Eine Unterstellung
Es ist einer jener Kommentare, bei denen
mir die Luft wegbleibt. Meine Hexenseele kann ihn nicht einfach so stehen lassen.
„ja klar sie wollen für 60% arbeiten 100% Lohn. Überhaupt haben die keine
Ahnung vom arbeiten. Büro sitzen das ist angesagt.“
Ursula Jauch
Es gibt genau zwei Gründe, warum ich während meiner
Arbeit sitze. Der eine Grund ist, wenn ich die von mir geleistete Pflege, meine
Beobachtungen zu bestimmten Symptomen meiner Patienten, sowie die verabreichten
Medikamente dokumentiere. Dies tue ich, damit bei Schichtwechsel meine
Kolleginnen bestmöglich informiert sind, damit es den behandelnden Ärzten
möglich ist, Diagnosen stellen zu können oder gegebenenfalls die Therapie
anzupassen. Ich tue es jedoch auch, damit mein Arbeitgeber die erbrachten Leistungen
abrechnen kann und somit sein Geld bekommt.
Der zweite Grund, weshalb ich sitze, sind meine 30min.
Pause, die mir gesetzlich zusteht.
Ansonsten bin ich auf den Beinen. Nehme Rücksprache mit
Ärzten, Physiotherapeuten, Ernährungsberatungen, überwache Frischoperierte,
richte Medikamente, verabreiche Medikamente, verbinde Wunden, setze oder
entferne Infusionskanülen, nehme Blutproben ab, bereite Menschen auf ihre
Operation vor, beantworte Fragen von besorgten oder aufgebrachten Angehörigen,
delegiere Aufgaben an FAGes oder Pflegeassistenten, leite Laborwerte an den
Arzt weiter, beurteile den Allgemeinzustand der mir zugeteilten Patienten,
bespreche mit den Patienten die Schwerpunkte ihrer Behandlung, erkläre ihnen
die verbreichte Medikation, reagiere bei Verschlechterungen, behandle Symptome
wie Schmerzen, Übelkeit, Hautveränderungen, Juckreiz, Angst, plane Austritte,
involviere weiterbehandelnde Dienste, koordiniere die Transporte von Patienten
in Röntgen, CT, MRI, oder in den OP, bereite Patienten auf diese Transporte
vor, wechsle Infusionen und Nährlösungen, begleite Menschen bis zum Tod, nehme
Angehörige die gerade dabei sind, ihre Liebsten zu verlieren in den Arm, stehe
ihnen bei, leide mit ihnen, weine auch mal mit ihnen, leite Lernende an,
bereite Verstorbene auf ihren allerletzten Weg vor, verabschiede Patienten die
austreten, besorge Medikamente, die nicht auf der Station gelagert sind, hole
Patienten von der Überwachungsstation, überprüfe Drainagenflüssigkeiten, leere
Drainagenbehälter, mobilisiere Patienten, lege oder entferne Blasenkatheter,
unterstütze Patienten bei der Ausscheidung, lege Magensonden. Dies tue ich, in
genau dieser Reihenfolge, in beliebiger Reihenfolge mit beliebigen
Wiederholungen. Ich tue es täglich, inklusive Wochenenden, Feiertage, in allen
Schichten.
Ich habe überhaupt keine Ahnung vom Arbeiten.
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