«Es gab diejenigen, die in
Covid-Spitälern tätig sein mussten, auf Intensivstationen, wo die psychische
und physische Belastung sicher sehr gross war»,
dieses Statement hat Frau Ruth Humbel gestern in einem Beitrag zur Aktionswoche
der Pflegenden abgegeben. Ich möchte dieses aufnehmen, da sie nicht die einzige
ist, die immer wieder betont, dass es doch nur die Pflegenden auf den
Intensivstationen oder den «Covidspitälern» gewesen seien, die in diesem
Frühjahr belastet gewesen seien. Diese Annahme oder Behauptung ist schlicht
falsch. Covid- 19 ist und war kein lokaler Sturm es ist ein Erdbeben im
Gesundheitswesen.
Genauso wie der Rest der Bevölkerung, wussten auch
wir Pflegenden nicht, was auf uns zu kommt. Während viele um ihre Existenz, ihre
Gesundheit oder die ihrer Liebsten fürchteten, hatten wir Pflegenden die Bilder
unserer Nachbarländer vor Augen. Würden wir ebenso überrollt werden?
Vielerorts wurden 12. – Stundenschichten eingeführt.
Solch lange Schichten gehen unweigerlich an die körperliche Substanz, da die
Ruhezeit einfach zu kurz ist. Erschöpftes Pflegepersonal ist gefährlich, egal
in welchem Setting.
Pflegende sind keine unsterblichen Superhelden. Sie
sind einfach nur Mensch. Auch sie können sich mit Covid- 19 anstecken oder auch
sonst krank werden. Es braucht nicht viel Vorstellungsvermögen um
nachzuvollziehen, was Krankheitsausfälle in dieser Situation bedeuten. Zu
Beginn der Pandemie fehlte vielerorts Schutzmaterial, was bedeutete, dass sich
die Pflegenden zusätzlich noch exponierten.
Intensivspflege,
die Epi- Zentren
Die
Intensivstationen sind bestimmt die Epi – Zentren der Krise. Covid – 19
Patienten sind lange sehr krank und äusserst Behandlungs- und Pflegeintensiv. So
braucht es beispielsweise 4 – 5 Personen, um einen beatmeten Menschen auf den
Bauch oder zurück zu drehen. Nicht nur Covid- Patienten sind auf Intensivpflege
angewiesen, auch andere Krankheitsbilder und nicht zu vergessen Unfälle
bedürfen der Intensiv – Pflege und sind nicht unbedingt «aufschiebbar». Durch
die «langliegenden» Covid- Patienten ist die Bettenkapazität der
Intensivstationen noch limitierter als sonst. Und was passiert, wenn eine
Intensivstation keine freien Betten mehr hat? Es geht ja nicht nur um das
«physische» Bett mit dazugehörigen Apparaturen, es geht um die Ressource
Pflegefachperson FA Intensivpflege, die massgebend ist, wie viele
Intensivpflegebetten betrieben werden können. Dann trifft es eben auch die
Bettenstationen.
Die stationäre Pflege
Sind
die Intensivbetten voll oder nahezu voll, müssen Patienten auf die
Normalstationen verlegt werden, auch wenn sie noch nicht ganz so stabil sind,
wie sie sollten. «Gott gebe, dass es klebe», ist da das Motto. Die Betreuung
dieser Patienten auf den Bettenstationen ist hochkomplex. Ebenfalls verbleiben auf
den Bettenstationen Patienten, die so instabil sind, dass sie auf eine
Intensivstation gehören würden. Dies bedeutet für die Pflegenden einen
deutlichen Mehraufwand. Engmaschiges Überwachen, reagieren auf den sich schnell
ändernden Allgemeinzustand des Patienten. Es ist sehr belastend, zuzusehen, wie
sich ein Zustand immer weiter verschlechtert, zu wissen, dass ein Patient erst
dann von der Intensivstation übernommen werden kann, wenn er kurz vor der
Reanimation steht. In solchen Situationen kommen die anderen Patienten, die ebenfalls
Betreuung/Pflege brauchen, einfach zu kurz. Es kann durchaus sein, dass dadurch
Anzeichen von Komplikationen nicht frühzeitig erkannt und behandelt werden können.
