Der nachfolgende Text
ist 3 Jahre alt. Eigentlich wollte ich ihn für heute mit der aktuellen
Situation, sprich Covid 19 ergänzen. Doch ich lasse es. So wie er ist, bleibt
er nach wie vor gültig. Mit diesen Dilemmas sind Pflegende tagtäglich
konfrontiert. Geändert hat sich in den letzten Jahren kaum etwas. Und da wundern
sich die Menschen dieses Landes, dass wir Pflegenden sagen, «Wir können bald
nicht mehr?»
Ich bin nicht mehr
bereit, diese Dilemmas alleine zu tragen. Dies geht alle an! Also setzt Euch damit
auseinander.
Ich stütze mich bei
diesem Beitrag auf die ethischen Prinzipien: Autonomie, Gutes tun, nicht
schaden wollen, Gerechtigkeit. Als Denkanstoss nutze ich die Broschüre „Ethik
und Pflegepraxis“ des SBK 2013.
Ich beginne mit der Autonomie.
Ein Wort, welches mir immer wieder begegnet. Mir scheint, die Autonomie ist in
der Schweiz ein wichtiges zentrales Gut. Schauen wir uns nur die Diskussion
über die Billateralen Verträge oder den EU – Beitritt an. Fremde Richter? Kommt
nicht in Frage! Ebenfalls in das Prinzip der Autonomie gehört die offenbar
riesige Angst vor Abhängigkeit. Immer wieder höre und lese ich Statements wie:
„Wenn ich mal nicht mehr selbst kann, mache ich Schluss.“ Gerade dies zeigt
eines deutlich: Die Autonomie von Kranken ist in Gefahr. Sie ist in Gefahr,
weil der Personalmangel dafür sorgt, dass es nicht der körperlich stark
eingeschränkte Mensch ist, der bestimmt, wann er aufsteht, sondern der Zeitplan
der Pflegenden. Es ist dem Personalmangel zu verdanken, dass Essen einfach
eingegeben wird, weil es schneller geht, als den Betroffenen zu führen und ihn
so zumindest das Tempo bestimmen zu lassen. Solche Förderungen sind jedoch
schlicht unmöglich, weil sonst der/die Letzte erst um 14.00 Uhr sein/ihr
Mittagessen bekommen würde. Es braucht Zeit, Angehörigen zu erklären, dass die
Autonomie eines hochdementen Menschen bedeuten kann, ihn selbst herum gehen zu
lassen, auch wenn man dadurch Stürze in Kauf nimmt. Zeit, die häufig nicht da
ist, weil solche Gespräche nicht abgerechnet werden können. Das Selbe gilt für
Beratungen, die meist spontan entstehen, wenn es um den Umgang mit bestimmten
Krankheitssymptomen geht. Einfach die Reservemedikation verabreichen, geht
schneller. Der Betroffene bleibt jedoch hilflos, kann seine Genesung nicht
selbst beeinflussen.
Es braucht Zeit,
gebrechliche alte Menschen nachts auf die Toilette zu begleiten, der Topf geht
viel schneller. Und gerade in der Nacht, in der Pflegende oft alleine sind,
zählt jede Minute. Autonomie wird als so wichtig betrachtet, kann jedoch nicht
gemessen und auch nicht bezahlt werden, und deshalb kommt sie in den
strategischen Überlegungen von Politik und Wirtschaft nicht vor.
Gutes tun,
ist jenes Prinzip, welches so deutlich zeigt, weshalb jedes noch so
ausgeklügelte Computersystem, jeder noch so menschlich aussehende Roboter
niemals Pflegende ersetzen kann. Leider ist es auch das Prinzip, welches nicht
in Zahlen ausgedrückt werden kann. Somit ist es unbezahlbar. Gutes tun ist dann
gefragt, wenn Menschen eine lebensbedrohliche Diagnose erhalten. Es sind jene
Minuten, die sich Pflegende nehmen, um eine Hand zu halten. Es ist die
Anteilnahme gegenüber Angehörigen, für die gerade in diesem Moment die Welt
stehen geblieben ist, weil ein ihnen lieber Mensch verstorben ist. Gutes tun,
ist das, was nicht gelernt werden kann und ein Teil dessen, was wir Berufung nennen.
Wenn Pflegende sich
nicht mehr die Zeit nehmen können, um einen Patienten zum Essen zu motivieren,
ist Gutes tun, weit weg. Es ist in Gefahr, wenn Pflegende nicht mehr die Kraft
haben, sich für einen schmerzgeplagten Patienten einzusetzen, damit dieser eine
angemessene Analgesie erhält.
