und
es ging um Gefühle. Sich selbst wieder zu spüren, und damit umzugehen. Oft war
ich geschockt, wie schwer es diesen Menschen fiel, zu fühlen, diese Gefühle
auszuhalten, auf sie zu reagieren.
Eine
Patientin hat einmal bei einem Austrttsgespäch gesagt, am meisten habe ihr
geholfen, als sie gefragt worden sei was einmal auf ihrem Grabstein stehen
soll. Ich hatte diese Frage gestellt, sie war in einem Selbsthilfe Buch. „Ich
kann mir nicht vorstellen, dass auf Ihrem Grabstein einmal stehen soll: Sie wog
nur 30 Kilo.“ hatte ich ihr um die Ohren gehauen. Die Patientin fand es
hilfreich, weil sie merkte, dass es um etwas anderes ging, als ihr Gewicht.
Jetzt
bin ich mit meinem Kommentar etwas abgeschweift. Aber ich würde mir wirklich
wünschen, dass auch die Medien sich von der Nebenbühne Essstörung etwas mehr
auf die Hauptbühne, was braucht dieser Mensch, um ohne Essstörung leben zu
können, begeben würden.
Eure
Madame Malevizia
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