Ein Spiel mit dem Feuer oder sollte ich sagen, mit dem Tod?
Seit dem Frühjahr schwebt Covid – 19 wie ein
Damoklesschwert über unseren bereits schwer kranken und geschwächten Patienten.
Den Pflegenden ist klar, wenn bei einem Menschen nach einer grossen Operation,
einem Menschen, dem gerade ein Organ transplantiert wurde oder einem Menschen,
der gerade gegen Krebs kämpft, noch ein schwerer Verlauf von Covid- 19 dazu kommt,
ist das wahrscheinlich das Todesurteil. Schon deshalb müssen Pflegende doppelt
und dreifach aufmerksam sein. Die Hygieneregeln müssen peinlichst genau
eingehalten werden. Das erfordert Konzentration, Konsequenz und ein weiteres
Mal Zeit. Positiv Getestete oder Verdachtsfälle müssen isoliert werden. Auch
diese Massnahmen müssen von den Pflegenden eingeleitet und umgesetzt werden.
Die
Notfallpflege
Den
meisten Notfallstationen ist ein sogenannter Covid – Track angegliedert worden.
Dieser hat vor allem einen Zweck. Menschen mit Covid – Verdacht schnell testen
zu können und das Ansteckungsrisiko für andere möglichst gering zu halten.
Diese Covid- Traks wurden teilweise auch noch mit dem Personal der Notfälle
betrieben. Also neben dem gesamten «Normalbetrieb», in dem es mitunter auch um
Leben und Tod gehen kann, musste auch das noch gestemmt werden. In den Notfall
kommen verschiedenste Menschen und nicht immer können diese Massnahmen, wie
Maskenpflicht, Beschränkung der Begleitpersonen, Isolation etc. nachvollziehen.
Es sind die Pflegenden des Notfalles, welche die Emotionen darauf auffangen und
die Massnahmen dennoch durchsetzen müssen.
Die
Langzeitpflege
Mit
dem Besuchsverbot ist während des Lockdowns eine essentielle Ressource der
Bewohnerinnen und Bewohner von einem Tag auf den anderen komplett weggebrochen.
Das allergrösste Problem dabei: Angehörige, geliebte vertraute Menschen sind
unersetzlich! Dennoch haben die Pflegenden versucht, alles ihnen Mögliche zu
tun, um das aufzufangen. Dabei haben sie nicht nur die Bewohnerinnen und
Bewohner betreut, sondern auch die Angehörigen. Man könnte jetzt denken, ja die
Angehörige konnten ja ihre Liebsten anrufen. Ja machen Sie mal, bei einer
dementen Frau, einem schwerhörigen Mann. Diese Menschen brauchen auch da
Unterstützung und das benötigt wieder zusätzliche Zeit. Nach dem Lockdown
musste ein strenges Hygienekonzept umgesetzt werden, welches auch die Besucher betraf.
Nicht jeder Besucherin und jedem Besucher war dieses verständlich. Vielerorts
mussten endlose Diskussionen über Maskenpflicht und Kontaktdaten geführt
werden. Ich möchte nicht wissen, was meine Kolleginnen und Kollegen sich da
teilweise anhören mussten.
Die
ambulante Pflege
Polikliniken
wurden teilweise geschlossen oder das Angebot stark reduziert. Die Pflegenden
waren aber nicht in Kurzarbeit, sondern wurden auf andere Stationen verteilt.
Der Wechsel von der ambulanten in die stationäre Pflege ist eine echte
Herausforderung, wenn nicht sogar Überforderung. Durch das reduzierte Angebot
der Polikliniken mussten komplexe und zeitintensive Verbände von der Spitex
übernommen werden.
Die
spitalexterne Pflege
Für viele ihrer Klientinnen und Klienten waren sie
teilweise die einzige Kontaktperson, die zu ihnen nach Hause kam. Es mussten
zusätzliche Betreuungsdienste geleistet werden, die teilweise auch nicht
richtig bezahlt werden. Die nun geltenden Hygienevorschriften, die Klientinnen
und Klienten, sowie die Pflegenden schützen, müssen in den Haushalten umgesetzt
werden. Da ist viel Kreativität und Fingerspitzengefühl gefragt.