So banal das Prinzip nicht
schaden wollen daher kommt, so vielschichtig und gefährdet ist es. Es ist
gefährdet, wenn Pflegende keine Chance mehr haben, Patientenrufe innert
nützlicher Frist zu beantworten. Ein Ruf, heisst immer, jemand braucht etwas,
etwas, das für sein Wohlbefinden wichtig ist. Manchmal ist sogar Leib und Leben
davon abhängig, dass jetzt dieser Ruf beantwortet wird. Dem Ruf ist jedoch
nicht anzusehen, wo welche Not herrscht.
Das Beispiel des
Patienten in seinen Exkrementen, habe ich schon häufig benutzt. Dabei geht es
nicht ausschliesslich um das Prinzip nicht schaden wollen, aber es ist bei
diesem Beispiel von zentraler Bedeutung. Wie erniedrigend und würdelos es für
einen Menschen sein muss, in seinen eigenen Körperflüssigkeiten zu liegen,
brauche ich nicht zu erklären. Auch das richtet Schaden an. Ein weiterer Aspekt
ist aber auch die Haut, die durch diese Körperflüssigkeiten aufgeweicht und
beschädigt wird. Nicht schaden wollen heisst, demente Menschen nicht mit
körperlicher Gewalt zur Körperpflege zu zwingen, sondern den richtigen Moment
abzuwarten, oder sogar zu schaffen. Dies gelingt jedoch nur, wenn zeitliche und
personelle Ressourcen vorhanden sind.
Gerechtigkeit.
Wenn ich dieses Wort lese, kommt mir unweigerlich die französische Revolution
in den Sinn. Aber darum geht es hier ja nicht. Obwohl, eine Revolution für die
Gerechtigkeit, wäre im Gesundheitswesen durchaus angebracht.
Ich frage mich nämlich
schon, wo diese Gerechtigkeit ist. Wo ist sie, wenn Einrichtungen um Geld zu
sparen, Schutzhandschuhe und Inkontinenzeinlagen rationieren? Solche Zustände
gibt es, in Deutschland sind sie öffentlich gemacht worden, aber ich bin
überzeugt, dass es solche Dinge auch in der Schweiz gibt. Ich vermisse die Gerechtigkeit,
wenn die Versicherung bestimmt, wer in einem Einzel – oder Mehrbettzimmer liegt
und nicht der Gesundheitszustand. Ich weiss, wieviel Überzeugungsarbeit
Bettendisponenten leisten müssen, wenn ein Patient aufgrund seines Zustandes in
ein Einzelzimmer verlegt werden muss.
Ich vermisse die
Gerechtigkeit, wenn Pflegende ihre wertvolle Zeit mit immer mehr
administrativen Aufgaben verbringen müssen. Da gibt es teilweise echt absurdes
zu sehen. Der Umstand, dass Pflegende in vielen Institutionen von anderen
Disziplinen Aufgaben zugeschustert bekommen, ist nicht gerecht. Diese Aufgaben
reichen von Frühstücksgeschirr abwaschen bis Abfallsäcke leeren. Frei nach dem
Motto: Könnte die Pflege nicht noch…Dafür bekommen Pflegende nichts zurück,
kein Geld, keine Zeit. Wo ist da die Gerechtigkeit?
Dies sind nur ein paar
Gedanken einer Pflegehexe und nur ein Bruchteil dessen, was an ethischen und
moralischen Konflikten auf dem Rücken der Pflegenden ausgetragen wird. Jede
Sparrunde der Kantone und des Bundes hat dieses Problem noch verschärft und nun
stehen wir kurz vor der ethisch moralischen Katastrophe. Von den Politikern
verlange ich, dass sie sich dem stellen, sie haben diesen Beruf gewählt, sie
müssen die Verantwortung übernehmen. Auch die Pflegenden haben diesen Beruf
(für mich gibt es noch immer keinen schöneren) gewählt, es ist jetzt an ihnen,
sich für die Wahrung der ethischen Prinzipien einzusetzen. Sei dies im Kleinen
an ihrem Arbeitsplatz (alles muss nicht hingenommen werden), in Diskussionen im
Familien – oder Freundeskreis oder im Grossen, durch zeitliches Engagement in
Berufsverbänden, Parteien oder Gewerkschaften.
Aber auch alle Bürgerinnen
und Bürger dieses Landes sind gefragt, wenn es darum geht, ob und wie die
ethischen Prinzipien im Gesundheitswesen ihren Platz haben. Sie sind es
nämlich, die wählen und abstimmen. Sie sind es, die bestimmen, wer bei den
nächsten Sparrunden entscheidet, wo Geld eingespart wird.
In diesem Sinne wünsche ich
unseren Politikern den Mut, sich diesen schwierigen und ebenso wichtigen Themen
zu stellen, den Pflegenden die Kraft, weiterhin alles in ihrer Macht stehende
zu tun, dass die ethischen Prinzipien in ihren Arbeitsbereichen gelebt werden
können und den Bürgerinnen und Bürgern, die Weitsicht, Volksvertreter zu
wählen, die bereit sind die Ethik über den Profit zu stellen.
Madame Malevizia
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