Die Geburt- und Wöchnerinnenbetreuung
Die
Spitäler entliessen die Wöchnerinnen möglichst schnell nach Hause, um auch da
das Ansteckungsrisiko klein zu halten und auch um Betten frei zu haben. Die
Mütter mussten alleine durch die Geburt, aufgrund des absoluten Besuchsverbots.
Das ging nicht spurlos an ihnen vorbei und es waren die Pflegenden in der
ambulanten Wöchnerinnenbetreuung, die diese Mütter dann auffingen. Gleichzeitig
musste aber das ambulante/ aufsuchende Setting dieser Pflegenden reduziert
werden, da auch sie ein hohes Risiko Covid 19 zu verbreiten darstellten. Und
das, obwohl auch die Grosseltern der Neugeborenen als Ressource wegfielen. Eigentlich
die Quadratur des Kreises. Dies stürzte sowohl die stationär als auch die
ambulant tätigen Pflegenden in grosse ethisch moralische Dilemmata. Die dort
erlebten Geschichten sind bis heute nicht verarbeitet.
Die
psychiatrische Pflege
Psychisch
Kranke welche einen stationären Aufenthalt benötigen, sind äusserst vulnerabel.
Es ist nicht schwierig, sich vorzustellen, was die Covid- Pandemie in ihnen
auslöst: Ängste, psychotisches Erleben, Depressionen und Aggressionen wurden um
ein Vielfaches verstärkt. Wichtige Instrumente, wie Millieutherapie,
Sozialtraining und Gesprächsgruppen konnten zum einen wegen der notwendigen
Hygienemassnahmen und zum anderen wegen des Personalmangels nicht mehr
durchgeführt werden. Dies sorgte für eine deutliche Zunahme von
Kriseninterventionen jeglicher Art. Zudem mussten sich die Pflegenden auch mit
Schutzmassnahmen und Covid- Abklärungen auseinandersetzen. Es ist eine grosse
Herausforderung, diese im stationären Psychiatrie – Setting zu managen. Was in
der somatik die Intensivstationen sind, sind in der Psychiatrie die
Psychiatriestationen. Ebenso wie in der Somatik wurden nur noch die absoluten
Notfälle aufgenommen. Für die ambulante Psychiatriepflege bedeutete das,
schwierigste Situationen zu managen. Auch hier sollten direkte Kontakte
möglichst vermieden werden. Vieles musste über das Telefon gemacht werden, was
sonst einen 1:1 Kontakt bedingte. Schätzen Sie mal den psychischen Zustand
eines Menschen über das Telefon ein. Oder führen sie eine fundierte Krisenintervention
durch. Weder im stationären noch im ambulanten Bereich wurde der
Personalschlüssel aufgestockt. Wie auch, ist ja keiner da, den man rekrutieren
könnte.
Fazit
Covid
– 19 hat das ganze Gesundheitswesen erschüttert und nach der ersten Welle einige
Risse hinterlassen. Viele Pflegenden sind erschöpft und haben das alles noch
gar nicht verarbeitet. Hinzu kommt die Wut darüber, dass wir Pflegenden nach
dieser Welle im Regen stehen gelassen wurden. Über uns, oder darüber wie man so
in die Pflege investieren kann, dass eine 2. 3. 4. Welle von den
Gesundheitseinrichtungen aufgefangen werden könnte, hat im Sommer kaum jemand
gesprochen. Schon gar nicht die Politik. Das würde nämlich bedeuten, dass diese
sich reflektieren und entsprechend handeln müsste. Es würde bedeuten, anstatt
bei jeder möglichen und unmöglichen Gelegenheit zu betonen, dass es ja leere
Spitäler gab, darüber nachzudenken, wie die Last verteilt werden kann, um eine Überbelastung
der einen und eine Unterbelastung der anderen zu verhindern.
Ich erwarte von der Politik jetzt mehr als nette
Worte oder Ausflüchte. Ich erwarte Entscheidungen, ich erwarte, dass jetzt
gehandelt wird!
Madame Malevizia.
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